Es frühlingt, die Krusten brechen auf, man streckt die Fühler aus… aber seien wir ehrlich, es ist durchaus noch kühl. Ich jedenfalls merke, wie die Veränderungsprozesse losgehen (Aufbruch! Wandel! Erneuerung!) und ich förmlich sehen kann, wie sie mich durch den Fleischwolf drehen (Scheiße! Schwierig! Altbekannt!).

Gestern hatte ich den Gedanken, dass diese ganze Idee von Veränderug und Entwicklung vielleicht Unfug ist. Der Entwicklungsgedanke war vor einiger Zeit schonmal Thema bei mir (nicht gebloggt), und da ging es vor allem darum, wie sehr er im Subtext immer bedeutet, dass man nicht in Ordnung ist, wie man ist. Wenn ich das nämlich mehr glaube, brauch ich keine Therapie, kein Yoga, keine persönlichen Fortschritte: Dann bin ich einfach ich.

Das ist natürlich überhaupt nicht einfach, sondern schwer, womit wir zum heutigen Gedanken kommen. Der baut auf dem alten auf.

Vielleicht, so dachte ich, gibt es überhaupt keine Entwicklung. Okay, vielleicht in der Pubertät, da hat sich schon viel getan, aber vielleicht geht es später nicht darum, etwas zu lernen, sich zu verändern, sondern vielleicht geht es nur darum, mit sich selber umzugehen (Randnotiz: Pubertät könnte man sogar auch so verstehen).

Man findet ja immer mehr über sich heraus, und vielleicht geht es nur darum, diese ganzen Erkenntnisse angemessen zu behandeln. “Oh, ich bin empfindlich?” kann heißen “Ich will Stärke lernen” oder eben “Wow, dann sollte ich vorsichtig sein”. Wenn ich mein Sein als grundlegend gut betrachte, und nicht als defizitär, dann bleibt mir nur der liebevolle Umgang mit mir.
Ich schiebe Filme bei einem bestimmten Thema? Da sollte ich schön langsam machen und gut auf mich aufpassen.
Ich reagiere über, wenn man mich kränkt? Mehr Leute, die mich liebevoll behandeln und mir erlauben, gekränkt zu sein.

Das soll nicht unbedingt heißen, dass man sich nicht verändern darf. Eher, dass man es nicht muss. Man muss nur mit sich umgehen.

5 Kommentare zu “Selbstumgang statt Entwicklung.”

  1. ben_ sagt:

    “Darin besteht die ganze verschwiegene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache.”

  2. j. sagt:

    Feine Assoziation. Hervorragend. Ich hab das Ding mit Sisyphos und glücklichem Menschen nie verstanden, aber jetzt puzzlet es sich ganz gut ein.

  3. ben_ sagt:

    J., ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr mich das freut. Nur wenig Dinge haben wir das Leben mehr erklärt und lebenswerter gemacht als Camus “Mythos des Sisyphos”. Das ich Dir, meinem großen Lebenserklärer und Lebenswertmacher, das ein bisschen näher bringen konnte … unbezahlbar!

  4. ava sagt:

    Ich hab gestern in einem Buch, das ich gerade lese etwas gefunden, das mich sehr an dich und was du hier geschrieben hast, denken ließ. Es ist von Pema Chodron und heisst “Geh an die Orte, die du fürchtest”.

    “In der Meditation sind wir so, wie wir sind, mit unserer Verblendung und unserer geistigen Gesundheit. Dieses vollkommene Akzeptieren unserer selbst, wie wir sind, nennt man Maitrî; es ist eine schlichte, unmittelbare Beziehung zu dem, was wir sind.
    Es hilft nichts, wenn wir versuchen, und selbst in Ordnung zu bringen. Von allen Möglichkeiten, Bodhichitta (Bodhi: “erwacht”, “erleuchtet”, “völlig offen” Chitta: “Geist, Bewusstsein”, “Herz”, “Einstellung”) zu überdecken, benutzen wir das Uns-Selbst-Schlechtmachen am häufigsten.
    Wenn wir also NICHT versuchen, und zu ändern – heist das, dass wir bis zu Tode zornig beliben und an den Dingen haften müssen? Das ist eine vernünftige Frage. Das Sich-Selbst-Verbessern-Wollen funktioniert deshalb auf lange Sicht nicht, weil wir damit gegen unsere eigene Energie angehen. Selbstverbesserung mag vorübergehen etwas bewirken, aber zu dauerhafter Transformation kommt es nur, wenn wir uns selbst als Quelle von Weisheit und Mitgefühl achten. Erst, wenn wir beginnen, uns mit uns selbst anzufreunden, wird die Meditaton zu einem transformierenden Prozess. Nur wenn wir ohne alles Moralisieren, ohne Härte, ohne Täuschungsmanöver mit uns selbst umgehen, können wir von schädlichen Mustern ablassen. Ohne Maitrî wird die Ablehnung alter Gewohnheiten zu etwas, mit dem wir uns selbst schaden. Dies ist ein wichtiger Punkt.”

    Alles Liebe!

  5. ava sagt:

    ups. “wenn wir nicht versuchen, unS zu ändern”

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