Das ist ein bisschen gelogen, aber ein bisschen ist es auch wahr. Wenn die Welt nach den Definitionen funktionieren würde, die ich in mir habe, wäre es wahr. Zwei Frauen sind in mein Leben getreten, in beide bin ich verliebt, und beide finden das gut bis okay. Unser Miteinander ist zärtlich, intensiv, authentisch und wunderbar.

Grund genug für mich zu sagen: Ich lebe gerade zwei Beziehungen.

Das Spannende ist, dass jetzt all das Geschreibe und Behaupte, das ich so in die Welt gepustet habe, ins Tun kommt. Jetzt geht’s ab. Jetzt endlich mal “praktische Polyamory”. Ich hab in letzter Zeit oft an das Blog gedacht, und dass mir gerade Dinge widerfahren, die hierher gehören. Nur war das hier immer ein Ort der Theorie. Das ist sozusagen die Bedienungsanleitung für das Fitnessgerät, und jetzt steh ich eben auf dem Ding.

Ich hoffe, es gelingt mir, die Erfahrungen zumindest teilweise hier abzubilden (und überhaupt erstmal konzeptuell einzufangen, ich kann ja keine Gefühle posten sondern nur Wörter).

In diesem Sinne: Auf geht’s.

16.11.2009 12:22
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Lieben

“I’m not sure about the category, but it’s high-ranking”

Dieser Satz fiel im Gespräch eines Freundes mit einer jungen Frau, während sie sich kennenlernten und überlegten, was da gerade zwischen ihnen passiert. Traumschöner Satz.

Ich habe mich mit meinem lieben Freund Clayton getroffen, mit dem mich viel verbindet. Beispielsweise haben wir beide Beziehungen hinter uns, in denen es unseren Partnerinnen und auch uns so vorkam. als hätten Clayton und ich Beziehungen nicht so drauf. Bindung, das merkten wir, fällt uns eher schwer, wir haben schnell das Gefühl, uns zu verbiegen und brauchen viel Freiraum.

Das zumindest ist die dominante Geschichte, die für unser Seelenleben zur Verfügung steht.

Clayton hat jetzt eine gegenteilige Erfahrung gemacht, die ihm zeigte: Wenn die Partnerin mich nicht mehr spürt, muss das nicht daran liegen, dass ich den Kontakt habe abreißen lassen. Es kann auch daran liegen, dass sie den Kontakt verloren hat.

Und da fiel ihm auf, was auch außerhalb dieser ganz speziellen Situation wahr ist: Das ist dann ihr Ding. Es ist ihr Gefühl von allein-gelassen-sein. Dieses Gefühl lässt sie rausfallen, nicht sein Verhalten. Er war gar nicht aus dem Kontakt getreten: Sie hat ihn nicht mehr spüren können. es ist, wenn überhaupt, ihr Versäumnis, oder besser: Ihr Thema (wie Clayton mir per Mail noch schreibt, ist das natürlich nicht trennbar, sondern ist auch ein gemeinsamer Prozess, der zwischen zwei Menschen stattfindet. Essentiell ist vor allem: Es ist nicht mein Versäumnis, nicht meine Schuld).

Damit konnte ich viel anfangen. Ich würde beispielsweise Cullawine nie vorwerfen, sie hätte mich eingeengt oder mir Schuldgefühle gemacht. Ich war es, der Enge und Schuld erlebt hat, und die Beschäftigung damit, warum ich das empfinde, hat mich viel verstehen lassen über mich. Im Grunde ist es nur der umgekehrte Schuh, dass auch ihre Gefühle von verlassen-werden, nicht vertrauen können, eigentlich ihre Gefühle sind (und wie so oft denke ich wieder an den weisen Satz: “Own your feelings“).

Damit löst sich auch ein Teil der Schuld auf, was natürlich gut ist. Nach dieser Variante habe ich kein Bindungsproblem. Clayton hat es so ausgedrückt: Die Basis, auf der wir in Kontakt stehen mit unseren Liebsten ist eben ziemlich freistehend. Unser Vertrauen in die Liebe wird nicht erschüttert, nur weil man sich nicht sieht, sich nicht hört oder so etwas.

Wir haben überhaupt kein Problem, in Kontakt zu sein.

Natürlich (wichtig!) haben wir Probleme, die augenscheinnlich werden, sobald wir in Beziehung treten. Ich beispielsweise habe ein Schuld-/Verantwortungs-Thema. Aber das ist kein Bindungsproblem, das ist ein Schuld-Problem, genau wie es beispielsweise Sicherheits- oder Vertrauensprobleme  gibt, die Menschen dazu bringen, den Kontakt zu verlieren.

Und plötzlich sind alle gleich kaputt. Da begegnet man sich dann plötzlich auf Augenhöhe.

Gelegentlich, eigentlich sogar oft, teilte ich aufregende Nächte mit Menschen, und aus irgendwelchen Gründen gab es Beschränkungen: Ich war in einer Beziehung. Sie war in einer Beziehung. Oder einer von uns war gerade sehr mit sich selbst beschäftigt. Wir waren befreundet. Wir wohnten zusammen. Ganz oft ist irgendwas, wodurch man nicht gänzlich frei ist.

Vorhin fiel mir auf: Es ist weder oft noch gelegentlich, es ist ausnahmslos. Sex unterliegt Beschränkungen, oder besser: Wir legen unserem Sex Beschränkungen auf.

Ich musste daran denken, wie ich nach meinem Studium sehr bewusst entschieden habe: Ab jetzt wird nicht mehr nur “der nächste Schritt” im Lebensllauf abgehakt, jetzt guck ich mal gerade, was ich will. Nicht “nach dem Zivi/ dem Diplom/ der Probezeit bin ich endlich frei” sondern: “Ich bin frei. Genau jetzt.” Aus diesem Geist heraus habe ich mich selbständig gemacht, was viele tollkühn bis dumm fanden, und es war eine der besten Sachen, die ich je gemacht habe.

Beim Sex, ahne ich, wird etwas ähnliches stattfinden. Nicht “bald mal jemand ohne Beziehung/ ohne Komplexe/ wo ich mich sicherer fühle”, sondern “Ich bin frei. Genau jetzt”. Diese ganzen Beschränkungen sind Einengung, Unsicherheit, sind lauter Kram, der einem eben das Leben schwer macht.

Jetzt nur noch trauen.

Wir wählen unsere Interpretation der Welt. Wir sind es, die entscheiden, was uns geschieht. Das ist nichtmal besonders esoterisch gemeint, sondern ganz handfest: Welche Brille wir aufhaben, um die Welt zu betrachten, ist unser Bier.

Manche dieser Brillen tragen wir schon ganz schön lange, und es ist schwer, sie abzunehmen. Es ist sogar schwer festzustellen, dass es überhaupt eine Brille ist und nicht die Wahrheit.

Ein neues Wort, das ich für diese Brillen, die Interpretationen gelernt habe, lautet “Kontext”.

Der Kontext, in dem ich mein Leben interpretiere, das ist in den letzten Artikeln hier schon deutlich geworden, ist in weiten Teilen einer von “Ich muss geben, damit ich geliebt werde”. Leg dich ins Zeug, J., sei wer verlangt wird. Tu was gerade gut wäre. Es geht um einiges, es geht um Anerkennung.
So ein Kontext ist autopoietisch, er erhält sich selbst aufrecht. Wenn ich erstmal alles durch die kackbraune Brille sehe, ist alles was ich sehe Beweis dafür, dass die Welt nunmal kackbraun ist.

Mit einer Freundin war es vor geraumer Zeit mal spannend. Es gab ein paar Berührungen, eine Suche nach Haut, und am Ende das Bekenntnis, dass wir am liebsten nackt miteinander im Bett lägen. Was aber nicht ging, ihre Beziehung ist (noch) geschlossen. Vor kurzem habe ich herausgefunden, dass sie im Anschluss an diesen aufregenden Abend etwas frappiert davon war, dass ich so wenig Anstalten machte, daran anzuknüpfen. Sie fühlte sich abgewiesen und blockte mich ganz ab, was wiederum dazu führte, dass ich mich abgewiesen fühlte.

Neben der Tatsache, dass das schon ganz richtig von mir war, da keine Anknüpfungsanstalten zu machen, weil ich da nicht die Beziehung zerrütten wollte, steckt allerdings auch der Kontext darin: Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie für meine Ambitionen offen gewesen wäre, dass die Zeit mit mir es wert gewesen wäre, ihre Beziehung zu gefährden. Sowas fällt mir im Traum nicht ein.

Und zynischerweise wird dadurch der Kontext reproduziert: Durch mein aus dem Kontext motiviertes Verhalten (weil ich mir nicht vorstellen kann, dass sie Bock auf mich hätte, halte ich mich zurück), entsteht eine Situation, die den Kontext erneut bestätigt (weil sie sich zurückzieht, beweist sie, dass sie keinen Bock auf mich hat).

Besagte Freundin sagte den schlauen Satz zu mir, dass ich immer wieder solche Erlebnisse haben würde, solange ich meinen Kontext nicht ändern würde. Die Herstellung eines neuen Kontextes sei gefragt – nicht (nur) die Aufarbeitung des alten.

Und tatsächlich, seit ich versuche, die Brille zu wechseln, und mich vor mir selbst neu definiere, geschehen mir neue Dinge. Und dieser neue Kontext verstärkt sich ebenso selbst wie der alte: Wenn ich erstmal davon ausgehe, dass Menschen mich lieben, einfach so, dann ist jeder Anruf, der mich erreicht, Beweis dafür, jeder zweideutige Blick bestätigt mich in meiner Männlichkeit, jedes anvertraute Wort macht mir klar, dass ich wichtig bin für meine Liebsten.

Tipptopp.

Eifersucht ist dummerweise real. Sie ist zwar nur ein Gewand für Selbstzweifel, Verlassensängste und Neid, aber dennoch sehr real. Man kann sie spüren, und sie nervt. Gerade erlebe ich selber hin und wieder Eifersucht gegenüber Kira, in die ich verliebt bin, und dadurch wächst mein Verständnis für andere Menschen, die eifersüchtig sind.

Gestern im Park mit einem Freund erzählte er davon, dass seine Freundin eifersüchtig wäre auf zwei Begegnungen mit wunderbaren Frauen, die er erlebte, und sie fragte ihn danach, was diese Begegnungen im bedeuten würden.

Ich hasse diese Frage. Die erwartete Antwort ist nämlich: “Gar nichts, Liebling, die Bedeutung ist, besonders im Vergleich zu deiner Bedeutung, absolut nichtig.”

Aber das stimmt nicht, und es ist eine Schande, es so beschreiben zu müssen. Solche Begegnungen sind nämlich heilige Momente, in denen es einem gelingt, sich zu öffnen, mehr die Person zu sein, als die man sich fühlt, es ist ein Treffen zweier Seelen, die miteinander in Schwingung gehen, es macht das Leben intensiv und schön, kurz: Es ist der totale Hammer.

Aber wie gesagt, mein Verständnis für Eifersucht wächst, denn die Frage “Was bedeutet dir diese Frau?” ist ein Code, und die tatsächlich dahinter steckende Frage ist: Was bedeute ICH dir? Es ist ein Missverständnis, wenn man stattdessen auf die gestellte Frage antwortet und sich gezwungen sieht, diese traumhaften Begegnungen herunterzuspielen (und damit die eigene Erfahrung ärmer zu machen).

Vielleicht kennt ihr Situationen, in denen ihr eifersüchtig wart und euch von einer anderen Person bedroht fühltet, und vielleicht habt ihr gefragt, was diese Person bedeutet. Wenn ich erneut in die Situationen gehe, in denen ich das erlebt und gefragt habe, stelle ich ganz klar fest: Linderung brachte immer nur die Antwort auf die Frage: “Was bedeute ich ihr?.

Mit dieser Erkenntnis einher geht für mich eine weitere Einsicht in die Natur von Beziehungen, gerade auch bei in die Natur von offenen Beziehungen, Mehrfachbeziehungen: Eine Beziehung wird zur Beziehung, weil ich mich bemühe, die Bedeutung meines Partners (bzw. meiner Partner) spürbar für ihn (oder sie) zu machen. Das ist meine Verantwortung. Bei allen wunderbaren Erlebnissen, die ich habe, bei allen Bedürfnissen nach Freiheit und der Möglichkeit, meinen Impulsen zu folgen, bleibt das die grundlegende Verantwortung: Emotional beim Partner bleiben (oder zurückkommen), sich selbst und ihm die Bedeutung klarmachen, die er für mein Leben hat.

Ich bin ein Geber.

Ein anderes Wort, das mir häufig dafür begegnet, ist “Helfer-Komplex”. Aber es bleibt dabei, ich gebe gern, gebe vor allen Dingen “mich” gern. Ich öffne mich gern, vertraue gern, berühre gern, bin gern da für jemanden. Ich gebe Energie. Daraus erschließt sich eine ganze Menge: Die Wahl meiner Hauptberufe (Psychotherapie und neuerdings Massage) oder auch meine Tendenz, Menschen gern zu berühren und zu streicheln (denn das wünschen sich die meisten). Letztere Eigenschaft von mir hat Cullawine in einem Streit einmal zum Anlass genommen, mir zu sagen, ich würde mich benutzen lassen. Ich wäre für lauter Leute eben eine praktische Quelle von Zärtlichkeit oder Anerkennung, und wenn diese Leute das bräuchten, wäre ich ein willkommener Gast. Es wäre aber nicht fair, ich würde dabei benutzt.

Das saß. In dieser Deutung fehlt mir zwar ein bisschen, dass mir das Berühren und Streicheln natürlich gefällt, was das Ganze weniger einseitig wirken lässt, aber es ist was Wahres dran. Das Gefühl, wenn es nicht so ist, wenn ich einfach nur geliebt werde, habe ich mit Cullawine erfahren, und es ist ein wundervolles Gefühl.

Mir fällt dieses “Benutztwerden” erst auf, wenn ich selbst in bedürftigen Phasen bin, oder wenn sich irgendwelche Rahmenbedingungen ändern. Dann merke ich: Hoppala, die zärtliche Ebene, die wir hatten, war ja gar nicht stabil. Plötzlich ist da ein neuer Partner/ eine größere Zufriedenheit, und die Nähe, körperlich wie emotional, ist weg. Und ich frage mich: Oh, war ich gar nicht gemeint? Ging es nur um das Fehlen von Partner und Zufriedenheit, und ich war guter Ersatz, ein Flicken?
Das tut dann weh.

Ähnlich ist es auch, wenn ich selbst dann einmal Nähe brauche, und feststelle: Sorum ist es scheinbar nicht okay.

Und jetzt wird das Ganze etwas knifflig. Gerade ist eine Phase, in der ich bedürftig bin. Ich will geliebt werden, und ich spüre deutlich den Wunsch in mir, dass da jemand ist, der unbrechbar hinter mir steht, mich ehrt und schätzt und begehrt.

Gleichzeitig spüre ich aber auch: Das bleibt aber innerhalb des bestehenden Musters, ich suche gerade Flicken für Löcher, die in mir sind. “Wenn jemand Liebe will, gibt es keine Liebe mehr, sondern nur noch Beweise der Liebe”. Es ist im Grunde wie mit den Menschen, von denen ich mich benutzt fühlen könnte, nur eben mit getauschten Rollen: Es geht um ein Ganz-Machen. Derjenige zu sein, der als Flicken benutzt wird, ist nur der Spiegel zu dem, dem etwas fehlt.
Beide Rollen bleiben in der Idee: Man muss komplett werden, man hat nur einen Flügel und muss sich umarmen um zu fliegen.

Aber es kann nicht aus dem Außen kommen. All die Sicherheit, Liebe und Gelassenheit wird nicht gegeben, sie kann nur gespürt werden. Es ist Selbstliebe.

Das sehe ich, und mein Yoga gestern hat mich darin bestärkt. Aber mein Gott, was ist das knifflig umzusetzen. Es ist ja ohnehin schon schwer, aus sich selbst heraus die Löcher zu stopfen, an die man sich über die Jahre gewöhnt hat, aber es ist noch schwerer, beim Stopfversuch nicht alle auszusperren.

Das ist mir nämlich auch schon öfter passiert: Während ich gut dabei war, ganz bei mir zu sein, und aus mir selbst heraus Stabilität und Sicherheit zu finden, fielen mir plötzlich meine Liebsten aus dem Boot. Den Kontakt zu ihnen zu halten, ihn zu genießen und sich dran zu freuen, und sie dabei nicht als Flicken zu missbrauchen, das ist richtig richtig schwer.

Und zu allem Überfluss haben die ja genau die gleichen Sachen am laufen, und möglicherweise sind sie selber schwer dabei, einen Flicken zu suchen, oder eben selbst zu stopfen und dabei weniger in-Beziehung-sein können.

Sachdienliche Hinweise werden liebend gern angenommen.

“Hab dich lieb” sagte Kira gerade zu mir, nachdem wir ein knackiges Gespräch über Geben und Nehmen, über Selbstliebe, Anhaftung, innere Bedürfnisse, Kontakt zu anderen, Schwäche zeigen und Stützung suchen hatten, weil ich gerade versuche, all das unter einen Hut zu kriegen.

Sie meinte beides, den Imperativ an mich und den Indikativ über sich. Schlau.

Die Gedanken aus meinem letzten Post begleiten mich weiterhin, und ich verstehe mehr über mich.Wenn ich verliebt bin, hatte ich lange das Selbstverständnis, dass die Liebe nur “da sein will”. Ich habe das auch hier im Blog oft geschrieben. Freies Lieben ist frei, weil es nur da sein will.

Ich beginne eine Seite zu sehen, die ich dabei vernachlässige.
Denn ich will geliebt werden.

Wenn ich liebte, und jemand erwiderte das Gefühl nicht, habe ich oft gedacht und gesagt, dass das schon okay ist, Hauptsache, meine Liebe durfte da sein. Böse wurde ich, wenn mir jemand das Gefühl gab, meine Liebe sei nicht in Ordnung. Wenn mich jemand aussperrt.
Das ist ein geschickter Kniff, denn damit bin ich immer aus dem Schneider. Ich will ja gar nichts, ich will nur so sein können, wie ich bin. Da kann mir keiner was, die Liebe findet rein in mir statt, und da hat ja nun wirklich niemand was drin verloren.

Aber so ganz stimmt das nicht. Denn ich will geliebt werden. Es ist ein basales Gefühl, von dem ich glaube, jeder kennt es, und ich bemerke gerade, wie ich es erst jetzt wirklich anerkenne. Verdammte Axt, ich sehne mich nach Liebe und Anerkennung. Und warum überrascht mich das eigentlich? Vor zweieinhalb Jahren dämmerte es mir schon, wie ich jetzt erkenne, aber jetzt ist es wirklich deutlich.

Dieses Gefühl anzuerkennen ist erstmal nicht so schön. Mit Kira erlebe ich gerade Liebeskummer, und ich habe auch bei ihr zunächst gedacht, ich würde nur wollen, dass mein Gefühl anerkannt wird. Aber tatsächlich will ich geliebt werden von ihr, ich will, dass sie so für mich fühlt wie ich für sie.

Es ist nicht schön, das zu bemerken, aus 2 Gründen. Erstens wird das nichts werden in der Form, wie ich es mir wünsche. Das ist schmerzhaft. Es hat auch sein Gutes, weil es sehr viel handfester ist als “Ich darf meine Liebe nicht fühlen”. Ich darf das nämlich durchaus fühlen, und der Schmerz, dass das nicht erwidert wird, ist real und will gegrokt werden. Der Schmerz, dass meine Liebe nicht da sein dürfte, ist abstrakt und irgendwie virtuell. Dieser hier ist echt, und das ist gut. Aber zunächst ist es schmerzhaft, und ich trauere.

Zweitens und komplizierter ist es nicht schön, weil ich mir damit eine Falle baue.

“Wenn jemand Liebe will, dann gibt es so etwas wie Liebe nicht, sondern nur Beweise der Liebe.”
aus “Die Träumer”

Wer geliebt werden will, neigt dazu, alles in die Dichotomie zu packen: Ist etwas ein Beweis von Liebe oder nicht? Man deutet alles auf dieser Dichotomie. Wenn Kira keine Zeit hat, wenn Kira sich verliebt – alles sind Beweise, dass sie mich nicht liebt.

Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich da schonmal weiter war, und auch jetzt noch ist mir durchaus zugänglich, dass ihre Liebe unabhängig von diesen Sachen ist, dass ich ihr wichtig bin und sie mich liebt, so wie sie mich halt liebt (und nicht so, wie ich das gerne hätte).

Dennoch bleibt ein Kummer, jetzt wo ich mir den Wunsch eingestehe, widergeliebt zu werden. Mal sehen, wohin er mich führt. Es hängt mit etwas zusammen, was ich letztens über mich und die Rolle des Leidenden schrieb, und wie ich die Rolle einmal abgelegt hatte:

Ich war dann nicht mehr der Leidende, der nicht wagt, das zu leben, was da ist, ich war ich, und es war halt anstrengend das zu leben, was da ist. Ich hab sogar Fieber bekommen, und war nachher erschöpft.
Aber ich hab es eben gemacht.

In gewisser Weise ist der Kummer genau das gleiche. Und ich habe Kira sogar davon erzählt, habe es gefühlt und gelebt. Habe es eben gemacht.

Ich habe über mich selbst verstanden, dass ich häufig derjenige bin, den Leute sich wünschen. Oft sind die Leute, die sich einen bestimmten J. wünschen, auch Leute die mich lieben, von daher ist das nicht so schlimm: Ich bin dann ein liebenswerter J.

Aber bin ich dann noch J.? Das Muster taucht an vielen Ecken auf, nicht zuletzt in meiner Arbeit: Therapeutisch tätig zu sein (ob Psychotherapie oder Massage) bedeutet, dass man für jemanden etwas ist, was er gerade braucht. Oder was er sich wünscht. Und es ist eine dankbare Rolle, wir alle, die das tun, werden reich belohnt dafür.

Ich kenne dieses Muster auch aus meiner Liebensgeschichte, wenn ich verliebt war in Frauen, die das nicht so sahen. Ohne, dass ich überhaupt zu mir hinspüre, gehen schon Worte über meine Lippen wie “Ist okay, dacht ich mir schon, ist ja auch gar nicht schlimm”, und es ist sogar was Wahres dran. Aber es wäre auch was Wahres an “Wow, das ist richtig, richtig schlimm, und ich bin sehr traurig”.

Auch aktuell gibt es Menschen, wo ich mich vernachlässigt fühle, traurig darüber bin, dass Gefühle nicht erwidert werden, oder ich schlicht das Gefühl habe, mehr reinzustecken. Und natürlich ist das immer okay: Mach wie’s gut für dich ist, ich will dich zu nichts zwingen, Gefühle sind eben Gefühle. Aber es wäre eben auch wahr: Ich vermisse dich, ich will dir nah sein, es macht mich einsam, wenn du mir fehlst.

Selbst in ganz kleinen Situationen passiert mir das: Jemand lädt mich ein, ich freue mich darüber, und sage schon zu, bevor ich bemerken konnte, ob ich da Lust zu habe. Vielleicht bräuchte ich auch meine Ruhe? Vielleicht will ich später auch absagen. Müsste ich mal hinfühlen.

Es geht hier nur einerseits darum, Leiden zuzulassen, Schwäche zuzulassen. Zum Anderen (und fast wichtiger) geht es aber darum, jegliche Gefühle zuzulassen, und vor allem:
Meine Gefühle zu fühlen, bevor ich für die anderen die Reaktion raussuche, die jetzt wohl am allerbesten wäre.

In der Beziehung zu Cullawine ist es auch dieses Muster gewesen, dass mich oft hat stolpern lassen. Noch bevor ich nur ahnte, wie es mir vielleicht gehen könnte, wusste ich schon, was zu tun war, weil ich es von mir erwartete, und nachher merkte ich dann, wie ich gegen mein Gefühl gegangen war.

Ich achte in den letzten Tagen mehr darauf, versuche mehr das zu tun (und zu bemerken) was ich wirklich will, das zu äußern, und dann möglicherweise einen Kompromiss einzugehen. Aber nicht sofort den Kompromiss ausdenken und mich zwingen, den zu fühlen.
Manchmal gelingt es mir. Bei einem Treffen von allen Trainern eines Projekts, für das ich arbeite, scherzte ich mit einer anderen Trainerin, und sie reagierte irgendwann genervt von einem Kommentar von mir. Anstatt gleich zu reagieren mit einem “Du, das hab ich gar nicht so gemeint wie das jetzt wohl angekommen ist”, hab ich sie einfach reagieren lassen und dachte “Herrje, das hat sie jetzt wohl kurz in den falschen Hals gekriegt”.

Und wenn mir eine Mitbewohnerin sagt, ich war ihr in den letzten Tagen etwas zu körperlich, nicht gleich zurückzurudern und Besserung zu geloben, sondern zu sagen “Ich hab dich sehr gern, ich berühre dich gern, und wenn ich an Grenzen komme, bitte zeig mir das. Ich werde jetzt nicht vorauseilend alles unterlassen, was dich möglicherweise stören könnte, denn das ist ein wunderbarer und guter Ausdruck von meinen Gefühlen”.

Bei Kira, in die ich verliebt bin, und einer weiteren gemeinsamen Freundin, von der ich mich manchmal etwas stehengelassen fühle, möchte ich genau das noch mehr schaffen. Weniger “hey, ist doch okay, du bist voll okay”, sondern zu gleichen Teilen ein “hey, ich bin voll okay, bitte respektiere mich mit meinem ganzen Kram”.

Die vielen Schuhe, die im Weg stehen, sind nicht alle zum Anziehen da. Weniger für die anderen sein, was ich für mich sollte. Das ist nicht nur respektvoller mir selbst gegenüber, sondern letztlich sogar auch gegenüber den anderen. Indem ich mich nicht für sie verbiege, nehme ich sie ernster. Indem ich mich ihnen zumute, gestatte ich ihnen eine wahrhaftigere Begegnung mit mir.