In letzter Zeit fällt mir oft ein Junge in der Stadtbahn auf, ein Knabe, der schöne dunkle Augen hat aus denen leise folgender Satz tönt: Tu mir nichts.
Aus seinem Verhalten will etwas ganz anderes sprechen, und eigentlich müsste es laut sein, ist es aber nicht. Oder irgendwie schon, jedoch ist es diese etwas beschämende Lautheit, die man bei schlechten Schauspielern beobachten kann, wenn sie schreien sollen, sich aber nicht trauen. Ich ziehe dann immer die Schultern etwas zusammen und schaue zu Boden, weil in jenen Momenten nicht nur die schöne theatralische Fassade in Schwanken kommt, sondern vor allem auch, weil der Mensch auf der Bühne plötzlich zum Schauspieler wird, zum armen Würstchen, das so gerne so täte als ob, aber nicht mehr überzeugend ist, aber eben immer noch 1,70 über dem Boden auf der Bühne steht und beleuchtet wird.
So ähnlich auch der Knabe. Ich schätze ihn auf 14, maximal 16 Jahre, und ich schätze weiterhin, dass er in einer Clique ist, so einer richtigen mit Hierarchien, Gerüchten und Status.
Beides trägt dazu bei, denke ich, dass er beim Rennen, um die Bahn zu kriegen, darauf achtet, wie er läuft, wie er schaut, wie seine Jacke auf und ab springt, und dass er dann, angekommen in der Bahn, an sich herumzuppelt, sich lässig an die Bahninnenwand lehnt, in die Reflexion der Falttür neben ihm schaut, seine Frisur richtet, und sich noch einmal ein wenig anders hinstellt.
Im Grunde, so hat man mir erklärt, ist das ganz normal. 14 Jahre, Clique, man beginnt seine Geschlechtlichkeit zu spüren und weiß (und hat sogar Recht), dass als Mann Status das Gefährt zum Geschlechtsverkehr ist. Ob das für Erwachsene so bleibt, weiß ich nicht, aber auf der Schule wollen alle Jungs die hübschen Mädchen und alle Mädchen die coolen Jungs.
Cool sein zu wollen ist also ziemlich normal.
Maximalcoolizität muss das Ziel sein.
Was mich aber daran bewegt, ist der Blick des Knaben, der um sanfte Behandlung bittet, in dem etwas die ganze Zeit verzweifelt zu intonieren scheint, es gehöre hier nicht hin, es wolle bitte, bitte raus, nach Hause vielleicht, vermutlich näher zu sich selbst, und das Spiel möge doch aufhören, es sei so anstrengend.
Tu mir nichts.