20.11.2005 19:05
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Allgemein

Powergirl hat mir vorgelesen, was Pascal Mercier über Loyalität zu sagen hat, und ich finde es sehr schön. Es dekonstruiert ein bisschen die Liebe als “Ding”, als etwas, das geschieht, und es hat auch ein bisschen was mit der schwierigen Unterscheidung von Treue und Loyalität zu tun.
Treue finde ich nämlich nicht so toll, Loyalität dagegen unverzichtbar.

Das ist genau wie mit den beiden Begriffen Enge und Nähe sowie Verantwortung und Verbindlichkeit.
Haarscharf, aber eben doch gerade anders, und der Unterschied ist wichtig, glaube ich.

Also los, Herr Mercier.

Die beiden hatten all die Gründe notiert, aus denen heraus Loyalität
entstehen kann.

Schuld am anderen, gemeinsame Entwicklungsschritte, geteiltes Leid, geteilte Freude, Solidarität der Sterblichen, Gemeinsamkeit der Ansichten, gemeinsamer Kampf gegen außen, gemeinsame Stärken, Schwächen, Gemeinsamkeit im Nähebedürfnis, Gemeinsamkeit des Geschmacks, gemeinsamer Hass, geteilte Geheimnisse, geteilte Phantasien, Träume, geteilte Begeisterung, geteilter Humor, geteilte Helden, gemeinsam getroffene Entscheidungen, gemeinsame Erfolge, Misserfolge, Siege, Niederlagen, geteilte Enttäuschungen, gemeinsame Fehler.

Er vermisse auf dieser Liste die Liebe, sagte er.
Der andere antwortete: Daran glaubte er nicht. Mied sogar das Wort. Hielt es für Kitsch. Es gebe diese drei Dinge, und nur sie, pflegte er zu sagen: Begierde, Wohlgefallen und Geborgenheit.
Und alle seien sie vergänglich. Am flüchtigsten sei die Begierde, dann komme das Wohlgefallen, und leider sei es so, dass die Geborgenheit, das Gefühl, in jemanden aufgehoben zu sein, irgendwann auch zerbreche.
Die Zumutungen des Lebens, all die Dinge, mit denen wir fertig werden müssten, seien einfach zu zahlreich und zu gewaltig, als dass unsere Gefühle sie unbeschadet überstehen könnten. Deshalb komme es auf Loyalität an. Sie sei kein Gefühl, meinte er, sondern ein Wille, ein Entschluss, eine Parteinahme der Seele. Etwas, das den Zufall von Begegnungen und die Zufälligkeit der Gefühle in eine Notwendigkeit verwandle.
Ein Hauch von Ewigkeit, sagte er, nur ein Hauch, aber immerhin.

Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon.

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