Monatsarchive: März 2008

Gestern sprach ich über die handfesten, unterschiedlichen Vorstellungen, die Cullawine und mir sehr erschweren, eine gemeinsame Beziehung zu führen.
In den letzten Tagen fällt mir immer mehr auf: Ganz so klar ist mein Standpunkt leider nicht. “Leider”, weil es natürlich sehr bequem ist, einen klaren, sicheren Standpunkt zu haben.

Ich hatte in der Beziehung immer das Gefühl, viel aufgeben zu müssen. Flirts, Zärtlichkeiten, wilde Nächte, Freiheit… Teile davon sind tatsächlich Punkte, von denen ich glaube, Cullawine hat da eine Schwäche und müsste lernen, lockerer zu sein.
Bei anderen Punkten, und die wilden Nächte gehören dazu, stelle ich fest: Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, würde mir das auch schwerfallen. Ich würde mich ebenso zurückgewiesen und ungeliebt fühlen. Bei Marveille war es auch so, dass über die vielen anderen wichtigen Menschen in ihrem Leben, mit denen es um Liebe und Sex ging, für mich irgendwann nicht mehr spürbar war, ob sie mich eigentlich auch liebt und begehrt. Dieses fehlende Gefühl hat dann für mich nach einiger Zeit den Ausschlag gegeben, den Kontakt abzubrechen…

Das ist natürlich seltsam: Ich selber habe ja sowohl Zugang zu meiner Liebe für Cullawine als auch zu meinem Wunsch nach sexueller Freiheit. Für mich ist ganz klar, dass letzteres für mich ersteres nicht schmälert. Aber doch weiß ich auch: Umgekehrt würde mir das ebenfalls wehtun.
Und dann wird für mich sogar verständlich, dass andere, kleinere Punkte ebenfalls schwierig für Cullawine werden, weil sie sich dann fragt: Ist das schon so viel wie das, was mir wehtut?
Wie soll sie denn locker sein, wenn sie weiß, ich möchte eigentlich Dinge, die schwer für sie sind?

Dieser Konflikt – ich habe das Bedürfnis nach sexueller Freiheit, und ich habe Verständnis dafür, dass Cullawine darunter leidet – ist nicht direkt auflösbar. Ich halte (rational) drei Wege für möglich, damit umzugehen.
Der erste ist: Da diese beiden Seiten nicht übereinzubringen sind, war die Trennung richtig, und eine Beziehung würde nicht gehen. Ging nicht, geht nicht. Punkt, aus, Ende der Fahnenstange.
Der zweite ist: Wenn ich doch verstehe, dass Cullawine unter bestimmten Punkten leidet, wenn ich selber auch drunter leiden würde – wie zur Hölle kann ich dann behaupten, man könne das verstehen? Dann müsste ich einsehen: Da passt irgendwas nicht.
Der dritte Weg ist: Wenn es in mir Verständnis für die Verletzlichkeit gibt, obwohl ich gleichzeitig doch auch weiß und spüre, dass sie unnötig wäre, muss es eigentlich einen Weg geben, das zu integrieren, sodass die Verletzlichkeit verschwindet. Dieser Weg hat vermutlich viel mit Kompromissen und mit Ehrlichkeit zu tun, und mit sehr viel Arbeit. Es ist wahrscheinlich der Weg, den wir die ganze Zeit versucht haben, und auf dem wir leider nicht weiterkamen.

Augenblicklich sind wir viel in Kontakt, sprechen viel, fühlen viel nach, bleiben offen. All das scheint mir in jedem Fall richtig zu sein.
Die Frage ist nur: Welcher Weg ist das?
Ein Ziel haben wir nicht. Noch ist der Weg also nicht klar. Wir folgen unseren Bedürfnissen, und das ist richtig so, aber vermutlich steht irgendwann doch einmal die Entscheidung für einen dieser Wege an.
Oder vielleicht gerade nicht, und was ansteht, ist schlicht, weiter zu gehen, ganz ohne Ziel?

Ihr seht, ich bin konfus.

Natürlich ist gerade auch eine Phase, wo ich viel von Polyamory, freiem lieben und allem in Frage stelle, schlicht weil es so unglaublich schwer ist, und zumindest aktuell tue ich jemandem weh, den ich liebe.

Da tut es dann zwischendurch gut, sowas wie beim Streetgirl zu lesen, die als Prostituierte arbeitet:

Sylvia hatte mich telefonisch bestellt. Sie klang recht sympathisch und wir vereinbarten den Termin. Als ich hinkam, empfing sie mich auch sehr freundlich und entschuldigte sich, weil es noch ein paar Minuten dauern würde. [...]
Etwa eine Viertelstunde später klingelte es und Rainer kam nach Hause. [...] Freundlich begrüßte er mich und meinte anerkennend zu Sylvia, dass sie einen fantastischen Geschmack hätte.
Und 5 Minuten später verschwanden Rainer und ich im Schlafzimmer und Sylvia vor dem Fernseher.
via Streetgirl

Gibt’s also doch, Beziehungen frei von Eifersucht, und Sex frei von Aufladungen.

Cullawine und ich sprachen gestern morgen am Telefon über Unabhängigkeit, weil sie auf verschiedenen Wegen manchmal das Gefühl bekommt, ich hätte den ganzen Schmerz schon hinter mir gelassen, würde nicht mehr leiden und sie auch nicht vermissen.

Das stimmt so nicht. Aber in mir ist eben beides, die große Trauer, dass es nicht ging, und die Klarheit, dass es nicht ging. Die Phasen, in denen ich mein Leben wieder weiterlebe, aufbaue, mich gut behandle und Spaß habe, sind halt nicht nur Ablenkung (auch, aber nicht nur), sie sind wichtig, um zu mir zu kommen, sie entsprechen auch der Klarheit. Wenn es so nicht ging, muss es weitergehen. Das ändert nichts daran, dass ich auch traurig bin.

Im Gespräch wurde klar, dass Unabhängigkeit unterschiedliches für uns bedeutet: Für mich ist Unabhängigkeit eine große Sicherheit, und deswegen verteidige ich sie mit Hauen und Stechen. Dieses Hauen und Stechen aber tut Cullawine weh, denn sie hört dann: J. will mich nicht.
Dabei sind das für mich 2 Gedanken, und ich stelle fest, ich muss sie möglicherweise ein wenig besser integrieren: Einerseits unabhängig sein, und andererseits jemandem nah sein wollen. Genau dieses “Beides” ist ja auch im Blogtitel: “freies” und “lieben”. Beides eben.

Wir haben das mit dem Gedanken verglichen, dass man irgendwann stirbt: Dieser Gedanke kann erschreckend oder tröstlich sein. Für mich jedenfalls ist er eher tröstlich, und schränkt nicht ein, dass man jetzt lebt.
Die Analoge zu “freies lieben” wäre “endliches Dasein”. Ja, es ist endlich. Aber erstmal Da sein.

Allerdings, das sehe ich schon ein, entspricht mein augenblickliches Verhalten eher dem Austausch “Ach, ist das Leben nicht schön?” – “Ja, aber nicht vergessen, man stirbt auch! Nicht, dass wir uns hier Illusionen machen.”

Da muss ich mal dranbleiben, glaube ich. Zwar gibt es auch sehr handfeste unterschiedliche Vorstellungen von Beziehung, die möglicherweise nicht zu vereinbaren sind, aber bei den Phantomen anzusetzen, die einen quälen, ist in jedem Fall eine gute Idee. Egal, ob es zielführend ist, es ist richtig.

“Du bist cool” sagte meine Mitbewohnerin gestern zu mir, und überraschte mich. Der Anlass war nämlich gar nicht so cool, denn ich war dabei, für ein paar Tage die WG zu verlassen, in der Cullawine und ich uns kennenlernten, zusammenwaren, trennten und jetzt eben miteinander umgehen mussten. Nun zieht Cullawine aus, und der zeitweise Auszug meinerseits war die Reaktion darauf, dass wir uns nicht vorstellen konnten, während Packen und Auszug aufeinanderzuhocken. Also lieber kurz “aus dem Feld gehen”.

“Wieso bin ich denn cool?”, fragte ich, denn ich fühlte mich eher sehr verloren in der Situation.
“Naja, euer Umgang ist cool, wie ihr allem Raum gebt, Liebe und Nicht-Liebe”.
Das war schön zu hören, denn das stimmt und ich verliere es manchmal aus den Augen. Der Umgang ist gut.

Zumindest solange ich davon ausgehe, dass die Trennung das richtige war, beziehungsweise das einzig mögliche, ist der jetzige Umgang gut. Eine Richtung ist nicht wirklich erkennbar – für Cullawine macht es das schwieriger, für mich aber erscheint es sehr authentisch. Ich will nämlich zweierlei: Einerseits will ich zurück zu mir finden, will Verstrickung auflösen und unabhängig sein. Andererseits will ich aber auch Cullawine in meinem Leben haben, will gerne eine Möglichkeit finden, wie es weitergeht, und hätte mir sogar gewünscht, dass die Beziehung klappt.
Der Weg, den wir jetzt gehen, entspricht diesen beiden Seiten in mir. Ich weiß zwar nicht, ob er in eine klare Richtung weist (eher nicht…), aber er ist aufrichtig. Auf jeden Fall ist er aufrichtiger, als entweder jeden Kontakt zu kappen oder stattdessen weiter in einer Beziehung zu bleiben, die sich nicht gut anfühlte.

Der richtige Weg ist nicht immer der schönste.

Mich haben Grenzgebiete von Sexualität und Geschlecht immer interessiert. Ob Asexualität (Menschen, die kein Interesse an Sex haben, aber durchaus an Zärtlichkeit und Beziehung), Transgender (Menschen, die sich zu einem anderen Geschlecht umoperieren lassen, weil sie sich im “falschen” Körper fühlen) oder eben auch Polyamory (Menschen, die Interesse an mehreren parallel geführten Liebesbeziehungen haben).

Das alles ist ja nicht “normal”, und das gefällt mir. Warum gefällt mir das? Ich glaube, weil Abweichungen von der Norm immer wieder neu in Frage stellen, was wahr ist. Das gibt es auch im Kleinen: In Deutschland beispielsweise gibt es ein Nacktheitstabu. Man kann nicht einfach nackt einkaufen gehen, wo kämen wir denn da hin. Einfach so nackt sein geht nicht. In der Sauna geht es dann aber plötzlich doch.
Auch Swingerclubs stellen die Sex-Negativität, die hierzulande herrscht, sehr in Frage: Offensichtlich gibt es Menschen, die schlicht ein Interesse an bindungslosem Sex haben, und das auch sehr erfolgreich tun.

Intersexuelle Menschen, oder auf vulgärsprachlich: Zwitter, eröffnen ebenfalls eine neue Wahrheit hinsichtlich der Rolle von Geschlecht für unsere Identität. Was ich nicht wusste: Jeden Tag wird in Deutschland ein intersexuelles Baby geboren. Das sind immerhin ein halbes Promill aller jährlichen Geburten – immer noch eine winzige Minderheit, aber eben doch keine Einzelfälle, sondern Fakt. Bei den meisten dieser Babys entscheiden dann die Eltern über das Geschlecht, und Eierstöcke oder Hoden oder was auch immer nicht ins Bild passt wird raus- oder abgeschnitten.

So mächtig ist die Zweigeschlechtlichkeit, so sehr will man ignorieren und anpassen, was das in Frage stellt. Da fragt man sich schon: Wieso wäre es so schlimm, ein drittes, viertes und fünftes Geschlecht zu haben?

Mehr Info gibt’s bei PolyLux in einem Beitrag, mit netten intersexuellen Menschen, bei denen man nicht versteht, warum es die nicht geben sollte. Wirken alle sehr freundlich und bescheiden.

(via Genderblog)