Monatsarchive: Februar 2006

27.02.2006 23:17
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In die meisten meiner guten Freundinnen war ich irgendwann im Laufe unserer Freundschaften mal verliebt. Das war manchmal schwierig, oft aber auch völlig okay.

In Paikja habe ich mich interessanterweise nie verliebt, obwohl ich soeben noch einige Dinge dachte, bei denen mir klar wurde, wie unglaublich intensiv meine Liebe für sie ist, meine Begeisterung für kleine Dinge, die sie tut, wie sie lacht, wie sie konzentriert ist… ich könnte ihr die ganze Zeit nur zuschauen, wie sie sie selber ist.

Nun dachte ich darüber nach, wie das kommen könnte, und kam zu dem Schluss, dass für meine Gefühle in unserer Freundschaft immer genug Platz war. Es gab nie ein Gefühl von “das hier ist jetzt aber zuviel für unsere Freundschaft”, es war immer okay.
Mir eröffnete sich in dem Moment der Gewahrwerdung dieses Sachverhalts die Arbeitshypothese, dass man das Wort “Verliebt” immer dann benutzt, wenn man unzufrieden mit dem ist, was da ist.
“Eine Freundschaft oder mehr?” fragt man gern, was eigentlich ja auch heißt: “Ist dir die Freundschaft genug oder nicht?”, also “Ist dir das, was ihr Freundschaft nennt, genug?”.

Die Implikation, dass Verliebtheit somit automatisch mit Unzufriedenheit zu tun hat, finde ich sehr interessant, und interessanterweise auch nicht unangenehm.

Darüber muss ich noch weiter nachdenken, aber ich finde es einen schlauen Gedanken, wenn ich das mal sagen darf. Ich glaube, da steckt noch was drin…

27.02.2006 16:45
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Im Berliner Ensemble [sind] die Haupttugenden des Theaters ausdrücklich erwünscht: Phantasie und Imrovisation, Frechheit und Toleranz, Selbstironie, Sex, Geschmacklosigkeit, Subversion, Unsittlichkeit, Irrsinn und Gelächter, Obszönität, Blasphemie, Ironie, Publikums-, Kritiker- und Selbstbeschimpfung und so weiter und so fort bis ans Tor der Hölle.
Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles

Was für ein Zitat!
Hintergrund ist ein “Skandal” in Frankfurt: Thomas Lawinky, ein Schauspieler, hat im (offenbar sehr modernen) Stück “Das große Massakerspiel. Oder: Triumph des Todes” einem Kritiker der F.A.Z. seinen Block aus den Händen gerissen und ihn dann aus dem Haus gejagt.
Der Berliner Intendant hat dem besagten Schauspieler Asyl angeboten, weil das Frankfurter Haus sich genötigt sieht, ihn rauszuwerfen.
Die Geschichte ist per se ziemlich albern, aber das Zitat! Ich muss öfter ins Theater gehen, glaub ich. Irrsinn, Unsittlichkeit und Blasphemie… genau mein Ding!

26.02.2006 20:48
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Meinen Zivi habe ich im Naturschutz gemacht. Das war eine feine Sache, einmal weil ich dort verstanden habe, wie Naturschutz so geht und somit mein Gewissen gebildet wurde, und auch, weil ich da den ganzen Tag Bäume getragen habe und super aussah. Das war fein.

Weniger fein war das Betriebsklima. Es war nie feindselig, aber mir scheint, bei jeglicher Form von technischer oder handwerklicher, jedenfalls eher nicht geistiger Tätigkeit, beschäftigt sich das Gehirn damit, spitze Kommentare zu verfassen und irgendwem vor die Füße zu kommentieren.
Das ist, obwohl ich auch immer mitmache (meinem Cortex ist ja auch langweilig), eigentlich eine dumme Geschichte, und man wird hart davon, und hart sein ist scheiße.

Einige meiner Kollegen waren aber dennoch ganz wunderbare Leute, alle auch ein bisschen speziell (ich meine, hey, Naturschutz heißt im Grunde nichts anderes als Dreck, Früh Aufstehen und keine Lobby), und unter anderem gab es einmal einen Praktikanten, mit dem mich die Musik verband.
Gut, seine Musik war Metal, aber naja, er war witzig und weltoffen, wie das Metaller häufig so sind, und wir redeten über dies und das.

Wir kommen aufs Zeichnen, und dass ich auch zeichnen würde. Ich habe damals eher Fantasy-Kram gezeichnet, und er, als Märchenmetalfreund und Rollenspieler, wie ich, fand das natürlich gut.

Der Drache, den ich ihm mitbrachte, war, das fand ich auch, ganz hübsch geworden, ich mochte ihn. Er frug, ob er sich die Zeichnung mal kopieren könne, er hätte da eine Freundin, die das vielleicht interessieren könnte.

Klar, machte ich, und war geschmeichelt.

Heute (und bis an ihr Lebensende) trägt besagte Freundin diese Zeichnung auf der Haut. Der Praktikant eröffnete mir einige Tage später, dass sie sich die Zeichnung tätowieren lassen wollte, an irgendeine Stelle, die man selbst in Unterwäsche nur so halb sieht, wenn ich mich richtig erinnere.

Gerade fiel mir das wieder ein, immerhin ist das 7 Jahre her. Aber auch in nochmal 7 Jahren wird es mir einfallen können, und wieder und wieder. Verrückt. Jemand trägt meine Zeichenstriche auf der Haut.

25.02.2006 22:15
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Schnack!, Schnack!, Schnack!. Um mich rum gehen Leute dem Leben in die Falle, und verkaufen ihr Jetzt, das arme zarte Ding, für ein besseres Morgen.
Täglich aufs Neue.

Dienstag wird auf den Mittwoch gespart, an dem man dann den Donnerstag vorbereitet, wo man wiederum den Freitag nicht vergessen darf. Am Wochenende wird ausgeruht, damit man am Montag wieder so richtig gut dabei ist.

Schnack!. Mir selber geht es nicht anders. Beim Abi dachte ich noch, dass es nach der Schule alles besser würde.
“Okay, die 2 Monate paukst du jetzt was das Zeug hält, danach kannst du endlich machen, was du willst: Studieren!”
Vom Studentenleben hatte ich schon gehört, es würde toll werden.

Doch bei jeder Prüfung war da wieder dieses Gefühl: Wenn doch nur diese eine Prüfung schon vorbei wäre, dann könnte ich mich endlich wieder mir selbst widmen. Und bei dieser einen Prüfung auch. Und bei dieser. Und dieser.

Dabei gibt es außerhalb des eigenen Lebens nichts im Leben, nichts und wieder nichts, dem es sich zu widmen lohnt. Ist ja auch tautologisch. Die einzige Frage, die auf dem Sterbebett noch irgendeine Gültigkeit für den Sterbenen haben wird, ist die nach dem guten Leben.
Alles andere, das Geld, die Karriere, die Partner, die Kinder, wird letztlich daran gemessen, ob sie das Leben waren, das man haben wollte.

Und doch stecke ich da drin. “Na gut, noch die Diplomarbeit, aber dann bin ich wirklich mein eigener Chef” ist genau das Gleiche wie “Na gut, noch das Abi”, und wird das Gleiche sein wie “Na gut, die ersten Jahre im Job sind immer anstrengend” und “Na gut, die 2 Jahre bis zur Rente mach ich das jetzt auch noch mit.”

Wann ist eigentlich der Moment da, in dem man sich dem wirklich verwehrt? In dem man wirklich sagt “Nö. Das mach ich nicht. Lieber baue ich einen Schneemann/ küsse jemanden/ schaue den Finken bei Nestbau zu”.
Ich hoffe, es dauert nicht mehr lange.

“Wenn du etwas machst, ohne Spass daran zu haben, kannst Du ebensogut tot sein.”
Keita Takahasi
via AnmutUndDemut

24.02.2006 1:58
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Ich habe in der letzten Zeit viel über Offenheit und Nacktheit nachgedacht, habe viel darüber gesprochen, und habe beides natürlich überall gesehen, weil jeder Gedanke halt eine Brille ist, die mir bestimmte Dinge besonders deutlich zeigt, und andere nicht.

Besonders die Gespräche mit dem Zugmädchen, das näher kennenzulernen mir jetzt vergönnt ist, drehten sich viel um diese Nacktheit, darüber, wie sie gute Kunst kennzeichnet, gute Musik, gute Momente, namentlich eben die Soul Moments, wie man dann ganz nah bei sich ist, und man da eben hingehört.

Und mir fällt auf: Ich habe den richtigen Beruf gewählt. Schon während meines Praktikums beim Psychotherapeuten habe ich das gespürt:

Nicht nur haben alle Menschen [...] Probleme, sie werden durch sie gezeichnet.
Sie zeichnen uns aus. Wir sind halt alle Menschen, und unser Leid ist gleichzeitig unsere Schönheit.

Und in anderer Form habe ich diese Erkenntnis nochmal gemacht:

Alle Menschen lieben, alle Menschen weinen. Häufig in rascher Folge.

Und die Menschen zeigen sich, wenn sie zu Therapeuten gehen, sie sind nackt, und sie werden so wunderschön. Die Masken fallen, der Mensch tritt hervor.
Ich hoffe, das klingt nicht voyeuristisch, denn das ist es nicht. Es geht mir nicht darum, mich am Anblick von etwas zu ergötzen, das ich erhasche, das mir nicht zusteht, es geht schlicht darum, dass es wunderschön ist, das zu sehen, was wirklich da ist.

Im Grunde, und das ist wirklich ein Traum, kommen die Menschen sogar extra zu mir, beziehungsweise allgemein zu Therapeuten, noch bin ich ja keiner, um näher zu sich zu gelangen, um etwas zu verstehen, sich weiterzuentwickeln, was auch immer.
Um sich zu öffnen.

Und ich bin wirklich, wirklich dankbar dafür, jedem einzelnen und GottSchicksalWeltKarmaGlückZufallUniversum, dass ich dabei auf dem zweiten Stuhl im Raum sitzen darf.
Denn ich spüre in mir das Echo der großen Offenheit des Gegenübers, spüre, wie es in mir schwingt, wenn jemand nah bei sich ist, und ich gelange so auch näher zu mir. Weil ich erkenne, worum es geht, weil ich dann fühlen kann, wenn auch vielleicht nur stellvertretend, dass der Weg zu sich selbst immer der richtige ist.

21.02.2006 23:41
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Eltern sind doch eine ganz verrückte Sache. Oder vielmehr ist die Beziehung zu Eltern, so ganz allgemein, eine wirklich außerordentlich verrückte Geschichte.

Natürlich, es gibt Ausnahmen. Es gibt diese Leute, die einfach mit 16 ausziehen, und das war’s dann mit den Eltern. Und es gibt auch Leute, die wirklich und ganz in echt ihre Eltern schlicht mögen, gut mit ihnen auskommen, sie bei manchen Dingen eher anrufen als sie ihre Freunde anrufen würden.

Aber für das Gros der Menschheit (soweit ich das überschauen kann, was zugegebenermaßen nicht so dolle weit ist) sind Eltern etwas Komisches.
Für mich auch.

Das komischste an allem ist, dass man Eltern nicht einfach Eltern lassen kann. Familie ist doch, das hat mir mein Psychologiestudium hie und da immer wieder aufgezeigt, zentral für so alles Mögliche, nicht zuletzt eben die geistige Gesundheit.
Und diese Relevanz spürt man sogar.
Ich für meinen Teil hatte, als ich 17 war, mit dem Gedanken gespielt, eine Psychotherapie zu machen, da fing das gerade an, dass man das machen konnte, nicht weil man verrückt sondern weil man willens war, sich zu entwickeln.
Ich habe das dann aber gelassen, weil ich befürchtete, im Laufe der Therapie mit meiner Mutter reden zu müssen.

Nicht dass das schlimm wäre, meine Mutter ist nett, aber …

Ja, was aber eigentlich?

Mal von etwas weiter vorn: Das Thema Familie gehört hier ins Blog, weil es 2 große Themen des Blogs berührt und vereint: Normen und Liebe.
Seine Eltern hat man nämlich zu lieben. Koste es was es wolle. Oder wenigstens zu hassen, aber Gleichgültigkeit gilt als verhaltensgestört, denke ich. Übrigens, das wird in Polyamory-Kreisen gern als Argument ins Feld geführt, wird bei Eltern auch genau erwartet, dass man beide liebt, möglichst beide gleich, und umgekehrt, bei mehreren Kindern, ist es auch so. Aber das nur am Rande.

Elternliebe ist normal, so heißt es. Ist die Norm. Dann muss es ja wohl normal sein. Warum ist es dann nur so höllisch schwer, seinen Eltern das zu sagen? “Mama, ich liebe dich.” Gott, es ist sogar komisch zu schreiben.

Ein kindliches und ergo distanziertes “Ich hab dich lieb” ist einfach, das sagt man besonders gern und leicht in Situationen, die das hergeben, wenn es jemandem schlecht geht, oder wer was Schönes tut. “Ich hab dich lieb” ist aber nicht der Punkt.

Die Beziehungen in der Familie kommen immer wieder rauf. Immer. Ich denke über Beziehungen nach, und wie ich darin funktioniere: Zack, meine Eltern stehen auf der Erklärungsmatte, schuldbewusst die Scheidungsurkunde in den Händen, und irgendeinen Spiegel über Scheidungskinder, den es sicher gibt, meinetwegen einen Stern, in der Hand.
Ich denke über Beruf nach, und wie ich dabei so funktioniere, und: Zack, stehen da Dr. Papa und Dr. Mama und sonnen sich in dem, was sie erreicht haben. Und ich denke: Mensch, steht ihnen aber gut, die Sonne… ob ich wohl auch…?

Und so geht das weiter.

Mir leuchten beide Seiten der Frage “Liebe ich meine Eltern?” ein.
Erstens: Warum sollte ich? Klar, ein feiner Zufall, sollte man die Menschen tatsächlich mögen, die einen zunächst in den Leib hinein- und dann wieder herausbugsierten, diese Menschen, die man zufällig Eltern nennt. Ist sicher nett. Das ist so, als wenn ich im Urlaub mit 2 Fremden in einem Appartment wohne und feststelle, dass ich sie mag.
Klasse Urlaub. Aber erwarten kann ich das natürlich nicht.
Zweitens aber auch: Warum sollte ich nicht? Alle meine Gene, bis auf ein paar durch Crossing Over und Spontanmutation veränderte Kollegen, könnte ich in diesen beiden Menschen wiederfinden. Sie sind ich. Natürlich liebe ich die, zumindest, wenn ich mich selbst liebe.

Dummerweise sind aber beide Sichtweisen recht sinnig, ich vermag mich nicht zu entscheiden, und so hänge ich in den gleichen Seilen, wie das Gros der Menschen, soweit ich das überschaue.
In den Seilen nämlich, an denen unten die Anker dran sind.

20.02.2006 17:55
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Vor einiger Zeit habe ich in der Psychotherapiepraxis, die meinem Ausbildungsinstitut angegliedert ist, Team gemacht, und der Klient hat etwas ungemein Schönes gesagt.

Er sagte, er habe ein Lieblingsbuch (welches tut hier nichts zur Sache), das habe ihn sehr bewegt, er habe es aber nie zu Ende gelesen… Es sei ihm zu eng geworden, zum Ende hin.

Ist das nicht wunderschön? Der Mann liebt ein Buch, das er aber gar nicht komplett kennt. Es ist so nah an ihm dran, dass es ihn einengt, das Buch ist so sehr er selbst, dass er es nicht aushält, zu wissen wie’s ausgeht… Oder er ist so sehr mit sich selbst konfrontiert, dass er, unabhängig vom Ende, schlicht aufhören musste.

Ein unglaublich bewegendes Bild…

18.02.2006 14:09
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Gestern bei meiner Ausbildung sprachen wir übers Psychologisieren, also über das Zuschreiben von internen Motiven zu bestimmten Handlungen.

Wenn beispielsweise jemand auf eine Tür zugeht, die Klinke berührt, dann aber doch umdreht, gehen die Erklärungen im Kopf ab. Der hat was vergessen, der ist verwirrt, der hat Angst davor, da reinzugehen.
Das Spiel geht dann weiter, wenn jemand erzählt, dass er denkt, dass derjenige Angst hat, und die nächste Person mutmaßt “Na, wenn du da Angst reininterpretierst, scheinst du ja Angst zu haben…”.

Es ist ein recht starkes Vorurteil über Psychologen, dass die das am laufenden Band machen. “Sie schauen so komisch, verbergen Sie etwas?”, “Sie riechen so streng, hassen Sie mich?”, “Sie sitzen so vorgebeugt, wollen Sie etwas loswerden?”.
Ich halte das Vorurteil weitgehend für Unfug. Was uns Psychologen diesbezüglich auszeichnet, sind 2 Dinge.
Erstens achten wir in der Tat mehr auf sowas. Zugegeben. Das ist aber nichts, was das Studium aus uns macht, sondern etwas, weswegen wir Psychologie studiert haben. Uns interessieren Menschen. Genau wie viele andere Leute auch, nur dass die halt nicht Psychologie studiert haben. Die Kausalität des Vorurteils ist falschrum.
Zweitens, und das kommt in der Tat aus dem Studium oder eben, wenn man Therapeut wird, spätestens aus der Therapeutenausbildung, eine erhöhte Bewusstheit dafür, dass man psychologisiert.

Denn alle Menschen tun das. Das ist sensemaking, so verstehen wir die Welt, und daran gibt es nichts auszusetzen. Es wäre sogar schlimm, wenn das nicht geschähe, und man einen weinenden Menschen nicht tröstete, weil man ja nicht von seinem Verhalten auf die Psyche schließen wollte.

In gewissen Kontexten aber bedeutet Psychologisieren eine gewisse Macht. Das ist ein Vorwurf, den die klassische Psychoanalyse oft hört, in meinen Augen durchaus zu Recht: Die Definitionsmacht liegt beim Therapeuten. Wenn die Therapeutin sagt “Sie hassen Ihre Eltern”, und zurückkommt “Nein, Quatsch!”, kann immer kommen “Sehen Sie? Verdrängung…”. Die Therapeutin hat immer Recht, sie definiert Wahrheit, sie definiert Realität. Und zwar die Realität des Klienten.
Psychisch krank zu sein entscheidet man nie selbst. Das entscheiden immer andere. Du bist nicht normal.

Diesen Aspekt des Psychologisierens muss man als Therapeut bewusst haben. Wenn ich jemandem sage “Ah, und deswegen sind sie traurig” habe ich Macht übernommen, habe eine Suggestion gesetzt, einen Kausalzusammenhang ins Spiel gebracht. Das lässt sich nicht immer verhindern, wie gesagt (auch wenn offene Fragen meist eine gute Idee sind), aber es bedarf in dem Job einer großen Fähigkeit, sich selbst wieder in Frage zu stellen, die eigenen Hypothesen als genau das zu erkennen. Hypothesen. Eigene.

Gestern abend im Bett fiel mir auf, dass das auch für einen selber gilt. Ich habe Macht über mich, das ist ja auch per se was Gutes, aber natürlich führt auch meine eigene Psychologisierung dazu, dass ich Sinnzusammenhänge konstruiere. Auf “konstruieren” liegt die Betonung, denn im Zweifel gibt es sie nicht. Viel trägt dazu bei, wie ich mich selbst deute.
Um ein kurzes Beispiel zu nennen: Schachter & Singer haben irgendwann in den 60ern, wenn ich nicht irre, als es noch keine Ethikkommissionen gab, Leuten Adrenalin gespritzt, wobei gesagt wurde, es wäre irgendein Medikament. Gruppe A wurde informiert, dass die Nebenwirkung großer Ärger sein könnte, Gruppe B wurde gesagt, es sei großer Enthusiasmus.
Und siehe da… die Leute interpretierten sich selbst, und zeigten exakt die ihnen vorgegebene Emotion.

Wir deuten uns selbst. Unser Nervensystem schickt nur Nullen und Einsen ins Gehirn. Was das Gehirn dann draus macht, kommt auf zig Faktoren an. War da wirklich ein Geräusch? Nein, ich hab es mir eingebildet. Was ist Wahrheit? Die Nullen und Einsen, die ankommen? Oder der Auslöser der Nullen und Einsen? Ist es dann egal, ob der im Innen oder im Außen ist (Stichwort Halluzinationen – ist das Pferd für alle anderen auch da: Gut. Sieht man es nur selbst: Schlecht).

Wir haben die Definitionsmacht für uns selbst. Wir bestimmen unsere Wahrheit. Wir psychologisieren uns. Wir sind der deus ex machina, wir finden einen Sinn in der Maschine, die wir selbst sind. Und genau wie für Psychologinnen mit Klientinnen gilt auch für uns: Vorsicht! Psychologisieren macht etwas mit mir.
Es wäre sinnvoll, die Deutungen über einen selbst so zu wählen (und wählen tun wir am laufenden Band), dass man am Ende gestärkt ist.

17.02.2006 12:44
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So, der Reader ist einigermaßen durchgelesen, und ich finde ihn gut.

Nichts Neues, eigentlich, wenn man sich mit dem Polykram ein bisschen beschäftigt hat, aber interessanterweise fällt das Wort “Poly” kein einziges Mal. Easton & Liszt werden aber zitiert, das heißt man kennt das Wort schon…
Vermutlich ist den Autoren das zu sehr Etikett – das kann ich nachvollziehen. Ich selber habe ja vor einiger Zeit für mich festgestellt, dass “freies Lieben” für mich nach wie vor besser zusammenfasst, was ich will, als Poly es tut. Die Tatsache, dass Liebe für viele Menschen möglich ist, ergibt sich automatisch, wenn man versucht, sich von allem möglichen Kladeradatsch zu befreien.

Häufig wird Polyamory sogar auch in dieser Lesart benutzt – als grundsätzlichere Form, über Liebe und Beziehungen nachzudenken, etwas zu ändern am eigenen Blickwinkel. Häufig aber auch nicht, häufig wird Poly gegen Mono aufgewogen, und dann geht es schlicht um die Anzahl der Partner (und peripher um Besitzdenken). Da fällt viel hinten rüber.

Wie dem auch sei, zurück zum Reader. Der hat nämlich genau meine Perspektive des freien Liebens um das schöne metaphorische Konzept der Matrix bereichert.

Espi* benutzt den Begriff, und er scheint in linksradikalen Kreisen ganz normal zu sein.

Die meisten von uns kennen den Film. Menschen leben, eingepfercht in Brühschlammblasen, um einen omnipotenten Staat mit Energie (war es Energie?) zu versorgen. So weit, so analog, mit dem Unterschied zur realen Welt, dass es offensichtlich ein “Die da oben” tatsächlich gibt. In der realen Welt konstruieren sich die Leute ein “Die da oben” zurecht, glaube ich. Eigentlich sind wir alle die da oben. “Du bist der Staat” heißt auch, dass “die da oben” Menschen sind wie du und ich.
Power attracts the corruptible.

Jedenfalls ist ja das Perfide an der Matrix, dass die Leute in diesen Blasen ein Leben vorgegaukelt wird, dass frei und ganz nett ist. Und alles macht so viel Sinn, alles ist super.
Wieder analog. Zur Erläuterung aus dem Reader:

“Matrix” ist dabei eine Metapher für ein System, in dem Diskurse und Zurichtung so subtil und perfekt wirken, dass die Menschen das Bestehende “wie von selbst” reproduzieren und sich dabei frei fühlen.

Damit sind wir in der Tat angekommen bei “Die da oben” sind “Wir da unten”.
Bezogen auf Liebe: Weil wir bspw. glauben, dass man nur einen Menschen gleichzeitig lieben kann, ist es auch so. Wir machen uns unsere Welt, die uns dann gefangen nimmt. Diesen Zirkelschluss gibt es in ähnlicher Form auch bei Watzlawick und Luhmann.

“Matrix” finde ich dafür einen sehr netten Begriff. Irgendwie habe ich mir die tatsächliche philosophische Tragweise des Films (zumindest des ersten Teils) in der Form noch nie bewusst gemacht…
Gutes Wort. Nehm ich.

17.02.2006 11:33
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Titelbild

Soeben eine neue Ressource zum Thema Lieben gefunden:

Beziehungsweise frei ist eine Broschüre aus einer gender-kritischen, postfeministischen Ecke, würde ich sagen, einer Ecke, dir mir ziemlich gut gefällt.

Ich hab’s gerade erst gefunden, noch nicht gelesen, wollte aber schonmal darauf hinweisen (Dann können wir ja vielleicht nachher mal drüber reden, ne?).

Sehr, sehr gut, dass sich langsam die deutsche Szene von Kritikern der Monoheteronormativität mobilisiert und politisiert! Sehr sehr gut!

Sexuelle Gesinnung bleibt ein Politikum.

Ob und wie weit Gender mit in die Polyamory-Diskussion gehört, sei mal dahingestellt. Das muss jeder gucken – ich persönlich halte es durchaus für zusammenhängend.
Die Öffnung von Beziehungen im Rahmen von Polyamory geschieht aufgrund der Annahme, dass immer genug Liebe da ist; Liebe ist also der Motor, durchaus auch Liebe für sich selbst und grundlegende Liebe für den Mitmensch als solches. Da passt Monosexualität schonmal nur bedingt rein, das schmeckt dann eher nach gesellschaftlichem Konstrukt.
Zudem ist man als Poly aber natürlich genauso Randgruppe, wird genauso diffamiert (mir ist das letztens zum ersten Mal passiert, da könnte ich die Tage mal drüber bloggen) wie andere, eher genderbezogene Randgruppen: Transsexuelle, Transgender, nach wie vor Homosexuelle… ich halte das für vergleichbar, was die gesellschaftliche Position angeht.

Mal schauen, was der Reader so hergibt – vielleicht kann ich da ja mitmachen! So als 5. Job… boing.