Monatsarchive: August 2010

Die Wahlschwester und ich kamen im gemeinsamen Urlaub an einen Punkt, den wir auch aus Beziehungen und aus dem Leben allein kennen: Das Gefühl, dass alles sehr hohl ist, dass das Leben und die eigene Existenz leere Hülsen sind. Gerade im Kontrast dazu, dass hier im Urlaub alles perfekt ist, wird das sehr schmerzlich spürbar. Der Ort, an dem wir sind, ist traumhaft schön, wir haben endlich einmal Zeit für uns jeweils allein und auch Ruhe für unsere Freundschaft. “Aber warum bin ich dann trotzdem nicht restlos glücklich?” fragt es im Inneren und strahlt dieses Mangelgefühl als wachsendes Leid hinaus in das ganze Wesen. Gerade im Angesicht von so viel Gutem wird es einem bewusst: All dieses Gute ändert leider nichts an dem inneren Mangel.

Glücklicherweise wagte es die Wahlschwester, das Gefühl anzusprechen. Ich selber hatte es auch, litt aber still – oft hatte ich die Erfahrung gemacht, dass es eher schlimmer wird, wenn man es ausspricht. Die Nachfragen, warum es einem denn nicht gut ginge, es wäre doch toll hier, sie unterstreichen noch stärker den eigenen Mangel an situationsadäquatem Glück.

Die Wahlschwester und ich sammelten in dem sich ergebenden schönen Gespräch Situationen, in denen wir diese Leere nicht spüren (Tanz, Zärtlichkeit, Sport und derlei) und stellten fest: All dies sind Krücken. Sie ändern nichts an der Leere, sie lenken allenfalls davon ab.

Aber vielleicht, so durchgrübelten wir die Sache weiter, ist das genau die Aufgabe: Das Leben ist hohl, füll es!
Aber wieso hilft es dann denn nicht dauerhaft?

Vielleicht, dachten wir dann, ist es wie mit dem Hunger. Da klagt ja auch niemand: “Ich hab alles probiert! Möhren, Kartoffeln, sogar Fleisch, aber das sind alles nur Krücken! Die Leere kehrt immer zurück!”

Vielleicht geht es nur darum, diese Leere besser anzuerkennen. Sich zu trauen, den Hunger als Teil des eigenen Menschseins anzuerkennen und auch offen anderen gegenüber zu sein mit diesem Teil.

Wir beide neigen nämlich in Beziehungen dazu, diese Seite zu verbergen, denn wir haben mal gelernt: Beziehungen (zumindest wenn sie gut sind) stillen diesen Hunger. Wenn wir ihn also dennoch spüren, ist das Verrat an der Sache, Verrat am Partner. Dies bringt uns dazu, uns selbst und diesen Hunger zu verleugnen, denn leider ist es Quatsch, was wir gelernt haben: In Wirklichkeit stillen Beziehungen diesen Hunger nicht. Dieses Verleugnen unseres Selbst ist dann übrigens auch gleich ein Einstieg in die letztens beschriebenen Spiralen.
Zu uns zu stehen heißt auch, uns mit diesem Hunger auf jemanden einzulassen, ihn eben als Teil des Pakets zu sehen.
Dieses Dazustehen hat die Wahlschwester gewagt, und tatsächlich war sie erst dann wieder ganz für mich spürbar. Auch ich selbst konnte erst im Dazustehen wieder merken: Stimmt, wir sind uns ja wichtig, wir lieben uns.

In Liebesbeziehungen lassen wir das häufig sein (was sicher auch mit der Sehnsucht nach der einfachen Lösung zu tun hat). Kein Wunder, dass das Gefühl der Leere dann weiter wächst: Wir verleugnen da etwas. Wir nehmen uns zurück, aber “zurück” bedeutet hier natürlich “fort vom Anderen”, und das Gefühl der Distanz wächst.

Wie so oft ist der einzige Ausweg: Wagen zu Sein.

Irgendwann in Beziehungen werde ich nervös. Meine Gedanken werden bestimmt von Sorgen, etwas falsch zu machen – sei es gegenüber meiner Partnerin, weil ich unaufmerksam, grob oder egoistisch bin, oder sei es gegenüber mir selbst: Bin ich hier eigentlich richtig? Will ich diese Beziehung wirklich?

Auch körperlich zeigt sich diese Nervosität: Ich habe dann den Eindruck, mein Herz pocht schneller und lauter, meine Atmung ist flach, und meine Brust fühlt sich eng an. Paniksymptome, wenn ich ganz ehrlich bin.

Diese Nervosität ist nicht so einfach zu besiegen – ich halte sie für meinen größten Feind, wenn es um Beziehungen geht.
Versuche, mit ihr umzugehen, führen häufig in die Meta-Falle (in der alles, was man tut, mit der Beziehung zu tun hat, sodass es keinen Rückzugsraum ins Individuelle mehr gibt), und somit werde ich wieder nervös.
Die Schleifen greifen dabei ineinander: Wenn ich mich nicht ganz heimisch fühle in der Beziehung, ziehe ich mich zurück. Der Rückzug verunsichert mein Gegenüber, sodass ich Angst bekomme etwas falsch zu machen und beginne, gegenzusteuern: Ich versuche, mich weniger zurückzuziehen, wofür ich mich anstrengen muss, und habe dadurch das Gefühl mich zu verstellen – immerhin will ich mich ja eigentlich zurückziehen. Diese Anstrengung, das Bemühen, führen dann dazu, dass ich mich nicht ganz heimisch fühle in der Beziehung, und der Kreis beginnt von Neuem.
Die Leichtigkeit und Natürlichkeit, die sich an jedweder Zwischenmenschlichkeit gut anfühlt, sind dann fort.

Ich habe festgestellt, dass andere Menschen in meinem Umfeld diese Muster ebenfalls kennen, und ich glaube außerdem, dass ich das Muster häufiger bei Menschen erlebe, die (so wie ich) die Trennung ihrer Eltern miterlebt haben.
Nun bitte ich, mich nicht falsch zu verstehen: Ich halte wenig davon, den Scheidungskindern ihre Bindungsfähigkeit abzusprechen. Gleichzeitig glaube ich aber doch, dass eine solche Trennung Effekte hat, und vielleicht ähneln die sich.

Meine Theorie dazu ist die folgende: Die Sehnsucht in Beziehungen, die in der beschriebenen Nervosität einen Ausweg sucht, ist die Sehnsucht nach der einfachen Lösung. Die Beziehung soll sich wieder leicht und schön und sicher anfühlen. Es ist eine Sehnsucht nach Symbiose, nach absoluter Kongruenz ohne Reibung, es ist die Sehnsucht nach unbedingter Liebe, in der ich tun kann, was ich will, und ich werde geliebt. An dieser Sehnsucht scheitern Beziehungen oft, und beim nächsten Versuch ist sie wieder da: Diesmal wird es ganz einfach! Diesmal wird es unkompliziert!

Diese Sehnsucht halte ich für ein kindliches Bedürfnis: Eltern lieben bedingungslos. Eltern behalten ihre Konflikte für sich und stehen bedingungslos zu mir. Mit Eltern ist man verschmolzen und symbiotisch.  Eltern schützen einen vor zu komplizierten Dingen und halten sich zurück.

Scheidungskinder konnten dieses Bedürfnis in ihrer Kindheit nicht ausreichend stillen. Ziemlich früh wurde die Bindung zu den Eltern arg kompliziert: Es gab Erwartungen an die eigene Loyalität und an eine Klarheit und Selbständigkeit, die uns überfordert haben. Auch andere Settings machen diese Überforderung, zB psychische Erkrankung eines Elternteils, Missbrauch und bestimmt noch mehr, was mir gerade nicht einfällt.

Im Falle ohne Trennung wachsen Kinder in einem geschützten Rahmen auf, in einer Beziehung mit klaren Hierarchien, klaren Regeln und sehr wenig Unwägbarkeiten. Mit wachsender Reife wagen Kinder sich immer mehr aus dieser Sicherheit in die Welt, und peu a peu lernen sie, wie man mit Schwierigkeiten umgeht, wie man Dissens aushält und Konflikte löst, ohne sich selbst zu verbiegen. Sie tun dies in dem Tempo, in dem sie selber die Möglichkeit haben, diese Erfahrung gut auszuhalten.

Als Kind in Trennung und Überforderung, so meine These, konnte man das nicht in der gebotenen Langsamkeit lernen, sondern war ad hoc damit konfrontiert. Den langen Weg in das stabile, gesicherte Ich kann man so nicht gehen.

Und nun stehen wir in der Welt mit dieser Sehnsucht nach dem sicheren Hafen, nach der einfachen Lösung, aber natürlich sind unsere Partner keine Eltern oder Beschützer, sie sind uns ebenbürtig und genauso kompliziert wie wir. Sie geben uns keine absolute Sicherheit, sondern brauchen auch Zuspruch. Sie behalten ihre Schwierigkeiten nicht für sich, sondern erhoffen sich Hilfe von uns.

Und das führt in genau die Überforderung, die wir schon aus der Kindheit kennen, sodass wir kindlich reagieren. Die Nervosität, die ich beschrieben habe, fühlt sich sogar bei jedem Empfinden ganz unangemessen an – es ist mir in diesen Momenten selber schleierhaft, wieso ich so krass reagiere und nicht einfach was ändere oder mich meinetwegen trenne.
Aber klar, wenn die Nervosität nur ein Echo meiner kindlichen Bedürfnisse ist, ist Trennung oder Aktivität überhaupt nicht drin: Das Kind kann das nicht.

Soweit meine These. Ich weiß noch nicht recht, was daraus für Handlungsideen entstehen, aber gerade fühlt es sich ganz gut, die Nervosität als Wegweiser zu verstehen, als Reaktion aufgrund von naiven Bedürfnissen, von denen meinem erwachsenen Ich völlig klar ist, dass ihre Erfüllung zwar nicht Aufgabe meiner Partnerin ist, dass ich aber diese Bedürfnisse auch nicht verleugnen kann.

Ich glaube, dass es gut wäre, wenn ich nicht von meinen erwachsenen Partnern erwarte, mich zu schützen, sondern wenn meine eigene Erwachsenheit das übernimmt. An dem Thema bleib ich jedenfalls dran.

Wie sieht’s aus, kommen diese Gefühle hier noch wem bekannt vor? Falls ja, findet ihr in eurer Biographie eine Überforderung, einen zu frühen Abschied von kindlicher Beziehung, die unkompliziert und sicher war? Passt meine These?

01.08.2010 15:15
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Leben

Vor geraumer Zeit ist mir eine Wandmalerei aufgefallen, die ein Kind mit eben jenem Spruch auf dem T-Shirt zeigt. Genau wie die oben abgebildete Postkarte, die ich jetzt gefunden habe, ist offenbar auch die Wandmalerei von Juju, einer Künstlerin aus Berlin. Dass Juju total wunderbare Sachen macht, ist schön, aber momentan sekundär.

Der Satz! Take Pride In Your Fears! Sei stolz auf deine Ängste!

Das ist in meinen Augen eine sehr schöne Art und Weise, Maitri zu leben, sich voll und ganz anzunehmen – und sogar nicht nur mit einem “Naja okay, so bin ich eben”, sondern mit Stolz! “Genau so unvollkommen und mangelhaft bin ich – hier bin ich! So.” Das Kind in der Zeichnung ist dabei nicht himmelhochjauchzend. Aber es sieht zäh und ernst aus, nicht traurig, sondern bestimmt. Auch sehr ruhig. Als wenn es schwer wäre, aber es wäre eben so.

Momentan, wo viele Menschen um mich herum in Krisen sind (Todesfälle, Trennungen, Verletzungen, Trauer… alles dabei) und ich selbst gerade auch oft bekümmert bin, sind mir die Gedanken rund um die Selbstliebe sehr wichtig. Manchmal überrascht mich das selbst, dass ich so bekümmert bin – Viele Leute würden mir sagen, ich wäre sehr selbstsicher, aber immer mal wieder stelle ich fest:
Nope.

Mich nimmt es mit, kritisiert zu werden für Dinge die ich nicht besser schaffe oder nicht anders kann. Ich bin unzufrieden damit, meinen inneren Idealen nicht zu genügen. Manchmal könnte ich gerne Dinge besser. Manchmal sehe ich sogar, dass ich den Idealen nicht hinterher laufen sollte und bin dann unzufrieden damit, es doch zu tun. Irgendwo bricht die Selbstliebe weg, irgendwo ist die Schwäche, wo ich es nicht mehr gut schaffe. Ich kann dabei das Wort “Angst” durchaus stehen lassen, ich glaube die meisten menschlichen Probleme kann man irgendwo als Angst einsortieren: Die Angst, das nicht zu schaffen was man gern schaffen will. Die Angst, verlassen zu werden. Die Angst, nicht so geliebt zu werden wie man ist. Das sind recht universelle Dinger.

Diese Schwächen, diese Ängste zu bemerken macht nicht so wirklich Laune, klar. Und doch weiß ich: Sich kasteien dafür, dass man so ist wie man ist, hilft gar nichts. Wir sind Mängelwesen, wie ben_ gerade so oft betont, wir haben Schwächen, wir haben Ängste, damit müssen wir leben. Nur trägt Juju diese Idee noch ein Stück weiter: Pride.

Ich bin beeindruckt.