Spätestens seit der Ausbildung zum Lösungsfokussierten Therapeuten halte ich mich für einen Konstruktivisten und Poststrukturalisten. Zu deutsch: Weder glaube ich, dass unsere Wahrnehmung in irgendeiner stringenten Form mit der Realität zu tun hat, noch glaube ich, dass man mehr erfahren kann, als unsere Wahrnehmung uns so bietet. Mit Wahrnehmung meine ich selbstverständlich auch Geräte wie Geigerzähler, aber auch alle Geräte und Hilfsmittel können nicht beeinflussen, dass wir über eine “wahre” Beschaffenheit der Welt nichts aussagen können, sondern immer nur über das, was wir wahrnehmen oder eben messen.
Soeben hatte ich mit Paikja und einem gemeinsamen Freund, den ich Hal nennen möchte, eine spannende Diskussion im Zug, in der wir auf 2 wichtige Punkte kamen.
Zum Einen kam primär ich darauf (Hal und Paikja sehen das nicht unbedingt so), dass die Art, die Welt zu sehen, allein von Pragmatik getrieben sein sollte. Wenn es funktional für Hal ist, eine Wahrheit zu suchen: Go ahead! Mir scheint es funktionaler, alles in meine Weltsicht zu integrieren, das mir gefällt, und auszublenden, was mir nicht passt. *In 70 Jahren sind wir alle, alle tot!* Was soll es also.
Das mag an sich schon eine konstruktivistische Sicht sein. Wenn es eh nichts gibt, das für uns zugänglich wäre, warum dann all die Mühe? Ein Realist würde das vielleicht anders sehen.
Der zweite Punkt, auf den wir gemeinsam kamen, ist, dass die Entscheidung, ob man ein Realist oder ein Konstruktivist sein will (oder wo man sich auf diesem Kontinuum einsortiert, was ist schon schwarz oder weiß?), eine sehr persönliche Frage ist, beinahe eine Glaubensfrage. Es ändert nichts, auch hier gibt es keine objektiv korrekte Lösung, weil die Objektivität uns nicht zugänglich ist. Es gibt ja keine Möglichkeit herauszufinden, ob das, was man da analysiert, die eigene Illusion ist, wie Paikja es schön sagt, die eigene Weltsicht, oder eine tatsächliche Welt. Wir können unsere heuristische Qualia nicht abschütteln, wir analysieren nur das, was wir eben analysieren, weil wir an mögliche weitere Dinge nicht drankommen. Sie existieren nicht für uns, ob es sie nun gibt oder nicht.
Insofern schätze ich die Wissenschaft eher als einen Prozess, der Weltsichten erklärt, und weniger als einen, der Welt erklärt. Ich meine, jetzt mal wirklich. Die Quantentheorie hat unterschiedliche Gesetze für Mikro- und Makrokosmos, und außerdem noch fast unendlich viele richtige Lösungen, die (so sagt die eine Hälfte der Quantentheoretiker) für fast unendlich viele denkbare Universen sprechen. Die Relativitätstheorie besagt (und beweist, soweit ich weiß), dass Zeit abhängig von Geschwindigkeit und Gravitation ist (Zwillingsparadoxon). Das ist doch schon ziemlich nah dran an idiosynkratischer Beliebigkeit von Weltsicht.
Bitte wählen Sie Ihre Illusion jetzt! Die nächsten 2 Irrtümer über die Welt kriegen Sie in Wahrheit eingepackt!