Monatsarchive: Juni 2005

30.06.2005 15:57
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Nach 2 Generationswechseln, also ca. nach 50 Jahren, ist ein Großteil derer, die einen Krieg miterlebt haben, tot oder senil.
So auch gerade hier bei uns, da sind es sogar schon 60 Jahre.

Ich dachte immer “Gut, bald sind all jene Zeitzeugen tot, die durch ihre bloße Existenz die Erbschuld vorwerfen, die das deutsche Trauma wieder und wieder aufwärmen – dann kann es bald ja vorangehen, dann kann der Standort Deutschland florieren, weil die Leute es hier wieder mögen und sich nicht schämen”.
Dass es jetzt Bands gibt, die gern deutsche Bands sind (die Sportfreunde Stiller ganz still mit dem Heimatlied, Mia lauter), fand ich ein gutes Zeichen.

Meine Mutter sagte mir aber gestern, dass die Historiker keine größere Freiheit nach 50 Jahren prognostizieren, sondern im Gegenteil einen Rückfall – wenn all jene tot sind, die einen Krieg überlebt haben, kann man wieder über Krieg nachdenken. Kann Gedankengut, dessen verheerende Folgen den Alten noch im Gedächtnis war, wieder offen formulieren.

Die NPD trägt jetzt Anzüge. Und kann offen von nationalistischen Plänen sprechen.
Obwohl ich es richtig fand, dass das Verbotsverfahren gescheitert ist, obwohl ich es richtig finde, dass auch schlimme Ideologien und Vollpfosten Parteien haben dürfen (wir sind ja demokratisch, das muss sich selber regeln), finde ich das gerade doch ein schlechtes erstes Zeichen.
Wie wird es sein wenn ich 40 bin? Ist dann eine schwarz-braune Regierung noch so undenkbar wie jetzt? Wird “Mehr Arbeit für Deutsche” dann, in Zeiten wo durch mehr Europa und offenere Grenzen natürlich auch mehr Immigration geschieht, noch einen so widerlichen Beigeschmack haben wie jetzt?
Ist der freiheitliche Grundgedanke dieser Republik noch denkbar, wenn all jene tot sind, die das Gegenteil kennen?

30.06.2005 13:00
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So, der vorherige Beitrag lehnt Labels ab, aber dummerweise muss ich dann wohl doch digital kommunizieren (this is the internet!), und ein Label wählen, und dann wäre mein Label die “offene Beziehung”.

Klingt super. Jetzt denkt jeder “Achso, rumficken, jaja”, und obwohl ich das unter anderem auch denke, frage ich mich, was da eigentlich noch so dazu gehört.
In einem Forum fand ich eine (sehr lange) Diskussion, in dem unterschiedliche Interpretationen, unterschiedliches Ausleben einer offenen Beziehung erklärt wird.
Der Threadersteller dort hat sich mit seiner Frau nach einer Weile “normal geschlossene Beziehung” für eine offene Beziehung entschieden, und zwar, weil sie die Liebe in keinster Weise behindern wollen: Wenn jemand ein Hobby hat, das er liebt, obwohl der Partner es nicht versteht: Los! Und das gleiche gilt auch für Menschen.
Und er schreibt, dass der Grund hierfür nicht die Entwicklung der eigenen Liebe, sondern das Zulassen der Liebe des Partners – das finde ich kritisch, glaube ich doch, dass jede “Ich tu das nur für dich”-Aussage a) Druck macht und allein dadurch Liebe erschwert, oder Freiheit erschwert, und b) Lüge ist, Sublimierung, weil man als einzigen Effekt ja den Effekt auf sich selbst bemerkt (der auch die Effekte 2. Ordnung umfasst, zum Beispiel wenn mein Partner sich freut – auch das ist ja Verstärker für mich).

Für mich stehen, glaube ich, drei Dinge im Vordergrund bei so einer offenen Beziehung.

  1. Ehrlichkeit – Nicht nur muss man ehrlich sein, wenn man offen liebt, und über Seitensprünge sprechen können, man liebt auch erst dann offen, wenn man ehrlich ist, wenn man sagen kann “Ich mag dich grad nicht sehen”, “Just in diesem Moment möchte ich lieber programmieren” oder natürlich auch “Ich vermisse dich, bitte komm vorbei”. Wenn das dann mal konträr ist, ist auch das ehrlich.
  2. Neidlosigkeit – Natürlich auch keine Eifersucht (siehe meinen Eintrag über Störgefühle), aber halt insgesamt keine Missgunst, sondern ein dem anderen alles Zugestehen, seinen Willen, seinen Wünsche hinzunehmen als Teil des Menschen, den man liebt.
  3. Direkte Tatsächlichkeit – Das hat ein bisschen mit der Ehrlichkeit zu tun: Alles ist, was es ist und wird gelebt. Wenn beide es gerade doof finden, sieht man sich nicht, wenn dann die Sehnsucht kommt (krasses Wort übrigens – nach dem Sehnen süchtig sein), nähert man sich wieder an. Und das muss man nicht immer besprechen und analysieren.

Sowas fände ich ganz gut, glaube ich. Wenn hier irgendjemand Erfahrung mit einer solchen oder irgendeinen offenen Beziehung hat, möge er mir schreiben. Ich will mehr darüber wissen!

30.06.2005 1:36
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Momentan lerne ich gemeinsam mit einer Mitbewohnerin, allerdings für unterschiedliche Sachen (das ist wie früher in der Schule, schön nebeneinander sitzen, still sein – sehr gute Athmosphäre), und wegen der Verarbeitungstiefe und dem folgenden Lernerfolg erzählen wir uns nach den kurzen Pausen, was wir da eigentlich grad so gelernt haben.

So weiß ich jetzt seit Neuestem, dass “Man kann nicht nicht kommunizieren” nur eines von 5 Axiomen Watzlawicks ist, und ein anderes die Kommunikation in digitale und analoge Teile aufteilt.

Dies bedeutet, dass nicht nur das gesprochene Wort (in der Regel digitale Kommunikation), sondern auch die non-verbalen bzw. analog-verbalen Äußerungen etwas mitteilen.

Aha! Mir fiel dazu ein, dass es in der Liebe in meinen Augen erst dann schwierig wird, wenn man klare Verhältnisse will.
“Was ist das denn nun, sind wir noch befreundet oder ist das schon ne Beziehung?”
Das ist ja oft nicht nur digital, sondern sogar binär.
Im Bett hingegen, wo ja gern wenig gesprochen wird, kommt es weit seltener zu Missverständnissen. Da passiert genau was eben passiert, und, zumindest wenn beide “Lieblinge” einigermaßen locker sind, Grenzen werden gezogen, überschritten, nochmal forciert, vielleicht verworfen.
Alles fließt, nichts ist klar, alles entsteht aus der Schnittmenge von dem, was die beiden so wollen.
Das ist ziemlich analog, finde ich.

Und genauso hätte ich das eigentlich auch gern mit der Liebe (oh weh, diese Aussage kann mich Kopf und Kragen kosten… “Ich hätte meine Liebe gern so wie Sex”). Im Bett geht’s doch auch.

Im Übrigen wurde ich schon darauf hingewiesen, dass das hier hinkt, weil man sich auch im Bett missverstehen kann. Aber ich hatte das nur bei Geschichten, die auch außerhalb des Bettes schwierig waren, sodass die analoge Kommunikation zwischen Körpern digitalisiert wurde, im Kopf, und man sich dann fragte “Wie, dahin nicht? Wieso das denn? Liebt er/sie mich nicht? Oh nein… “

28.06.2005 2:01
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Mehr Worte = mehr Welt, wissen die Linguisten und Konstruktionisten, und weil sich hier im Blog ja alles schön philozentrisch abspielt, sich also um die Liebe dreht, will ich die Welt da vergrößern.

Aufgrund der Spinnerei, die ich gern hege, ein Buch zu schreiben, am besten zwei, wenn ich denn erstmal einen Beruf habe, erdenke ich gern Titel, und einer ist
“Zerliebt, zerlobt, zerheiratet – Wandlung von Lieben und Beziehungen”
oder so ähnlich.
Beim Sinnieren, was “zerlieben” wohl so sein könnte, sagte ein Freund von mir sehr treffend das Schlagwort “kapott” (ja, er sagte es mit O), und das stimmt. Wer zu viel stört, zerstört, wer zu viel schwitzt, zerfließt, in jedem Fall ist nachher nichts mehr da. Kapott eben.

Ganz anders dagegen stellt sich “Entlieben” dar. Entlüften, entspannen, entschlacken, zurück bleibt immer etwas, ohne Luft, ohne Spannung, ohne Schlacken.
Ist man beim Entlieben also noch da, nur ohne Liebe, während man beim Zerlieben richtig alle ist?
Und wie sollte man das benutzen?
“Ich habe mich entliebt… tut mir leid” und
“Du hast mich völlig zerliebt”
sind nur deshalb so hübsch deutlich, weil es in das alte Muster fällt, jemand anderem die Schuld zu geben, wenn es schlimm wird.
Und, ganz ehrlich, das eigene Leben wird immer von einem selber gelebt, und zwar recht aktiv und selber Schuld, probieren wir also:
“Ich habe mich entliebt” und
“Ich habe mich zerliebt”

Interessant! Ich habe mich nach diversen Geschichten meist entliebt, auch nie komplett, viel blieb zurück, vor allem war ich halt noch da.
Einmal hatte ich mich für ein halbes Jahr lang wirklich zerliebt. Da hat alles nur wehgetan, da war ich verletzt, so anzerstört irgendwie.

Wie kam ich drauf? Weil ich nicht weiß, was ich will. Weil ich deshalb hin und her spiele, was ich eigentlich nicht will. Weil ich nicht so frei bin, wie ich gern wäre, weil ich mir doch anderer Leute Kopf zerbreche.
Und irgendwie bin ich da schnell beim Scheitern gelandet.

26.06.2005 13:14
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In den USA gibt es viele seltsame Dinge, viele Dinge, die mir nicht gefielen, als ich mal für ein paar Wochen dort war.
Aber es gibt auch eine kulturelle Errungenschaft, die ich irgendwie spannend finde:
Die Datingkultur.
“So, what’s that with you and Kate?”
“Oh, we had a few dates. We go out.”

Super! Ein Ding zwischen Freundschaft und Beziehung. Das nähert sich doch meinem Ideal der Dimension, des Kontinuums, doch schon ein wenig an.

In Deutschland hat man entweder:
“Und, was ist das mit dir und Katrin?”
“Oh, ich glaube ich bin verliebt, aber es gibt da ja noch Berta”
oder man muss auf die verruchte Ebene der Äffaren gehen. Alternativ, das wird (ebenso wie die Affäre) gerade wieder moderner, ist die Flucht ins Diffuse, dann hat man Techtelmechtel und Geschichten und Tet a Tetes (sehr hübsches Wort – Kopf an Kopf…).
Aber eine erwachsene, sprachlich klar umrissene Begriffswelt für das, was Männer und Frauen gern miteinander tun, ohne Tricks und drumrum, haben wir eben nicht.
Bandini klagte gerade über etwas sehr Ähnliches (Es muss der Sommer sein, der uns sich damit beschäftigen lässt… gemeines Serotonin).

“Would you go out with me?” ist gesellschaftlich voll drin in den USA, das geht gut, hier kann man höchstens fragen “Gehen wir mal ins Kino?”.
Das ist, genau wie “Gehen wir noch einen Kaffee trinken?” zwar funktional, und jeder weiß was gemeint ist, aber es ist halt nicht die tatsächliche Frage, sondern symbolischer Code.

25.06.2005 13:14
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So ungefähr mit 18, glaube ich, fing die Wahrnehmung an: Bei Ikea sind lauter hübsche junge Paare Schrägstrich Familien.
Schöne Frauen mit schwangerem Bauch, schöne Männer mit Porzellan in den Händen – das machte Eindruck bei mir.

Seither gibt es auf Shoppingebene kaum etwas Schöneres für mich, als mit einer Frau durch Ikea zu schlendern, und mich heimlich dieser Schrägstrich-Phantasie hinzugeben, zu wissen, wie die Leute um mich rum, so sie ähnlich verschroben denken wie ich, uns für ein Pärchen halten, das die erste gemeinsame Wohnung einrichtet, die hässliche Lampe dort vielleicht fürs Kinderzimmer.

Tjaja. Eine Illusion, die nicht viel mit freiem Lieben zu tun hat. Gibt’s auch.

Jedenfalls will ich, glaube ich, heute jemandem vorschlagen, diese lustige kleine Seifenblasenwelt zu leben. Das wird super.
Mal sehen ob sie Ja sagt und Zeit hat.

25.06.2005 13:10
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Ich war gestern auf einer Party, und auf Parties muss man bekanntermaßen flirten. Das macht den Spaß an Parties aus. Und Tanzen.
Jedenfalls merkte ich, dass ich große Lust hätte, jemanden zu “erobern”, und dann merkte ich, dass ich “erobern” gar nicht in Zollzeichen setzen muss, weil es stimmt: Ich, und ich wage zu verallgemeinern: man, will erobern.

Es gab schon mehrere Liebesgeschichten in meinem Leben, bei denen ich mich durch ihre Alltäglichkeit, ihre Einfachheit, schnell abgeturnt fühlte, zumindest ein bisschen.
So bin ich denn auch sehr wankelmütig, was Nähe/ Lust angeht (worunter eine Person gerade etwas zu leiden hat, befürchte ich…), weil ich halt alles erst ganz spannend finde, dann zu alltäglich, woraufhin ich weniger will, und dann, im Entzug, wieder mehr will.
Yin und Yang.

Jedenfalls ist das Erobern ein ziemlich großer Teil am Flirten, glaube ich. Das Ziel, also irgendwas zwischen Reden und Knutschen, ist irgendwie sekundär. Schien mir gestern.
Wenn man das einfach haben könnte, zum Beispiel auf einer dieser Knutsch- oder, ganz neu, Kuschelparties, verliert es wahrscheinlich schnell an Reiz, weil man eben nicht erobert.

Womit wir beim allbewegenden Motor des Menschseins sind: Dem Ego.
Man will gewinnen, wenn man erobert. Und wenn man erobert wird, gewinnt man auch, weil man erwählt wurde. Allüberall wird das Ego geschmeichelt, oder eben verletzt, und beides wird gern mit Lieben und Hassen verwechselt.
Vielleicht ja auch zu Recht, je nach Bezugspunkt…

22.06.2005 22:34
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Es ist ein sehr illuminat inspiriertes Spiel, aber es gefällt mir.

Gefunden bei Bandini:

  1. Schnapp Dir das nächst greifbare Buch.
  2. Blättere zu Seite 23.
  3. Finde den 5. Satz.
  4. Poste den 5. Satz und setze diese Anleitung davor.
It hadn’t taken more than the thought of coming outside to catch the monthly Eclipse, an event I always missed because of some task or other Ersh invented, to make me abandon the trays.
Julie E. Czerneda, Hidden in Sight

22.06.2005 22:21
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Letztens habe ich ja hier geäußert, dass ich es super fände, einfach zu sagen was ist, und gerade fiel mir auf: In gewisser Weise macht man das schon.
Nur spricht man halt kein Standard-Deutsch, sondern flirtet.
Der Satz “Gehen wir noch einen Kaffee trinken?” heißt viel mehr. Nach 20:00 heißt er bedeutend mehr (“Coffee is not coffee, coffee is sex!”, George Costanza, Seinfeld), aber auch so heißt er, in dieser Form geäußert, irgendwas zwischen “Du bist ziemlich cool” und “Was machen wir denn eigentlich nach dem Kaffee?”.
Und damit hat man halt einen anderen Code, der aber doch von allen Beteiligten verstanden wird.
“Ich brauch jetzt echt nen Kaffee” funktioniert nämlich überhaupt nicht, das wurde falsch codiert, und “Gehen wir noch eine Cola trinken?” ist auch falsch.

Das gefällt mir. Keiner hat was Schlimmes gesagt, aber alle wissen, was gemeint war. Face-keeping (also: “das Gesicht wahren”) ist ziemlich wichtig in der Kommunikation, so lernte ich letztens, und bei meinem Vorschlag der offensiven Ehrlichkeit kann das ziemlich schiefgehen.

22.06.2005 17:11
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Wer zur Hölle ist Bakunin? Warum kenne ich diese ganzen Leute nicht, die so was Cooles schreiben:

Lieben heißt die Freiheit wollen, die völlige Unabhängig­keit des Anderen – der erste Akt der wahren Liebe ist die völlige Emanzipation des geliebten Objekts; man kann nur etwas vollständig Freies lieben, das nicht nur von allen Anderen, sondern vor allem auch von dem Geliebten frei ist.
Das ist ein politisches und soziales Glaubensbe­kenntnis…Alles ist wahr, was die Menschen emanzipiert, was sie zu sich selbst zurückbringt und so in ihnen ihr eigenes Lebensprinzip erweckt.
Bakunin

Ich werde mal wieder bei Amazon ein paar Sachen bestellen müssen… Sartre, Bakunin…

PS: Allerdings fällt mir gerade auf, dass auch Herr Bakunin von “wahrer Liebe” spricht. Das ist ja nicht so cool. Zwar würde ich ihm viel eher beipflichten, aber Ideologierelativismus ist sehr wichtig.