Monatsarchive: Juli 2010

Ava hat vor einiger Zeit etwas hier kommentiert, das ich nochmal aufgreifen möchte. Hier nochmal was sie schrieb (ein Zitat von Pema Chödrön):

In der Meditation sind wir so, wie wir sind, mit unserer Verblendung und unserer geistigen Gesundheit. Dieses vollkommene Akzeptieren unserer selbst, wie wir sind, nennt man Maitrî; es ist eine schlichte, unmittelbare Beziehung zu dem, was wir sind.
Es hilft nichts, wenn wir versuchen, uns selbst in Ordnung zu bringen. Von allen Möglichkeiten, Bodhichitta (Bodhi: “erwacht”, “erleuchtet”, “völlig offen”; Chitta: “Geist, Bewusstsein”, “Herz”, “Einstellung”) zu überdecken, benutzen wir das Uns-Selbst-Schlechtmachen am häufigsten.
Wenn wir also NICHT versuchen, uns zu ändern – heißt das, dass wir bis zu Tode zornig bleiben und an den Dingen haften müssen? Das ist eine vernünftige Frage. Das Sich-Selbst-Verbessern-Wollen funktioniert deshalb auf lange Sicht nicht, weil wir damit gegen unsere eigene Energie angehen. Selbstverbesserung mag vorübergehen etwas bewirken, aber zu dauerhafter Transformation kommt es nur, wenn wir uns selbst als Quelle von Weisheit und Mitgefühl achten. Erst, wenn wir beginnen, uns mit uns selbst anzufreunden, wird die Meditaton zu einem transformierenden Prozess. Nur wenn wir ohne alles Moralisieren, ohne Härte, ohne Täuschungsmanöver mit uns selbst umgehen, können wir von schädlichen Mustern ablassen. Ohne Maitrî wird die Ablehnung alter Gewohnheiten zu etwas, mit dem wir uns selbst schaden. Dies ist ein wichtiger Punkt.

Bumm. Das berührt mich. Es ist freies lieben mit sich selbst. Ich lasse das mal so stehen und füge noch ein Video von Pema Chödrön an, wo sie mehr davon erzählt.

[youtube]7s-rRMUl04I[/youtube]

Hervorragende Mini-Serie (Teil 1, Teil 2) von Greta Christina (bei Blowfish) über Sexismus gegen Männer, warum das bekloppt ist, und warum das auch für Feministinnen spannend ist. Ich bin ja ohnehin der Meinung, dass Sexismus immer alle Beteiligten trifft, aber Gretas Artikel macht das nochmal etwas präziser.

Und darin der unglaublich witzige und wahre Spruch, der diesen Beitrag ziert. Höchst empfehlenswert, wie überhaupt das ganze Blog von Greta.

Durch einen ganz dummen Zufall (ich verrat’s euch: Ich hab bei der Wikipedia zu verschiedenen Videospielen die Artikel gelesen) stolperte ich heute über den Begriff Gonzo. Ich kannte den bisher nur für Pornographie, wo ich immer dachte, der meint sehr klar auf den Geschlechtsakt an sich fokussierte Pornographie: Nahaufnahmen auf die Genitalien.

Weit gefehlt, und genau so weit hole ich jetzt erstmal aus. “Gonzo“, so erfuhr ich, ist ein Begriff, den Hunter S. Thompson (der Autor von Fear and Loathing in Las Vegas) als Journalist geprägt hat. Er bedeutet Journalismus, in dem das Subjekt vorkommt, in dem die Eindrücke und Gefühle des Autors Teil der journalistischen Leistung sind. Dies ist für den klassischen Journalismus so verrückt, dass sie eine solche Art der Berichterstattung nur als Literatur verstehen können. Es wäre gar kein Journalismus.

So, kurz zurück zum Sex, bevor ich zum Höhepunkt komme (des Artikels): Gonzo-Pornos machen genau das: Einer der Darsteller hat die Kamera. Naturgemäß ist das dann auch näher dran am eigentlichen Geschlechtsverkehr, aber das subjektive ist definitorisch, nicht die Genitalien.

So, nun aber: Es mag für viele nicht neu sein, ich finde es aber interessant: Das ganze Netz mit der Blogosphäre und Twitter und derlei ist letztlich Gonzo. Dieses Blog hier ist Gonzo.

Wieder was gelernt.

“Form follows function” ist ein Satz aus der Designbranche – egal ob man ein Haus, eine Website, einen Stuhl, eine Fernbedienung oder einen Düsenjäger designt, die Form muss der Funktion folgen. Eine kreisrunde Fernbedienung mit unbeschrifteten Knöpfen sieht bestimmt schick aus, ist aber unbrauchbar. Ebenso ein Stuhl, der mit Schleifpapier beklebt ist, eine Website deren Menü sich immer verändert oder ein Düsenjäger-Cabriolet und gleichfalls ein Haus mit Türen von 20 cm Breite.

Das ist aber nicht nur ein Satz aus der Designbranche, das ist auch schlichte Realität. In der Natur beispielsweise: Es entsteht nur, was eine Funktion hat. Sei es Schutz, Sieg, Balz oder Hilfe. Schneckenhäuser, Vogelschnäbel, Fellfarben, Daumen. Form follows function.

Mir fiel vor kurzem auf, dass man den Satz auch für Liebesbeziehungen verstehen kann, wobei “function” da etwas kühl klingt. Aber: Jeder von uns funktioniert auf eine bestimmte Art und Weise. Dieses Funktionieren muss mit in die Beziehung rein – ich muss auch in Beziehung natürlich der Mensch sein können, der ich nunmal bin. Die Form der Beziehung muss meiner Funktionsweise Raum geben und sich um mich legen wie ein gut sitzender Anzug: Form follows function.

Ganz häufig läuft das aber nicht so, und das individuelle Funktionieren muss sich der Form unterordnen: Weil wir ein Paar sind, wollen wir jetzt auch gemeinsam wohnen. Weil ich jemanden liebe, hole ich ihn vom Zug ab. Weil ich ein guter Partner sein will, höre ich mir die langweiligsten Geschichten bis zu Ende an.

Diese Art der Lebensgestaltung, so mein Vorwurf an die Welt, läuft den Bedürfnissen der Beteiligten entgegen. Aber um diese Beteiligten geht es! Sie sind die “function”! Menschen gehen doch Beziehungen ein, weil sie einander (und für sich selbst) Gutes wollen. Wenn sie irgendwann beginnen, sich der Form entsprechend zu verhalten, achten sie nicht mehr auf sich – sie folgen in ihrer Funktion der Form.

Stattdessen sollten sie die Form gestalten, und zwar entsprechend der Funktion, also ihrer Eigenheit, ihrem Wirken in der Welt. Sie sollten das leben, was genau zu ihnen passt. Wenn sie keine Lust haben, jemandem vom Zug abzuholen, dann sollten sie sich eine Beziehung basteln, in der das nicht vorkommt. Wenn sie sich nicht gut fühlen bei hemmungslosem Sex, dann sollte es in ihrer Beziehung kein Marker von Beziehungsqualität sein, besinnungslose Körperzeit zu haben. Gleichzeitig ist dies auch die Haltung, die es meinen Partnern entgegenzubringen gilt: Ich gestalte die Form – so gut ich kann – so, dass sie darin funktionieren können.

Und “form follows function” ist dann eben nicht nur ein Designgrundsatz oder evolutionäres Prinzip, sondern maximales Ernstnehmen dessen, was man ist, lieber Umgang damit, wie man selbst und das andere nun mal funktioniert.

Dazu passt im Übrigen gut, dass der Ursprung des Satzes (laut Wikipedia) bei einem amerikanischen Architekten namens Louis Sullivan liegt, dessen Ausspruch weit über das Architektonische hinausgeht:

It is the pervading law of all things organic and inorganic,
Of all things physical and metaphysical,
Of all things human and all things super-human,
Of all true manifestations of the head,
Of the heart, of the soul,
That the life is recognizable in its expression,
That form ever follows function. This is the law.

Zu deutsch:

Es ist das alles durchdringende Gesetz aller Dinge,
ob organisch oder nicht organisch,
ob physisch oder metaphysisch,
ob menschlich oder übermenschlich,
aller wahren Manifestationen des Kopfes,
des Herzens, der Seele,
dass das Leben in seinem Ausdruck erkennbar ist,
dass die Form immer der Funktion folgt. Dies ist das Gesetz.

Ich schrieb vorhin über die emotionale Identität – das ist ein Begriff, den ich für eine polyamore Haltung zu Liebe und Beziehungen wähle, oder, im eigentlichen Sinne, für jede Haltung zu Liebe und Beziehungen.

Der Begriff ist analog zu sexuelle Identität gewählt, der in meinem Verständnis umfassendste Begriff für alle Empfindsamkeiten zwischen Homosexualität, Transsexualität oder Bigenderism oder Hetero.

Aber in meinem Begriffssystem geht es nur sekundär um Sex. Das verstehen ja viele Leute miss. Mit verschiedenen Menschen Körperzeit zu teilen ist ein Nebeneffekt davon, wenn man frei und voller Liebe ist, erstmal geht es um eine bestimmte Art und Weise, sich auf jemanden einzulassen.

Diese Art, sich einlassen zu wollen, also die ganz individuell präferierte Art und Weise, zu lieben, Liebe auszudrücken, Liebe auszugestalten, ist die emotionale Identität.

Ich werfe den Begriff mal ins Internet und in Geschlechter-/ Liebes-/ Beziehungsdiskurse.

Mir begegnet in jüngster Zeit, wo ich mit Ava in einer recht großen Krise stecke (ungefähr eine 6,5 auf der Richter-Skala), immer wieder ein Missverständnis, das mich ärgert. Ich erzähle dann Menschen davon, dass wir da an einem schwierigen Punkt sind, und eine der ersten Reaktionen ist eine Variante von “Naja, das ist ja sicher auch schwer mit dem Poly-Kram”. Oder, was ich noch brutaler finde “Vielleicht ist die Ava eben doch an einer monogamen Sache interessiert”.

Beides geht an der Realität vorbei, dass uns allen in Beziehung Dinge widerfahren, wir uns mit uns selbst auseinander setzen, weil wir eben in Beziehung stehen. Wir erleben uns darin. Der erste Einwurf (“poly macht das sicher schwierig”) schiebt jede Schwierigkeit auf die Polyamory, was nicht nur frech ist (weil es Poly irgendwie angreift) sondern vor allem respektlos (weil es mein Erleben auf den Lifestyle reduziert, weil es nicht anerkennt, dass im Einlassen die krassen Sachen geschehen.

Der zweite Einwurf (“Ava ist doch monogam”) macht das gleiche, und noch oben drauf unterstellt er Ava, sie wüsste nicht, was sie täte. Dahinter steckt die Annahme, dass Polyamory eine so grundsätzlich schlechte und perfide Idee ist, dass man da drin total kaputt gehen muss, dass man sich unversehens in einem schlimmen Chaos widerfindet. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.

Man stelle sich vor, Lesben und Schwulen würde bei jeder Beziehungskrise unterstellt, ihr Partner sei eben vielleicht doch hetero, oder bei jeder Schwierigkeit hieße es: Naja, ist ja sicher auch schwierig, so mit zwei Frauen (oder eben zwei Männern).

Oder, noch besser, man stelle sich vor ich würde auf die Krisen von vanilla mono Heteros und Heteras immer fragen, ob sie denn sicher wären, dass ihre Partner nicht kinky/ schwulesbisch/ poly sind, und ob das nicht ohnehin schwer wäre so monogam.

Das ist doch alles nicht loving und respecting, das ist doch in Unverständnis gewickelte Missachtung.

Fucking frozen hell. Es ist eine 6,5 – ich brauche Zuspruch und Unterstützung, und was bekomme ich? Dummes Infragestellen meiner emotionalen Identität.