11.03.2006 1:22
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Allgemein

Piaget sprach immer davon, dass Kinder die Welt begreifen müssten, um sie zu begreifen. Also anfassen, um sie zu verstehen.

Ich selbst kenne das zum Einen auch von mir und der Welt – vom ersten Schnee muss ich immer eine Handvoll in meiner Hand zerschmelzen lassen, und an gefrorenem Tau komme ich auch nicht vorbei – aber vor allem von mir und den Menschen.

Sobald ich beginne, Menschen zu mögen, möchte ich sie berühren, und vorhin fiel mir ein, dass Piagets Ausdruck bei mir auch ganz gut passt.
Denn der Wunsch, die Menschen zu berühren, entspringt dem Wunsch, sie besser zu verstehen – dafür muss ich sie begreifen.

Fühlen, Begreifen, Sich befassen.

Auch das Wort “Gefühl” trägt diese Doppeldeutigkeit in sich, fühlen tut man mit dem Herzen und den Händen gleichermaßen.

Ich lese momentan wieder “Narziss und Goldmund” von Hermann Hesse, und Narziss und Goldmund sind eigentlich gegensätzlich, wie es nur geht. Narziss ist ein Denker, ein Analytiker, er liebt das Wort und die Logik, während Goldmund ein Sinnenmensch ist, einer, der das Leben trinken will, der auf seinen Wanderschaften das Leben versteht, in dem er friert, berührt, schaut, und vor allem mit Frauen die Nächte verbringt.

Ergriffen?

“Er betrachtete mit immer neuem Entzücken die unendlich verschiedenen Arten, wie ein Kopf auf einem Halse sitzen, eine Stirn sich vom Haarwuchs sondern, eine Kniescheibe sich bewegen konnte. Er lernte im Dunkeln, mit geschlossenen Augen, mit zart prüfenden Fingern eine Art Frauenhaar von der andern unterscheiden, eine Art von Haut und Flaum von der andern. Er begann zu merken, schon früh, dass vielleicht hierin der Sinn seiner Wanderschaft liege, dass er vielleicht deshalb von einer Frau zur andern getrieben werde, damit er diese Fähigkeit des Kennens und Unterscheidens immer feiner, immer vielfältiger und tiefer erlerne und übe. [...]
Mochte er für Latein und Logik zwar fähig, aber nicht in besonderer, erstaunlicher, seltener Weise begabt sein – für die Liebe, für das Spiel mit den Frauen war er es.”

Mit dem Wissen, das er so erlangt, und zwar sowohl über das, was die Menschen außen, wie auch das, was sie innen schön macht, wird er später Künstler, und auch hier findet sich der mir so lieb gewordene Gedanke: Er erfährt Nacktheit, und die befähigt ihn, gute Kunst zu machen.

Jedenfalls gefällt mir das. Hier in Deutschland fasst man sich sehr wenig an, das ist schade. Ich spreche gar nicht von den intimen, zärtlichen Berührungen, wie Goldmund sie erfährt und sucht, ich spreche von jeglicher Berührung als Ausdruck von etwas, von Nähe, Zuneigung, Wunsch, … Sexualität ist nur ein Ausdruck unter so, so vielen, aber irgendwie wird dieser immer am ehesten verstanden, leider. Ich drücke mich nämlich häufig körperlich aus, und werde dann gelegentlich gefragt, ob ich das eigentlich für mich oder für die berührte Person mache.

Diese Frage impliziert, dass man sich Berührungen “holt”, “bekommt”, man gibt sie nicht, man nimmt sie.
Aber das stimmt gar nicht.

Bilder von Photocase.com.

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