29.06.2007 2:09
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Allgemein

Der Junge pellt den Baum, ich sehe das bei meinem Gang zur Tür, hinter der meine Arbeit wartet. Naja, mein Job. Armer Baum, denke ich noch, und dann Moment mal.

Ich gehe zu dem Jungen. Er und der Baum stehen am Rande eines Spielplatzes inmitten eines sozialen Brennpunkts. Viele Ausländer, viele Leute die sich über die Ausländer aufregen, und abends werden angeblich Drogen verkauft, aber es gibt eine Kletterwand und mehrere Schaukeln. Und jede Menge Bänke mit Pistazienschalen davor. Der Junge und der Baum stehen am Rand dieses Spielplatzes und kämpfen. Der Junge mit der Aufgabe, dem Baum mit einem alten rostigen Meißel die Rinde zu entfernen, und der Baum ums Überleben.
Während ich auf ihn zu schlendere, mit meinem schwarzen Mantel aber ohne Strategie, scharen sich die anderen anwesenden Kinder um die zu erwartende Gefechtszone. Sie laufen herbei, scheinen aber ein größeres Gefecht zu erwarten, denn sie halten Abstand. Ich selber weiß noch nicht, was passiert, denn ich habe keine Strategie.

“Hallo”, sage ich, das ist am Anfang immer gut, “was machst du denn da?”. Einigen Tropfen Missbilligung erlaube ich es, zusammen mit der Botschaft mit rauszukommen.
“Schöner Tag heute, nicht?” sagt der Junge. Seine Verwirrungstaktik geht nicht auf, denn ich durchschaue ihn. “Weiß nicht. Was machst du da? Warum machst du die Rinde ab?”
Der Junge hämmert weiter mit dem alten Meißel auf den Baum ein. Ein handbreiter Streifen hängt von dem jungen Baum wie eine alte Mullbinde, nur in grün. Das weiße Baumfleisch leuchtet raus und beißt sich unangenehm mit dem Rostrot des Meißels. Der Meißel beißt sich auch unangenehm, nämlich immer wieder in die Rinde des Baums.
“Schöner Tag heute, nicht?”, sagt der Junge wieder. “Hör mal”, erwidere ich, “ich find’ das nicht gut, wenn du dem Baum die Rinde abschlägst. Was soll das? Der stirbt, wenn der keine Rinde hat.”
“Wie, der stirbt? Wie ein Mensch, oder was?” wirft er zurück und ist ungehalten.
“Nein, natürlich nicht wie ein Mensch, der lebt anders.”
“Quatsch. Das ist ein Baum. Der hat kein Herz, der hat kein Hirn…”. Weiter geht der Meißel nieder, unmotiviert. Ich argumentiere noch ein bisschen, sachlich, will mit ihm auf einer Ebene bleiben. Leute, die Kindern von oben herab sagen, wie die Dinge richtig sind, hat es schon genug.

“Schöner Tag heute, nicht?”, sagt er irgendwann nochmal. “Weiß nicht”, sage ich diesmal, “du scheinst eher schlechte Laune zu haben, und für den Baum gab’s auch schon bessere Tage”. “Tja, kann sein”, sagt er patzig, “wissen Sie, meine Freundin hat heute mit mir Schluss gemacht”. Er klingt immer noch vorwurfsvoll, als hätte seine Freundin das vorher mit mir abgesprochen.

Ich bin dann gegangen. Männer mit Liebeskummer zeichnen sich nicht durch große Einsichtsfähigkeit aus.
“Rufen Sie jetzt die Polizei?” hat er mir noch hinterhergerufen. Ich habe das verneint. Ich hätte ihm gesagt, was ich davon halte, was er da macht, jetzt wäre es seine Entscheidung.

Nach der Arbeit bin ich nicht nochmal schauen gegangen, wie es dem Baum ging. Weil ich Angst hatte.

Nachsatz
Tut mir Leid, dass ich gerade so selten hier bin, ich hoffe, ihr findet andere schöne Dinge im Netz! Ihr wisst ja, das schwankt bei mir öfter, und gerade ist einfach viel los, beruflich wie privat. Aber das meiste ist ganz gut!

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