24.01.2006 17:47
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Allgemein

Konstruktivismus ist ne feine Sache. Um uns rum nur Meinungen, keine tatsächliche Wahrheit. Das gefällt mir. In gewisser Weise ist auch die Technologie mittlerweile konstruktivistisch – wer von euch hat nicht schonmal anhand der Google-Hits entschieden, wie ein Wort geschrieben wird? “Sylvester” (was, wie ich dank Killefit weiß und bei der Recherche einleuchtend fand, falsch ist) schlägt “Silvester” mit 1.000.000 Hits Vorsprung. Auf deutschen Seiten.

Demokraten schreiben ab jetzt also bitte mit Y. :)

Sprache ist darnebst auch eine feine Sache. Ich hab sogar eine eigene Kategorie dafür, weil sie mir so gefällt.

Für einen Vortrag im Rahmen der Ausbildung habe ich soeben eine Tour de Force in die Postmoderne gemacht, die ich jetzt in aller Kürze (und somit völlig ohne was zu erklären, wie ich befürchte) wiederholen werde:

Schon Ferdinand deSaussure war der Meinung, dass (a) die Zuordnung eines Wortes (Signifikant) zu einer Sache (Signifikat) willkürlich ist, also nicht aus der Welt selber stammen, und dass (b) eine Sprache eine innere Logik hat, die wiederum nicht mit der Logik der Welt und ergo der Wahrheit zusammenhängt.

Jaque Derrida war einer ähnlichen Meinung: Einzig durch Unterschiede zu anderen Worten und außerdem durch ein Ausblenden mancher Bedeutungen gelangt irgendein Wort zu Bedeutung. Folglich ist die Basis jeder Aussage nur ihr Unterschied zu anderen Aussagen, und wieder ist die Welt nicht mit im Rennen.

Das nennt der Autor des Textes, den ich las (K. Gergen), postmodern: Wahrheit als Grundlage von Äußerungen ist fort. Alles ist ohne Halt.

Was uns bleibt, ist der Nutzen, die Pragmatik des Wortes. Wenn es schon nie wahr ist, vielleicht ist es ja manchmal nützlich.
Das führt zu Wittgenstein (“Sprache ist Gebrauch”) und seinem Schüler Austin (“We do things with words”), der die Sprechakttheorie begründet hat.

Aus diesem ganzen Zeug erschließt sich dann der soziale Konstruktionismus: Wir bilden nicht die Welt durch Sprache ab, wir bilden uns eine Welt anhand der Sprache. Also: Erst wird gequatscht, dann wird die Welt verstanden.
Und dieses Quatschen passiert in Aushandlung mit anderen, ist halt sozial, und somit gibt es in unterschiedlichen Diskursen unterschiedliche Wahrheiten.

Zum Beispiel würde ich am Silv…, oh, Verzeihung, liebe Genossinnen und Genossen, Sylvsterabend nicht unbedingt mit der Rechtschreibung kommen, weil es nicht angemessen wäre.

Genau diese Gedanken sind wichtig für die Art, Therapie zu machen, wie ich sie im Ausbildungsinstitut lerne.
Wir können nicht ändern, wie die Welt ist, aber wir können ändern, wie wir die Welt sehen. Und diese Änderung der Weltsicht passiert eben durch Sprache.

Essentieller Bestandteil jeglicher konstruktivistischen Theorie ist, dass man, wenn man da dran glaubt, nicht besonders überzeugt von irgendwelchen Sachen sein darf (eigentlich auch nicht von der konstruktivistischen Theorie, aber das würde jetzt absurd), dass man also seine eigene Weltsicht immer als eine mögliche enttarnt, und nicht als “die richtige”.

Und genau diesen Gedanken finde zumindest ich ungeheuer tröstlich… Und umfassend! Es gibt kein wahres Geschlecht (schon die Dichotomie ist nach Derrida Unfug), es gibt keine wahre Liebesgesinnung, es gibt noch nichtmal Stabilität auf einem Kontinuum! Panta Rhei. Choose your truth now.
Super geil ist das!

Weil das in schlechten Zeiten nämlich immer heißt, dass man das ganze auch anders sehen kann.
Nach dem sozialen Konstruktionismus ist Sprache dann das Werkzeug, um etwas zu ändern. Wenn ich also mit Leuten anders umgehe, wir dann, nach Wittgenstein, ein anderes Sprachspiel spielen, einen anderen Diskurs führen, wird sich etwas zwischen uns etwas ändern.
Das ist doch super! Einzig schwierig daran ist, dass man halt leider doch immer der Meinung ist, Recht zu haben… oder, wenn man zugibt, dass das alles nicht sicher ist, sieht der Gegenüber das als Kapitulation und ist sich sicher, dass er dann wohl Recht hat.

Wie bei allen Ideologien: Das klappt halt nur, wenn alle mitmachen.

Literatur:
Gergen, K (2002). Von der Semiotik zur Dekonstruktion… In: Konstruierte Wirklichkeiten. Kohlhammer (38-73 & 210-219).

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