03.10.2006 14:28
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Allgemein

Oh Mann, Leute, gestern habe ich dann, wie schon zweimal angekündigtDer Freie Wille” gesehen.
Kurze Zusammenfassung: Jürgen Vogel spielt Theo Stör, einen Vergewaltiger, der sich nach 9 Jahren Haft an einem Leben in Freiheit probiert.

Ich bin ja wirklich hart im Nehmen, was emotionale Zumutungen anbelangt. Ich hatte viel Freude mit meinem Geburtstagsfilm, der nun wirklich jegliches Prädikat zwischen “verstörend” und “belastend” im Handstreich verdient. Aber gestern…

Jürgen Vogel und Sabine Timoteo
Theo und Netty. © Anne-Kathrin Golinsky

Der Regisseur Matthias Glasner sagt folgendes über den Film:

“Ich hatte mir vorgenommen, einen zarten Film über den Terror der Einsamkeit zu drehen. Und so habe ich, egal was passiert – ob grausam oder vorsichtig hoffnungsvoll – alles mit der gleichen Anteilnahme mit meiner Kamera begleitet.”
Matthias Glasner, Regisseur

Das ist ihm gelungen. Und durch die immer gleiche Anteilnahme ist man ganz auf seine eigene Moral zurückgeworfen.

Das ist das Schwierigste an dem Film: Er erklärt nichts, er nimmt einem nichts ab. Ich atmete nachher tief durch, und suchte in mir nach einer Stellungnahme, zu dem Vergewaltiger, zu der Tat, zum Leben in Freiheit, zum Versuch des Täters, wieder zu lieben, aber ich fand keine. Ich fand nur Verstörung und ein diffuses Gefühl von “Das ist alles irgendwie scheiße…”.
Selbstverständlich bezieht sich dieses Gefühl insbesondere auf die Vergewaltigungen, die in einer Schonungslosigkeit und irgendwie einnehmenden Nebensächlichkeit gezeigt werden, dass ich wirklich kurz überlegt habe, was ich täte, würde ich gleich kotzen müssen, ob ich es bis zum Klo schaffen würde (nein) und ob ich irgendetwas tütenähnliches dabei gehabt hätte (nur meine Tasche).

Aber dieses Gefühl hält dort nicht ein, und bezieht sich ebenso auf die Liebesgeschichte zwischen Theo und Netty, die, sieht man sie isoliert, auch nicht gründlicher schief geht als bei jedem weniger vom Schicksal verkloppten Paar. Ohne die ersten Szenen, jene vor der Haft, wo Theo Stör noch pummelig und wortlos ist, wo er viel mehr der eindeutig böse Mensch ist, auf den man auch später gern einen unreflektierten Hass hätte, wäre der Film ohnehin in weiten Strecken einfach ein Film über einen weiteren scheiternden Versuch von zwei irgendwie angeschlagenen Menschen, sich zu lieben, denn auch Sabine Timoteo füllt Netty mit einer schicksalshaften Unvollkommenheit, einem Fremdheitsgefühl dem normalen Leben gegenüber, dass man nicht weiß, ob man sie umarmen oder meiden soll.

Jürgen Vogel
© Anne-Kathrin Golinsky

Aber es gibt eben diese Szenen am Anfang. Und leider ist Theo Stör nachher nicht mehr der böse Mann, der böse dunkle Mann mit einer Waffe zwischen den Beinen, wie ihn die cineastische genau wie die journalistische Kultur gern zeichnet, und wie man ihn wirklich gern sehen würde. Er ist eigentlich eine arme Sau, der oft die Hände käfiggleich vor seinem Schritt zusammenlegt, irgendeinem dunklen Teil von sich ausgeliefert, aber natürlich dennoch eigentlich nicht hilflos. Und so würde sich die Gefühlslage des Zuschauers irgendwo zwischen “Och, Theo, nicht doch, komm, du packst das” und “Mann, Theo, Arsch, geh zurück in den Bau” einpendeln, wenn das miteinander vereinbar wäre. So aber pendelt sich überhaupt nichts ein, und man verlässt das Kino schweigend, viel zu eng von Überforderung eingepackt, um zu weinen oder zu sprechen, und geht nach Hause. Nicht schlauer. Nicht mit mehr Verständnis. Aber doch irgendwie weiter. Nur aus der Verwirrung entsteht Weisheit.

Man sollte diesen Film nicht anschauen. Er ist unglaublich gut.

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