11.03.2006 12:48
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Allgemein

Necla Kelek ist seit 1968 in Deutschland und lebte aber hier in ihrer Familie, die, so fern der Heimat, sehr strengen muslimischen Regeln folgte.
Das sagt man ja oft, dass die Türken hier weitaus religiöser sind, also ernsthafter religiös, als in der Türkei, keine Ahnung ob das stimmt.

Frau Kelek ist Frauenrechtlerin und Soziologin, was sie ja durchaus qualifiziert, zur Rolle türkischer Frauen und zu Integration in Deutschland allgemein etwas zu sagen.

Ich bin ja leider immer nicht so richtig auf dem Laufenden, was das Weltgeschehen anbetrifft. Manchmal springt mir eine Schlagzeile aus dem Newsfeed der Tagesschau ins Auge, aber fernsehen tu ich nicht, und ich habe auch nur eine Wochenzeitung, namentlich die Zeit.

In jener wird mir berichtet, und wenn ihr wollt auch euch, dass Necla Kelek arg polarisiert momentan, weil sie sich recht rigoros für ein paar bestimmte Schritte in der Integrationspolitik einsetzt.

Viele davon (sie stehen nämlich in den Artikel) nickte ich beim Lesen ab, und dachte, Ja genau, stimmt, das macht Deutschland aus, irgendwie Grundgesetz, oder so.
Gewalt und Rassismus werden nicht geduldet, von und an niemand eingewandertem, die Schule ist Sozialisationsinstrument und somit muss Enkulturation dort stattfinden, was zum Beispiel heißt, dass dort Deutsch gesprochen wird, und dass Sportunterricht und Sexualkunde halt Pflichtfächer sind.
Heirat muss freiwillig sein, und Polygamie ist ein Grund, die Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen.

Huh?

“Die Mehrehe wird geächtet. In den Sozialversicherungen werden entsprechende Regelungen geschaffen, die eine Unterstützung der Polygamie verhindern. Polygamie ist ein Grund, die Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen.
Necla Kelek

Ja… Äh. Hui. Ich hab dann auch die anderen Sachen nochmal vorsichtiger und mit weniger Nicken gelesen.

Jean Auguste Dominique, Turkish Bath
Jean Auguste Dominique, Turkish Bath

Es gibt zwei große Stichworte, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind, Kulturrelativismus und Validität.

Kulturrelativismus

Das hat einerseits aufklärerische Gründe – ich halte es für zeitgemäß (Argumentation vorstellen: Die heutige Zeit, Globalisierung, Culture Clash vermeiden), Pluralismus auszuhalten. Bei aller Demokratisierung von Staaten muss auch das Weltgefüge demokratisch bleiben und Minderheiten, die anders denken, müssen ausgehalten werden, auch wenn sie unbequem sind.

Genau jene Gedanken spiegelt im Inneren, und ums Innere geht es ja, das Grundgesetz in den Artikeln 2 bis 4 wider.
Der Mensch ist in der Persönlichkeitsentfaltung frei, darf nicht diskriminiert werden, und Glaube spielt sowieso außer Konkurrenz. Säkulärer Staat hin oder her, das heißt ja nicht, dass Religion weg soll, sondern dass Staat und Religion getrennt sind.

Eben jene Rechte haben auch Immigranten, weil das halt im Grundgesetz steht. Es mag dann eindrucksvoll sein, wenn eine türkische (!) Frauenrechtlerin (!) solche Dinge fordert, aber es hiflt nichts, ein paar Sachen ecken da etwas an. Zum Beispiel Zwang zum Schwimmunterricht. Da muss man schon abwägen.
Oder eben (ihr habt es euch sicher schon gedacht, dass es darum gehen würde), die Vielehe.

§2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Okay, Sittengesetz. Die Wikipedia verrät mir, dass das nicht im eigentlichen Sinne ein Gesetz ist (as in: irgendwo gesetzt, also geschrieben), sondern nur die Gesellschaftsmoral betrifft.

Frau im Hijab
Schicker Hijab.

Das macht das ganze etwas schwierig, sehe ich ein, aber ich möchte das mal mit einem Handstreich fortfegen und darauf hinweisen, dass sexuelle Normen sich eh grad alle öffnen (BDSM, Homosexualität), und da ist es nur fair, wenn Poly da auch rein darf.

Heißt für mich: Solange eine Vielweibererei nicht gegen den Artikel 3, Absatz 2 (“Männer und Frauen sind gleichberechtigt”) verstößt, hat da kein Immigrationspolitiker was dran zu wollen.

Validität

Das hat mich schon bei der Idee des Sprach- und Kulturtests gestört. In kurzen Worten: Mindestens 1 Drittel der Deutschen würde den Einbürgerungstest nicht bestehen, so meine Prognose, sei es wegen sprachlicher oder historischer Defizite. Mal ehrlich, die Leute die die Tests fordern und entwickeln sind doch Bildungselite.

Insofern ist es kein valider Test, um Berechtigung zum Deutschsein zu ermitteln, denn er misst nicht das, was er zu messen vorgibt: Deutsche Werte, deutsche Fähigkeiten.
Er misst stattdessen ein Ideal, zu deutsch: einen Wunschtraum von Gesellschaftsmachern wie Frau Kelek, wie das denn hier laufen müsste.
Diese Wünsche sind erstmal auch ganz nett, aber (a) können wir nicht schon wieder Ausländer ins Land holen, damit sie die Dreckarbeit machen (die Gastarbeiter aus den 60ern haben Kohle gefördert, und die Gastidealisten von jetzt sollen unsere Gesellschaft fördern), und vor allem (b) sind das nicht jedermanns Wünsche (das Thema Demokratie und Kulturrelativismus hatten wir ja schon).

Ich würde nämlich auch gehen müssen, bei dem Test vielleicht nicht, aber bei den Regeln von Frau Kelek, ich bin ja poly. Schlimm genug, dass bald die Sozialversicherungen ahnden werden, was ich als Persönlichkeitsrecht begreife (§2 (1), s.o.), aber dass ich gleich ausgewiesen würde…

Bin ich denn so ein schlechter Deutscher? Schade.

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