02.04.2007 13:48
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Allgemein

Ich bin ja nicht dafür, alles zu verteufeln, was neu ist. Das erscheint mir albern, immerhin lebe ich nur 90 Jahre hier auf dem Planeten, der schon zig Millionen auf dem verkraterten Buckel hat. Und gerade bei den Jugendlichen wurde ja eigentlich immer schon geschrien, dies sei nun wirklich die schlimmste Generation überhaupt. “Die nehmen Drogen”, “Die haben mehrere Partner”, das ist so das erste was mir einfällt, obwohl, in den 20ern hieß es “die Frauen rauchen!”.

Immer war irgendwas. Und dieses irgendwas ist meiner Meinung nach schlicht ein “Die machen das anders als wir damals”, ist also enorm egozentrische Normativität – so war’s früher, ich bin toll, alle sollen es so machen wie ich damals. Und weil ich das so bekloppt finde, versuche ich immer, offen zu bleiben, und wirklich zu verstehen: Warum müssen die Handys ganz laut und in fürchterlicher Qualität Songs in die S-Bahn brüllen, die unoriginell und langweilig sind? Warum die dicken Jacken und die Mützen so seitwärts? Die meisten Sachen kann ich tatsächlich auch verstehen, viel hat mit Grenzen und Identität zu tun, so muss das eben. Aber ich verstehe auch, dass manche Sachen quite shocking sind.

So fand ich eben via Renee Pornero einen Artikel auf Spiegel Online, in dem folgendes zu lesen stand:

Dass Cliquen von Vierzehnjährigen Gang-Bang-Partys veranstalten, soll keine Seltenheit mehr sein. Kids verabreden sich in Chats zu Blowjob-Dates in Parkhäusern, die dort entstandenen Handyfilme landen auf einschlägigen Webseiten. Das ist Sport: In Kliniken und bei Jugendbehörden laufen minderjährige schwangere Mädchen auf, die fünf, sechs potentielle Väter nennen – und das nicht nur ganz selbstverständlich, sondern mitunter mit Stolz.
Spiegel Online

Tja. Was macht man nun damit. Auch meine erste Reaktion war gehörige Irritation. “Momenterl”, dachte ich, noch ganz im Wienerisch von Renee Pornero, “einen Menschen zu gebären ist kein Kindergeburtstag”. Gleich darauf fiel mir auf, dass das Gebären natürlich üblicherweise schon auch ein Kindergeburtstag ist, naja, die Irritation blieb aber jedenfalls bestehen.
Gleichzeitig musste ich grinsen. Viele Leute müssen 30 oder 40 jahre alt werden, um sich für Swinging oder Playparties zu öffnen. Und Oralsex ist für viele Menschen nach wie vor irgendwie “Bäh!”. Erst vor kurzem berichtete die Senderin, dass viele ihrer Kunden im Camchat genau das in ihren Beziehungen total vermissen. Kann ich gut verstehen, Oralsex ist was Feines. Es gibt ja so viel, was Freude macht.
Welch ein Geschenk, dass die Jugendlichen heute das alles einfach tun können. Dass sie es normal finden, dass Sex nur Sex ist, und kein Versprechen. Dass sie nicht verhüten finde ich nicht so gut, aber dass sie Sex genießen, und offensichtlich das Internet dafür gesorgt hat, dass sie nicht lauter Komplexe, Vorurteile und quatschige Vorstellungen in sich tragen – find ich super, find ich fast beneidenswert.

Ja, das kann man auch unromantisch finden. Aber hey, die Romantik ist 200 Jahre her, vielleicht wird es ja auch mal Zeit für was Neues. Wie ich schon sagte: Ich bin nur so kurz hier, alles wandelt sich, und ich bin nicht dafür, alles zu verteufeln, was neu ist.

“You will go so much further” hat Dossie Easton, die Polyamory-Vorreiterin auf der 1. Poly-Konferenz in Hamburg gesagt. Wir seien jung, und wir würden so viel weiter starten. Recht hat sie. Wo sind wohl die Jugendlichen von heute mit 30 oder 40, gerade auch in sexueller, moralischer Hinsicht? Wie werden sie lieben? Wahrscheinlich, das sei zur Beruhigung gesagt, wahrscheinlich genau wie all die Generationen vor ihr. Noch keine Generation hat die Welt zugrunde gerichtet, spätestens mit Mitte 30 schimpft man auf die neuen Gören. Ist ja vielleicht auch ganz gut, so hat man was zu tun.

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