Der Prozess, der beim Massage-Workshop angestoßen wurde, wird mit der Zeit danach etwas klarer für mich. Ich war ja krank, und merkte: Ich versage mir dann Sachen, und bin sauer. Auf die Krankheit oder auf mich, das ist gar nicht wirklich zu unterscheiden. Jedenfalls stehe ich dann da mit meinem rauhen Hals und leide, und bin der arme J., der jetzt nicht mitmachen kann.

Es ist eine bestimmte Rolle, in die ich dann gehe: Die Rolle des Leidenden. Und in dieser Rolle versperre ich mir selber ganz viele Dinge. Ich kenne diese Rolle gut, fiel mir auf, und zwar nicht von Krankheit, sondern von Verliebtheit. Wenn ich unglücklich verliebt war, ging ich massiv in diese Rolle des Leidenden, was damit einherging, dass ich in der Konstruktion meiner Identität nur Raum fand für traurige, schlimme Bauklötze.

Eine Freundin von mir bändelt gerade mit einem gemeinsamen Bekannten an, und ich spürte in mir ein Gefühl von Ausgeschlossensein. Das ist nicht komplett angebracht, sie ist loyal und aufmerksam, und ihr Anbändeln dort ändert nichts an der Verbindung hier. Sie ist poly und frei und kriegt das noch dazu ziemlich gut hin.
Aber spannenderweise führte gerade dieser Eindruck von “J., das Gefühl ist doch gar nicht nötig” geradewegs in die Leidenden-Rolle. Weil ich mir das Gefühl versagte, war ich viel mehr der Gelähmte, der Eingeschränkte.

Der Leidende leidet nämlich nicht an einem Gefühl, sondern eher an der Abwesenheit von authentischem Ausdruck.

Auch bei Kira, bei der ich genau diese Rolle vor ziemlich genau einem Jahr schonmal erlebte, war es dieses Fehlen von authentischem Ausdruck, das die Rolle einleitet. Überhaupt kenne ich dieses Gefühl von Zeiten, in denen ich unglücklich verliebt war. Um zu verhindern, auf die Schnauze zu fallen, lege ich mich schonmal ganz still hin. Und letztlich stelle ich damit den Zustand her, vor dem mir eigentlich graut: Wenn meine Gefühle nicht sein dürfen.

Dabei sind die Gefühle in jedem der Fälle ganz zauberhaft und wunderbar: Ich habe ein bisschen Angst, ausgesperrt zu werden, ich bin dabei voller Wohlwollen und Liebe, ich möchte diese Menschen nah in meinem Leben haben, ich möchte Zärtlichkeit ausleben, ich will sie nicht verlieren.

Diese Dinge allein zu schreiben stärkt mir den Rücken, ich richte mich innerlich wie äußerlich auf und spüre mich. Diese Gefühle zu leben, zuzulassen, erscheint mir gut und richtig. Selbst wenn ich natürlich nicht immer das bekommen kann, was ich gern hätte, ist es eben doch ein Unterschied, ob ich es versuche (und vielleicht auf die Schnauze falle) oder es gar nicht erst versuche.

Auf dem Workshop gab es einen Moment, wo wir alle im Kreis standen, und (da es um Körper und Körpererfahrung geht) ein bisschen Musik lief, zu der wir uns bewegen durften. “Toll”, dachte ich, “ich bin krank und kann nicht mittanzen, obwohl ich das gut fände”. Glücklicherweise gelang es mir aber, von diesem Gedanken Abstand zu finden. Wieso soll ich nicht tanzen? Also habe ich getanzt, und obwohl es natürlich anstrengend ist mit krankem Körper, ging das, und vor allem veränderte es etwas in meiner Haltung mir selbst gegenüber:

Ich war dann nicht mehr der Leidende, der nicht wagt, das zu leben, was da ist, ich war ich, und es war halt anstrengend das zu leben, was da ist. Ich hab sogar Fieber bekommen, und war nachher erschöpft.

Aber ich hab es eben gemacht.

3 Kommentare zu “Die Rolle des Leidenden.”

  1. Pic sagt:

    Hallo J.!

    Ich muss auch hier noch (m)einen Senf ablassen, wenn ich schon dabei bin, hier zu schreiben.
    Mir sind inzwischen einige Menschen bekannt, die Krankheit (mit Betonung auf der körperlichen Ebene, jedoch mag man das auch ausdehnen) nicht mehr nur negativ sehen. Vielmehr geht auch mir mit diesen Menschen langsam ein Umgang mit einem solchen “Zustand” einher, der darauf abziehlt, sich darauf einzulassen, zu “versöhnen”. Ich hoffe, es klingt nicht allzu esotherisch. Ich meine hier keinen Geist-gehalt der Krankheit. Vielmehr möchte ich es mit Juli Zeh in “corpus delicti” ein sogenanntes “Recht auf Krankheit” nennen. Es ist uns wahrscheinlich unmöglich, dauerhaft gesund zu sein. Vielmehr ist meines Wissens nach unser Körper darauf angelegt, an Krankheiten “zu lernen” um sich in Zukunft besser dagegen wehren zu können. Nichtsdestotrotz wird man auch in Zukunft an der gleichen Krankheit erkranken können – wenngleich diese dann auch schneller auskuriert werden kann.
    Worum es mir geht, ist ein bewusster Umgang mit dem Krank-Sein. Es zuzulassen und zu durchleben.
    Und so mag eben das Leiden (auch im Allgemeinen), das du ansprichst, nicht nur ein Leiden bleiben, sondern eben auch eine Leistung, ein Kranksein-Können, sein. So kann ein bewusster Krankheitsumgang (quasi der Aussage: “Ich bin jetzt krank – und das ist jetzt auch in Ordnung so”) einiges ersparen – so glaube ich.

    Damit sind in meinen Augen auch die Tore geöffnet für eine Aktivität trotz Krankheit. Dabei muss natürlich der genannte bewusste Umgang miteinbezogen werden und somit gleich von Anfang an mit einer gewissen Einschränkung gerechnet werden – die jedoch dann eigentlich nicht mehr negativ gesehen werden sollte.

    Nur – fällt mir gerade auf – liegt diese ganze Ansicht, die ich nun hier dargestellt habe, leider zum Teil unter dem Schatten der ganzen “think positive”-These, die ich absolut nicht mag. Vielleicht muss ich noch deutlich machen, dass ein bewusster Umgang nicht impliziert, dass man sich auch darüber freut. Vielmehr ist es – und jetzt wiederhole ich mich – Zulassen der Situation, an der man mit allem Energieeinsatz nur wenig ändern kann (-> vielleicht verschiebt man bei absoluter Ablehnung die “notwendige” krankheit nur). Ich habe dabei das Bild asiatischer Kampfsporttechniken im Kopf, bei denen es darum geht, die Energie des Gegners in andere Richtungen (zT gegen ihn) zu wenden. Hier müsste dann der Gegner die Krankheit sein…

    Nunja. Ich habe schon wieder viel zu viel geschrieben…
    Gute Nacht!
    Pic.

  2. j. sagt:

    Stimme dir absolut zu! “Auch ein gesunder Körper hat Missempfindungen” hat meine Mutter immer gesagt, und ich finde auch ein “Recht auf Krankheit” eine gute Formulierung.
    Ich habe auf dem Workshop irgendwann mal gesagt “Ach, hoffentlich bin ich morgen wieder gesund”, und eine Frau sagte “Denk doch lieber: ‘Ich bin gesund’, das ist besser”. Dahinter steht die Idee, dass man durch sein Denken seine Welt erschafft, was ich sogar glaube, aber es verleugnet auch, dass manchmal Existenz einfach mal schwer ist, und Krankheit eben doof.
    Für mich ist es durchaus möglich, die Krankheit zu akzeptieren, die Lehren zu betrachten, die sie mir bietet, und dennoch traurig zu sein, dass ich krank bin. All diese Gefühle machen eine Menge Sinn, oder?
    :)

Kommentieren