Mir fällt auf, dass ich den Satz “Waiting is”, den ich gerade erwähnte, noch nie im Blog erklärt habe. Er stammt aus Heinleins “Stranger in a strange land“, das ich sehr schätze, und der über die Maßen weise Protagonist Michael Valentine Smith sagt ihn mehrmals, wenn er Dinge noch nicht “grokt”, noch nicht versteht, oder das Leben einfach noch nicht so weit ist, wie man das gerne hätte. Waiting is. Man kann das gar nicht richtig schön übersetzen in seiner Fundamentalität. Warten ist. Die Sache, die gerade IST, die jetzt gerade die Wirklichkeit darstellt, ist Warten.

Manchmal fällt dort auch der Satz “Waiting isn’t full”. Das Warten ist noch nicht voll. Auch das gefällt mir außerordentlich gut. Es macht Warten zu etwas Dinghaftem – sonst meint Warten oft, dass ein Ding noch nicht da ist, deshalb wartet man ja. Aber genauso könnte man sagen, dass das Ausatmen kein Ding ist, weil man aufs Einatmen wartet, oder dass Schlafen kein Ding ist, weil man es nur macht, während die Tage gerade nicht passieren.

Aber Warten ist sehr real, und nicht immer ist die Welt schon bereit für das, was wir uns wünschen, was wir zu können glauben oder was wir meinen, was dran wäre.

Ich muss das gerade lernen bei Inari. Ich selber würde gern weitergehen, würde gern gucken was passiert, wenn wir uns über die Schwelle trauen, die gerade vor uns liegt, aber es ist sehr deutlich, dass das für Inari gerade nicht dran ist, wohl aber irgendwann dran sein könnte. Aber, so schmerzlich das ist, jetzt gerade eben nicht.

Waiting isn’t full.

Hui, was war ich lange nicht hier. Hui. Hui. Hui. Das hat mehrere Gründe, der beste darunter folgender: Ich bin gerade mehr damit beschäftigt, den ganzen Kram im Leben anzugehen, und nicht mehr so theoretisch anzuschauen. Das hat weniger damit zu tun, dass ich jetzt in 2 bis 3 Beziehungen stecken würde (tue ich nicht), sondern viel mehr damit, dass ich mir meine eigenen Muster anschaue und reingehe. Ich habe mir einen Therapeuten gesucht, der mich dabei unterstützt, und versuche mich in einer Befreiung von Kramigkeit. Und gerade hatte ich Lust, auch das Verfassen von Texten für dieses Blog hier als Teil des “Jetzt aber ich” mit einzubeziehen.

Bei dem Projekt stelle ich fest, und das trieb mich auch wieder hier her: Ich muss mich wieder mehr mit Polyamory umgeben. Ich bin zu sehr allein auf weiter Flur, denn auch wenn ich viele Freunde habe, die irgendwie was mit den ganzen Ideen anfangen können, bräuchte ich eigentlich einen Kreis von Menschen, die eben nicht meine Partnerinnen sind, die aber die Gefühle kennen, die mich nicht in normative Strukturen stecken wollen, deren Unverständnis ich erst durchbrechen muss, bevor ich eben Verständnis bekommen kann.

Ich brauche viel mehr Strukturen, die mir erlauben, mit stolzer Haltung durch die Schwierigkeiten zu gehen, die poly sein eben so mit sich bringt. Gerade aktuell: Die Beziehung zu Ava ist vorbei, und die mit Inari ist intensiv, aber nicht so einfach. Auf der einen Seite bin ich traurig um Ava, will gucken wie es gut gehen kann, und will eben nicht hopplahopp in die Sache mit Inari springen, sozusagen als Anästhetikum. Andersherum will ich auch den Sprung mit Inari nicht bremsen, weil ich an einer Idee von Polyamory festhalte, in der alle Beziehungen auf ewig handlungsleitend sind.
Wie macht man denn sowas? Wie findet man sich da zu recht? Mein Therapeut sagt “waiting is” (nicht in diesen Worten, aber das meint er), und mein schlauer Kopf will halt etwas verfrüht aus dem Warten raus, und dadurch entsteht das Unglück. Kann sein. Aber herrje, ich hätte wirklich gern mehr Leute um mich, die das alles auch schonmal erlebt haben.

Bezogen auf diesen Moment in Beziehung, wo die erste Verliebtheit abklingt und eine gewisse Traurigkeit einsetzt, oder vielleicht eine Ernüchterung, habe ich letztens an meinen alten Mathe-Unterricht gedacht.

Ja, ich weiß, aber so funktioniert mein Gehirn nunmal…

Jedenfalls dachte ich da an die Graphen, die man für die verschiedensten Funktionen malte, und dann an die Funktion y=?x . Die ergibt (für den Fall dass es die eine oder der andere nicht mehr im Gedächtnis hat) folgenden Graphen:

Geht steil los, aber die Steigung wird dann immer geringer. Genau diese Steigung beschreibt ja (bear with me, please) die Ableitungsfunktion. Nur zur Erinnerung: Wenn ich als Stammfunktion beispielsweise die Geschwindigkeit eines Autos abtrage, das losfährt (nach 1 Sekunde 3km/h, nach 2 Sekunden 6km/h und so weiter) erhalte ich als Ableitung die Beschleunigung. Hier nun also, without further ado, die Ableitungsfunktion für y=?x (für die Puristen: Sie lautet y= 1/(2?x)).

So. Danke, dass ihr so lange dabei geblieben seid, ich gehe jetzt auch wieder über zum Thema Gefühlswelten.
Der blaue Graph zeigt eine stetige Entwicklung in Richtung Plus. Der steigt und steigt, genau wie (im besten Fall) die Liebe und die Nähe mehr und mehr wird. Kein Grund zum Klagen, also, die Beziehung wird doch immer besser. Klar, nicht mehr in dem Tempo wie in den ersten Wochen, aber was man hat, das hat man doch…

Aber! Die Trauer, die man nach einer Weile spürt, ist die Trauer über die Ableitung, über den orangenen Graphen! Es stirbt etwas, weil die Steigung immer langsamer wird, immer immer langsamer, bis sie schließlich vom Stillstand nur noch mathematisch zu unterscheiden ist. Wie nähern uns der Null, und das ist die Ursache des Verdrusses, obwohl doch eigentlich (Stammfunktion) alles Richtung Unendlichkeit strebt.

Analog dazu gibt es ja auch beim Autofahren einen Thrill durch die Beschleunigung, nicht unbedingt durch die Geschwindigkeit. Alle Welt spricht von der Zeit, die man von 0 bis 100 braucht. DIE ist aufregend! Danach wird die Beschleunigung flacher, und ob man jetzt 200 oder 180 fährt, ist kaum zu merken.

Dies nur als Beobachtung. Ich hab keine Ahnung, was man dagegen tun kann, aber vielleicht ist es ein Anfang, wenn man eine Idee davon hat, warum man so unzufrieden ist, obwohl doch gottverdammtnochmal alles okay ist. Weil es nur noch so langsam besser wird, that’s why. Und ich finde, da kann man sich selbst gleich besser verstehen.

Die Wahlschwester hat gestern nochmal etwas gesagt, das ich als Gedanken schon kenne, aber nie richtig gut finden konnte. Gestern fand ich es richtig gut.

Es ist an vielen Stellen des Erlebens möglich, dieses Erleben als schlichte Existenz zu definieren oder als Schwäche. Beides hat seine Vorteile. Arbeite ich nur maximal 30 Stunden, weil ich nicht belastbar bin, oder ist das einfach meine Vorliebe? Liebe ich mehrere Menschen, weil ich einer intensiven Beziehung nicht gewachsen bin, oder ist das einfach meine Art zu leben? Wohne ich nicht gern allein, weil ich die Verantwortung scheue, oder weil ich es einfach will?

Beim Thema Beziehung (unabhängig davon, zu wie vielen Menschen) gab es eine Zeit, in der ich viel Kraft aus der Idee der Bindungsangst gezogen habe. Ich kann nichts dafür, ich hab eben Bindungsangst. Nach einer Weile gefiel mir das aber nicht mehr, weil es mein Erleben zu einer Störung macht. Ich dachte dann, eigentlich hab ich doch Recht, die Enge lähmt die Menschen, die Versprechen sind hohl, das ist doch alles wahr, ich bin doch nicht gestört, wenn ich das so sehe, ich bin da einer wichtigen Sache auf der Spur.

In der letzten Zeit mit Ava bin ich sehr an alte Verhaltensmuster gekommen, von Rückzug und einem Verlust aller Gefühle, in Grübeleien bin ich geraten und den ganzen Kack. Primär betrachte ich das alles kopfschüttelnd und hilflos, so wie ein Architekt, dessen neu gebaute Brücke sich durch ungeplante Phänomene auf völlig ungeahnte Weise selbst zerstört. Wieviel dieser Zerstörung bei Ava und mir auf meine Muster zurückzuführen ist, oder auf ihre, oder auf tatsächliche, handfeste Unterschiede, ist mir dabei nicht klar, und das Kopfschütteln bezieht sich auch auf das Unverständnis in mir über das, was da eigentlich passiert.

Die Wahlschwester und ich sprachen gestern über ein Muster, das uns beide ereilt: Nach einer Zeit, in der alles schön ist, alles leicht und frei, wird es ernst in uns, wir fangen an uns Mühe zu geben, beginnen, unsere Bedürfnisse nicht mehr gut zu sehen, weil wir die Bedürfnisse der anderen Person gut bedienen wollen, und hopplahopp sind wir über eine Grenze gegangen, jenseits derer wir uns fürchterlich fühlen.

Sie sagte gestern, das ist ein bisschen, als wenn einem ein Organ fehlt, wie eine Behinderung: Wir merken da nicht so gut, wo unsere Grenze ist, und deshalb gehen wir rüber. Auf dem Auge sind wir blind, oder auf der Nase können wir nicht riechen.

Diese Deutung gefällt mir. Sie ist nicht komplett “Ich bin kaputt, ochottochott”, man ist eben nicht völlig gestört und überhaupt beziehungsunfähig, man hat einfach das Organ für die eigenen Grenzen nicht und deshalb müssen die Leute (und muss man selber) ein bisschen vorsichtig mit einem umgehen. So wie man bei Blinden ein bisschen aufpasst, ob sie gut an Hindernissen vorbeikommen, oder bei Humpelnden, ob sie die Stufen wohl schaffen, so müsste man auch die Wahlschwester und mich anschauen und uns manchmal ein bisschen darin unterstützen, jene Grenze zu bemerken, hinter der alles kacke wird.
Ich mag, dass das beides ist:  Klar sind wir behindert! Wir laufen ständig in schlimme Sachen, was soll das anderes sein? Aber das heißt eben nicht, dass wir schuld sind oder dass das etwas Schlechtes ist – Nicht-Behindertsein ist kein Verdienst, und Behinderung gehört zum Leben, und sowieso tragen alle Leute was mit sich rum, wo sie Achtsamkeit brauchen. Wir sind einfach so.

Die Wahlschwester und ich kamen im gemeinsamen Urlaub an einen Punkt, den wir auch aus Beziehungen und aus dem Leben allein kennen: Das Gefühl, dass alles sehr hohl ist, dass das Leben und die eigene Existenz leere Hülsen sind. Gerade im Kontrast dazu, dass hier im Urlaub alles perfekt ist, wird das sehr schmerzlich spürbar. Der Ort, an dem wir sind, ist traumhaft schön, wir haben endlich einmal Zeit für uns jeweils allein und auch Ruhe für unsere Freundschaft. “Aber warum bin ich dann trotzdem nicht restlos glücklich?” fragt es im Inneren und strahlt dieses Mangelgefühl als wachsendes Leid hinaus in das ganze Wesen. Gerade im Angesicht von so viel Gutem wird es einem bewusst: All dieses Gute ändert leider nichts an dem inneren Mangel.

Glücklicherweise wagte es die Wahlschwester, das Gefühl anzusprechen. Ich selber hatte es auch, litt aber still – oft hatte ich die Erfahrung gemacht, dass es eher schlimmer wird, wenn man es ausspricht. Die Nachfragen, warum es einem denn nicht gut ginge, es wäre doch toll hier, sie unterstreichen noch stärker den eigenen Mangel an situationsadäquatem Glück.

Die Wahlschwester und ich sammelten in dem sich ergebenden schönen Gespräch Situationen, in denen wir diese Leere nicht spüren (Tanz, Zärtlichkeit, Sport und derlei) und stellten fest: All dies sind Krücken. Sie ändern nichts an der Leere, sie lenken allenfalls davon ab.

Aber vielleicht, so durchgrübelten wir die Sache weiter, ist das genau die Aufgabe: Das Leben ist hohl, füll es!
Aber wieso hilft es dann denn nicht dauerhaft?

Vielleicht, dachten wir dann, ist es wie mit dem Hunger. Da klagt ja auch niemand: “Ich hab alles probiert! Möhren, Kartoffeln, sogar Fleisch, aber das sind alles nur Krücken! Die Leere kehrt immer zurück!”

Vielleicht geht es nur darum, diese Leere besser anzuerkennen. Sich zu trauen, den Hunger als Teil des eigenen Menschseins anzuerkennen und auch offen anderen gegenüber zu sein mit diesem Teil.

Wir beide neigen nämlich in Beziehungen dazu, diese Seite zu verbergen, denn wir haben mal gelernt: Beziehungen (zumindest wenn sie gut sind) stillen diesen Hunger. Wenn wir ihn also dennoch spüren, ist das Verrat an der Sache, Verrat am Partner. Dies bringt uns dazu, uns selbst und diesen Hunger zu verleugnen, denn leider ist es Quatsch, was wir gelernt haben: In Wirklichkeit stillen Beziehungen diesen Hunger nicht. Dieses Verleugnen unseres Selbst ist dann übrigens auch gleich ein Einstieg in die letztens beschriebenen Spiralen.
Zu uns zu stehen heißt auch, uns mit diesem Hunger auf jemanden einzulassen, ihn eben als Teil des Pakets zu sehen.
Dieses Dazustehen hat die Wahlschwester gewagt, und tatsächlich war sie erst dann wieder ganz für mich spürbar. Auch ich selbst konnte erst im Dazustehen wieder merken: Stimmt, wir sind uns ja wichtig, wir lieben uns.

In Liebesbeziehungen lassen wir das häufig sein (was sicher auch mit der Sehnsucht nach der einfachen Lösung zu tun hat). Kein Wunder, dass das Gefühl der Leere dann weiter wächst: Wir verleugnen da etwas. Wir nehmen uns zurück, aber “zurück” bedeutet hier natürlich “fort vom Anderen”, und das Gefühl der Distanz wächst.

Wie so oft ist der einzige Ausweg: Wagen zu Sein.

Irgendwann in Beziehungen werde ich nervös. Meine Gedanken werden bestimmt von Sorgen, etwas falsch zu machen – sei es gegenüber meiner Partnerin, weil ich unaufmerksam, grob oder egoistisch bin, oder sei es gegenüber mir selbst: Bin ich hier eigentlich richtig? Will ich diese Beziehung wirklich?

Auch körperlich zeigt sich diese Nervosität: Ich habe dann den Eindruck, mein Herz pocht schneller und lauter, meine Atmung ist flach, und meine Brust fühlt sich eng an. Paniksymptome, wenn ich ganz ehrlich bin.

Diese Nervosität ist nicht so einfach zu besiegen – ich halte sie für meinen größten Feind, wenn es um Beziehungen geht.
Versuche, mit ihr umzugehen, führen häufig in die Meta-Falle (in der alles, was man tut, mit der Beziehung zu tun hat, sodass es keinen Rückzugsraum ins Individuelle mehr gibt), und somit werde ich wieder nervös.
Die Schleifen greifen dabei ineinander: Wenn ich mich nicht ganz heimisch fühle in der Beziehung, ziehe ich mich zurück. Der Rückzug verunsichert mein Gegenüber, sodass ich Angst bekomme etwas falsch zu machen und beginne, gegenzusteuern: Ich versuche, mich weniger zurückzuziehen, wofür ich mich anstrengen muss, und habe dadurch das Gefühl mich zu verstellen – immerhin will ich mich ja eigentlich zurückziehen. Diese Anstrengung, das Bemühen, führen dann dazu, dass ich mich nicht ganz heimisch fühle in der Beziehung, und der Kreis beginnt von Neuem.
Die Leichtigkeit und Natürlichkeit, die sich an jedweder Zwischenmenschlichkeit gut anfühlt, sind dann fort.

Ich habe festgestellt, dass andere Menschen in meinem Umfeld diese Muster ebenfalls kennen, und ich glaube außerdem, dass ich das Muster häufiger bei Menschen erlebe, die (so wie ich) die Trennung ihrer Eltern miterlebt haben.
Nun bitte ich, mich nicht falsch zu verstehen: Ich halte wenig davon, den Scheidungskindern ihre Bindungsfähigkeit abzusprechen. Gleichzeitig glaube ich aber doch, dass eine solche Trennung Effekte hat, und vielleicht ähneln die sich.

Meine Theorie dazu ist die folgende: Die Sehnsucht in Beziehungen, die in der beschriebenen Nervosität einen Ausweg sucht, ist die Sehnsucht nach der einfachen Lösung. Die Beziehung soll sich wieder leicht und schön und sicher anfühlen. Es ist eine Sehnsucht nach Symbiose, nach absoluter Kongruenz ohne Reibung, es ist die Sehnsucht nach unbedingter Liebe, in der ich tun kann, was ich will, und ich werde geliebt. An dieser Sehnsucht scheitern Beziehungen oft, und beim nächsten Versuch ist sie wieder da: Diesmal wird es ganz einfach! Diesmal wird es unkompliziert!

Diese Sehnsucht halte ich für ein kindliches Bedürfnis: Eltern lieben bedingungslos. Eltern behalten ihre Konflikte für sich und stehen bedingungslos zu mir. Mit Eltern ist man verschmolzen und symbiotisch.  Eltern schützen einen vor zu komplizierten Dingen und halten sich zurück.

Scheidungskinder konnten dieses Bedürfnis in ihrer Kindheit nicht ausreichend stillen. Ziemlich früh wurde die Bindung zu den Eltern arg kompliziert: Es gab Erwartungen an die eigene Loyalität und an eine Klarheit und Selbständigkeit, die uns überfordert haben. Auch andere Settings machen diese Überforderung, zB psychische Erkrankung eines Elternteils, Missbrauch und bestimmt noch mehr, was mir gerade nicht einfällt.

Im Falle ohne Trennung wachsen Kinder in einem geschützten Rahmen auf, in einer Beziehung mit klaren Hierarchien, klaren Regeln und sehr wenig Unwägbarkeiten. Mit wachsender Reife wagen Kinder sich immer mehr aus dieser Sicherheit in die Welt, und peu a peu lernen sie, wie man mit Schwierigkeiten umgeht, wie man Dissens aushält und Konflikte löst, ohne sich selbst zu verbiegen. Sie tun dies in dem Tempo, in dem sie selber die Möglichkeit haben, diese Erfahrung gut auszuhalten.

Als Kind in Trennung und Überforderung, so meine These, konnte man das nicht in der gebotenen Langsamkeit lernen, sondern war ad hoc damit konfrontiert. Den langen Weg in das stabile, gesicherte Ich kann man so nicht gehen.

Und nun stehen wir in der Welt mit dieser Sehnsucht nach dem sicheren Hafen, nach der einfachen Lösung, aber natürlich sind unsere Partner keine Eltern oder Beschützer, sie sind uns ebenbürtig und genauso kompliziert wie wir. Sie geben uns keine absolute Sicherheit, sondern brauchen auch Zuspruch. Sie behalten ihre Schwierigkeiten nicht für sich, sondern erhoffen sich Hilfe von uns.

Und das führt in genau die Überforderung, die wir schon aus der Kindheit kennen, sodass wir kindlich reagieren. Die Nervosität, die ich beschrieben habe, fühlt sich sogar bei jedem Empfinden ganz unangemessen an – es ist mir in diesen Momenten selber schleierhaft, wieso ich so krass reagiere und nicht einfach was ändere oder mich meinetwegen trenne.
Aber klar, wenn die Nervosität nur ein Echo meiner kindlichen Bedürfnisse ist, ist Trennung oder Aktivität überhaupt nicht drin: Das Kind kann das nicht.

Soweit meine These. Ich weiß noch nicht recht, was daraus für Handlungsideen entstehen, aber gerade fühlt es sich ganz gut, die Nervosität als Wegweiser zu verstehen, als Reaktion aufgrund von naiven Bedürfnissen, von denen meinem erwachsenen Ich völlig klar ist, dass ihre Erfüllung zwar nicht Aufgabe meiner Partnerin ist, dass ich aber diese Bedürfnisse auch nicht verleugnen kann.

Ich glaube, dass es gut wäre, wenn ich nicht von meinen erwachsenen Partnern erwarte, mich zu schützen, sondern wenn meine eigene Erwachsenheit das übernimmt. An dem Thema bleib ich jedenfalls dran.

Wie sieht’s aus, kommen diese Gefühle hier noch wem bekannt vor? Falls ja, findet ihr in eurer Biographie eine Überforderung, einen zu frühen Abschied von kindlicher Beziehung, die unkompliziert und sicher war? Passt meine These?

01.08.2010 15:15
5 Kommentare »
Leben

Vor geraumer Zeit ist mir eine Wandmalerei aufgefallen, die ein Kind mit eben jenem Spruch auf dem T-Shirt zeigt. Genau wie die oben abgebildete Postkarte, die ich jetzt gefunden habe, ist offenbar auch die Wandmalerei von Juju, einer Künstlerin aus Berlin. Dass Juju total wunderbare Sachen macht, ist schön, aber momentan sekundär.

Der Satz! Take Pride In Your Fears! Sei stolz auf deine Ängste!

Das ist in meinen Augen eine sehr schöne Art und Weise, Maitri zu leben, sich voll und ganz anzunehmen – und sogar nicht nur mit einem “Naja okay, so bin ich eben”, sondern mit Stolz! “Genau so unvollkommen und mangelhaft bin ich – hier bin ich! So.” Das Kind in der Zeichnung ist dabei nicht himmelhochjauchzend. Aber es sieht zäh und ernst aus, nicht traurig, sondern bestimmt. Auch sehr ruhig. Als wenn es schwer wäre, aber es wäre eben so.

Momentan, wo viele Menschen um mich herum in Krisen sind (Todesfälle, Trennungen, Verletzungen, Trauer… alles dabei) und ich selbst gerade auch oft bekümmert bin, sind mir die Gedanken rund um die Selbstliebe sehr wichtig. Manchmal überrascht mich das selbst, dass ich so bekümmert bin – Viele Leute würden mir sagen, ich wäre sehr selbstsicher, aber immer mal wieder stelle ich fest:
Nope.

Mich nimmt es mit, kritisiert zu werden für Dinge die ich nicht besser schaffe oder nicht anders kann. Ich bin unzufrieden damit, meinen inneren Idealen nicht zu genügen. Manchmal könnte ich gerne Dinge besser. Manchmal sehe ich sogar, dass ich den Idealen nicht hinterher laufen sollte und bin dann unzufrieden damit, es doch zu tun. Irgendwo bricht die Selbstliebe weg, irgendwo ist die Schwäche, wo ich es nicht mehr gut schaffe. Ich kann dabei das Wort “Angst” durchaus stehen lassen, ich glaube die meisten menschlichen Probleme kann man irgendwo als Angst einsortieren: Die Angst, das nicht zu schaffen was man gern schaffen will. Die Angst, verlassen zu werden. Die Angst, nicht so geliebt zu werden wie man ist. Das sind recht universelle Dinger.

Diese Schwächen, diese Ängste zu bemerken macht nicht so wirklich Laune, klar. Und doch weiß ich: Sich kasteien dafür, dass man so ist wie man ist, hilft gar nichts. Wir sind Mängelwesen, wie ben_ gerade so oft betont, wir haben Schwächen, wir haben Ängste, damit müssen wir leben. Nur trägt Juju diese Idee noch ein Stück weiter: Pride.

Ich bin beeindruckt.

Ava hat vor einiger Zeit etwas hier kommentiert, das ich nochmal aufgreifen möchte. Hier nochmal was sie schrieb (ein Zitat von Pema Chödrön):

In der Meditation sind wir so, wie wir sind, mit unserer Verblendung und unserer geistigen Gesundheit. Dieses vollkommene Akzeptieren unserer selbst, wie wir sind, nennt man Maitrî; es ist eine schlichte, unmittelbare Beziehung zu dem, was wir sind.
Es hilft nichts, wenn wir versuchen, uns selbst in Ordnung zu bringen. Von allen Möglichkeiten, Bodhichitta (Bodhi: “erwacht”, “erleuchtet”, “völlig offen”; Chitta: “Geist, Bewusstsein”, “Herz”, “Einstellung”) zu überdecken, benutzen wir das Uns-Selbst-Schlechtmachen am häufigsten.
Wenn wir also NICHT versuchen, uns zu ändern – heißt das, dass wir bis zu Tode zornig bleiben und an den Dingen haften müssen? Das ist eine vernünftige Frage. Das Sich-Selbst-Verbessern-Wollen funktioniert deshalb auf lange Sicht nicht, weil wir damit gegen unsere eigene Energie angehen. Selbstverbesserung mag vorübergehen etwas bewirken, aber zu dauerhafter Transformation kommt es nur, wenn wir uns selbst als Quelle von Weisheit und Mitgefühl achten. Erst, wenn wir beginnen, uns mit uns selbst anzufreunden, wird die Meditaton zu einem transformierenden Prozess. Nur wenn wir ohne alles Moralisieren, ohne Härte, ohne Täuschungsmanöver mit uns selbst umgehen, können wir von schädlichen Mustern ablassen. Ohne Maitrî wird die Ablehnung alter Gewohnheiten zu etwas, mit dem wir uns selbst schaden. Dies ist ein wichtiger Punkt.

Bumm. Das berührt mich. Es ist freies lieben mit sich selbst. Ich lasse das mal so stehen und füge noch ein Video von Pema Chödrön an, wo sie mehr davon erzählt.

[youtube]7s-rRMUl04I[/youtube]

Hervorragende Mini-Serie (Teil 1, Teil 2) von Greta Christina (bei Blowfish) über Sexismus gegen Männer, warum das bekloppt ist, und warum das auch für Feministinnen spannend ist. Ich bin ja ohnehin der Meinung, dass Sexismus immer alle Beteiligten trifft, aber Gretas Artikel macht das nochmal etwas präziser.

Und darin der unglaublich witzige und wahre Spruch, der diesen Beitrag ziert. Höchst empfehlenswert, wie überhaupt das ganze Blog von Greta.

Durch einen ganz dummen Zufall (ich verrat’s euch: Ich hab bei der Wikipedia zu verschiedenen Videospielen die Artikel gelesen) stolperte ich heute über den Begriff Gonzo. Ich kannte den bisher nur für Pornographie, wo ich immer dachte, der meint sehr klar auf den Geschlechtsakt an sich fokussierte Pornographie: Nahaufnahmen auf die Genitalien.

Weit gefehlt, und genau so weit hole ich jetzt erstmal aus. “Gonzo“, so erfuhr ich, ist ein Begriff, den Hunter S. Thompson (der Autor von Fear and Loathing in Las Vegas) als Journalist geprägt hat. Er bedeutet Journalismus, in dem das Subjekt vorkommt, in dem die Eindrücke und Gefühle des Autors Teil der journalistischen Leistung sind. Dies ist für den klassischen Journalismus so verrückt, dass sie eine solche Art der Berichterstattung nur als Literatur verstehen können. Es wäre gar kein Journalismus.

So, kurz zurück zum Sex, bevor ich zum Höhepunkt komme (des Artikels): Gonzo-Pornos machen genau das: Einer der Darsteller hat die Kamera. Naturgemäß ist das dann auch näher dran am eigentlichen Geschlechtsverkehr, aber das subjektive ist definitorisch, nicht die Genitalien.

So, nun aber: Es mag für viele nicht neu sein, ich finde es aber interessant: Das ganze Netz mit der Blogosphäre und Twitter und derlei ist letztlich Gonzo. Dieses Blog hier ist Gonzo.

Wieder was gelernt.