Menschenskind, manches klappt ja doch. Der Staat ist einigermaßen transparent, und es liegt ein PDF der Bundestagssitzung vom 9.11. vor. Das ist humorig zu lesen (besonders die Zwischenrufe), und in Teilen tatsächlich sehr aufschlussreich. Auf S. 51 (bzw. 12993) unten geht’s los.
Getrennt wird dabei im Übrigen ein Gesetz zur Reform der Telekommunikationsüberwachung – hier gibt es tatsächlich ein paar Verbesserungen, namentlich die Verpflichtung, nach einer Maßnahme die “Opfer” zu informieren und vor allem einen besseren Schutz von Berufsgeheimnisträgern (Ärzte etc.) – sowie auf der anderen Seite die Umsetzung der europäischen Richtline zur Vorratsdatenspeicherung.
Mal ein paar Auszüge:
Frau Zypries (SPD), Justizministerin:
Es werden nur Daten gespeichert, die ohnehin generiert werden; es müssen keine zusätzlichen Daten generiert werden.
Augenwischerei. Mit dem Argument könnte man auch den Wortlaut der Gespräche aufzeichnen, das wird ja auch “generiert”. Der Bezug sind Flatrates, wo bislang nicht gespeichert werden musste, welche Seiten besucht werden. Das ist jetzt anders.
(Dabei fällt mir auf, man könnte doch mal ein hübsches Skript schreiben, das alle 2 Sekunden eine neue Seite anfragt. Damit generiert man dann jede Menge Datenmüll und bewegt möglicherweise die Anbieter dazu, sich zu ärgern und evtl. was zu tun. Vielleicht erhöhen sie natürlich auch nur die Preise).
Frau Zypries (SPD), Justizministerin:
Einen Zugriff auf diese Daten kann es nur
geben, wenn man den Verdacht auf eine erhebliche
Straftat hat und ein richterlicher Beschluss vorliegt.
[...]
Dieses Gesetz enthält überhaupt keine Regelungen über
künftige Kompetenzen der Geheimdienste. Dies muss in
einem anderen Gesetz geregelt werden.
Das ist tatsächlich gut. Für Geheimdienste liegt aber noch keine Regelungen vor – ich bin unsicher, was das für die augenblicklichen Befugnisse heißt.
Herr Kauder (CDU/CSU):
Wie ist denn die augenblickliche Gesetzeslage? Es geht bei diesem Gesetzentwurf nicht um den Großen Lauschangriff; den haben wir schon in der Strafprozessordnung. Es geht nicht um das Abhören von Telekommunikationsinhalten; das haben wir schon. Es geht um das Abgreifen von Übermittlungsdaten, sogenannten Verkehrsdaten. Herr Kollege Ströbele, auch das haben wir schon in § 100 g und § 100 h der Strafprozessordnung.
Genau bei diesen beiden Vorschriften bestand Handlungsbedarf;
denn diese beiden Paragrafen laufen zum 31. Dezember 2007 aus. Hätte die Bundesregierung nicht reagiert, würde das bedeuten, dass wir Verkehrsdaten ab dem 1. Januar 2008 überhaupt nicht mehr abfragen dürfen.
Das finde ich tatsächlich hochinteressant. Also, primär weil das zeigt, wie schlimm es jetzt schon läuft, aber durchaus auch, weil dann die augenblickliche Debatte wirklich arg heiß geworden ist.
Im Wesentlichen hängt sich Herr Kauder dann aber an den Änderungen für Berufsgeheimnisträger und Einzelbeispielen von erfolgreicher Überwachung auf. Auf verfassungsrechtliche Bedenken geht er nicht wirklich ein. Zudem mogelt er sich geschickt durch die Fallstricke:
[Einzelbeispiel erfolgreicher Überwachung geht voran]
Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass Drittbetroffene in solchen gravierenden Fällen abgehört werden dürfen und dass Verbindungsdaten erhoben werden dürfen. Das soll auch so bleiben.
Herr Kauder (CDU/CSU)
Das ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist der Weg in eine Gesellschaft, in der den Bürgern nicht mehr getraut wird, und sie unter Generalverdacht gestellt werden.
Die Vorzüge für die Strafverfolgung sehe ich durchaus (anders als bei Videoüberwachung öffentlicher Plätze). Aber die Verhältnismäßigkeit bleibt hier nicht gewahrt, und die Freiheit wird stückweise abgeschafft. Das ist eine Tendenz, die man in den Beispielen und Einzelbeispielen nicht findet, ist aber genau die Tendenz, um die es geht. Schönes Beispiel, wo genau diese Tendenz mit Einzelerfolgen wegerklärt werden soll:
Wir wollen keinen gläsernen Menschen, wir wollen einen gläsernen Verbrecher.
Herr Kauder (CDU/CSU)
Ja, genau. Und wie finden wir raus, wer die Verbrecher sind? Achja, richtig.
Hier noch ein Beispiel von geschickter Rethorik, glücklicherweise zerschlagen von Herrn Ströbele:
Herr Kauder (CDU/CSU)
[Es gibt ohnehin schon einen Paragraphen der] besagt, dass man Verbindungsdaten für Zwecke der polizeilichen Ermittlung erheben darf.
Herr Ströbele (B90/ Grüne)
Aber nur bei einem bestimmten Verdacht!
Wichtiger Unterschied, tatsächlich. Hello Generalverdacht.
Hachja.
Wir sind der Staat. Fuck Emporkömmlinge. Bis bald.