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Mir fällt auf, dass ich den Satz “Waiting is”, den ich gerade erwähnte, noch nie im Blog erklärt habe. Er stammt aus Heinleins “Stranger in a strange land“, das ich sehr schätze, und der über die Maßen weise Protagonist Michael Valentine Smith sagt ihn mehrmals, wenn er Dinge noch nicht “grokt”, noch nicht versteht, oder das Leben einfach noch nicht so weit ist, wie man das gerne hätte. Waiting is. Man kann das gar nicht richtig schön übersetzen in seiner Fundamentalität. Warten ist. Die Sache, die gerade IST, die jetzt gerade die Wirklichkeit darstellt, ist Warten.

Manchmal fällt dort auch der Satz “Waiting isn’t full”. Das Warten ist noch nicht voll. Auch das gefällt mir außerordentlich gut. Es macht Warten zu etwas Dinghaftem – sonst meint Warten oft, dass ein Ding noch nicht da ist, deshalb wartet man ja. Aber genauso könnte man sagen, dass das Ausatmen kein Ding ist, weil man aufs Einatmen wartet, oder dass Schlafen kein Ding ist, weil man es nur macht, während die Tage gerade nicht passieren.

Aber Warten ist sehr real, und nicht immer ist die Welt schon bereit für das, was wir uns wünschen, was wir zu können glauben oder was wir meinen, was dran wäre.

Ich muss das gerade lernen bei Inari. Ich selber würde gern weitergehen, würde gern gucken was passiert, wenn wir uns über die Schwelle trauen, die gerade vor uns liegt, aber es ist sehr deutlich, dass das für Inari gerade nicht dran ist, wohl aber irgendwann dran sein könnte. Aber, so schmerzlich das ist, jetzt gerade eben nicht.

Waiting isn’t full.

Bezogen auf diesen Moment in Beziehung, wo die erste Verliebtheit abklingt und eine gewisse Traurigkeit einsetzt, oder vielleicht eine Ernüchterung, habe ich letztens an meinen alten Mathe-Unterricht gedacht.

Ja, ich weiß, aber so funktioniert mein Gehirn nunmal…

Jedenfalls dachte ich da an die Graphen, die man für die verschiedensten Funktionen malte, und dann an die Funktion y=?x . Die ergibt (für den Fall dass es die eine oder der andere nicht mehr im Gedächtnis hat) folgenden Graphen:

Geht steil los, aber die Steigung wird dann immer geringer. Genau diese Steigung beschreibt ja (bear with me, please) die Ableitungsfunktion. Nur zur Erinnerung: Wenn ich als Stammfunktion beispielsweise die Geschwindigkeit eines Autos abtrage, das losfährt (nach 1 Sekunde 3km/h, nach 2 Sekunden 6km/h und so weiter) erhalte ich als Ableitung die Beschleunigung. Hier nun also, without further ado, die Ableitungsfunktion für y=?x (für die Puristen: Sie lautet y= 1/(2?x)).

So. Danke, dass ihr so lange dabei geblieben seid, ich gehe jetzt auch wieder über zum Thema Gefühlswelten.
Der blaue Graph zeigt eine stetige Entwicklung in Richtung Plus. Der steigt und steigt, genau wie (im besten Fall) die Liebe und die Nähe mehr und mehr wird. Kein Grund zum Klagen, also, die Beziehung wird doch immer besser. Klar, nicht mehr in dem Tempo wie in den ersten Wochen, aber was man hat, das hat man doch…

Aber! Die Trauer, die man nach einer Weile spürt, ist die Trauer über die Ableitung, über den orangenen Graphen! Es stirbt etwas, weil die Steigung immer langsamer wird, immer immer langsamer, bis sie schließlich vom Stillstand nur noch mathematisch zu unterscheiden ist. Wie nähern uns der Null, und das ist die Ursache des Verdrusses, obwohl doch eigentlich (Stammfunktion) alles Richtung Unendlichkeit strebt.

Analog dazu gibt es ja auch beim Autofahren einen Thrill durch die Beschleunigung, nicht unbedingt durch die Geschwindigkeit. Alle Welt spricht von der Zeit, die man von 0 bis 100 braucht. DIE ist aufregend! Danach wird die Beschleunigung flacher, und ob man jetzt 200 oder 180 fährt, ist kaum zu merken.

Dies nur als Beobachtung. Ich hab keine Ahnung, was man dagegen tun kann, aber vielleicht ist es ein Anfang, wenn man eine Idee davon hat, warum man so unzufrieden ist, obwohl doch gottverdammtnochmal alles okay ist. Weil es nur noch so langsam besser wird, that’s why. Und ich finde, da kann man sich selbst gleich besser verstehen.

Die Wahlschwester hat gestern nochmal etwas gesagt, das ich als Gedanken schon kenne, aber nie richtig gut finden konnte. Gestern fand ich es richtig gut.

Es ist an vielen Stellen des Erlebens möglich, dieses Erleben als schlichte Existenz zu definieren oder als Schwäche. Beides hat seine Vorteile. Arbeite ich nur maximal 30 Stunden, weil ich nicht belastbar bin, oder ist das einfach meine Vorliebe? Liebe ich mehrere Menschen, weil ich einer intensiven Beziehung nicht gewachsen bin, oder ist das einfach meine Art zu leben? Wohne ich nicht gern allein, weil ich die Verantwortung scheue, oder weil ich es einfach will?

Beim Thema Beziehung (unabhängig davon, zu wie vielen Menschen) gab es eine Zeit, in der ich viel Kraft aus der Idee der Bindungsangst gezogen habe. Ich kann nichts dafür, ich hab eben Bindungsangst. Nach einer Weile gefiel mir das aber nicht mehr, weil es mein Erleben zu einer Störung macht. Ich dachte dann, eigentlich hab ich doch Recht, die Enge lähmt die Menschen, die Versprechen sind hohl, das ist doch alles wahr, ich bin doch nicht gestört, wenn ich das so sehe, ich bin da einer wichtigen Sache auf der Spur.

In der letzten Zeit mit Ava bin ich sehr an alte Verhaltensmuster gekommen, von Rückzug und einem Verlust aller Gefühle, in Grübeleien bin ich geraten und den ganzen Kack. Primär betrachte ich das alles kopfschüttelnd und hilflos, so wie ein Architekt, dessen neu gebaute Brücke sich durch ungeplante Phänomene auf völlig ungeahnte Weise selbst zerstört. Wieviel dieser Zerstörung bei Ava und mir auf meine Muster zurückzuführen ist, oder auf ihre, oder auf tatsächliche, handfeste Unterschiede, ist mir dabei nicht klar, und das Kopfschütteln bezieht sich auch auf das Unverständnis in mir über das, was da eigentlich passiert.

Die Wahlschwester und ich sprachen gestern über ein Muster, das uns beide ereilt: Nach einer Zeit, in der alles schön ist, alles leicht und frei, wird es ernst in uns, wir fangen an uns Mühe zu geben, beginnen, unsere Bedürfnisse nicht mehr gut zu sehen, weil wir die Bedürfnisse der anderen Person gut bedienen wollen, und hopplahopp sind wir über eine Grenze gegangen, jenseits derer wir uns fürchterlich fühlen.

Sie sagte gestern, das ist ein bisschen, als wenn einem ein Organ fehlt, wie eine Behinderung: Wir merken da nicht so gut, wo unsere Grenze ist, und deshalb gehen wir rüber. Auf dem Auge sind wir blind, oder auf der Nase können wir nicht riechen.

Diese Deutung gefällt mir. Sie ist nicht komplett “Ich bin kaputt, ochottochott”, man ist eben nicht völlig gestört und überhaupt beziehungsunfähig, man hat einfach das Organ für die eigenen Grenzen nicht und deshalb müssen die Leute (und muss man selber) ein bisschen vorsichtig mit einem umgehen. So wie man bei Blinden ein bisschen aufpasst, ob sie gut an Hindernissen vorbeikommen, oder bei Humpelnden, ob sie die Stufen wohl schaffen, so müsste man auch die Wahlschwester und mich anschauen und uns manchmal ein bisschen darin unterstützen, jene Grenze zu bemerken, hinter der alles kacke wird.
Ich mag, dass das beides ist:  Klar sind wir behindert! Wir laufen ständig in schlimme Sachen, was soll das anderes sein? Aber das heißt eben nicht, dass wir schuld sind oder dass das etwas Schlechtes ist – Nicht-Behindertsein ist kein Verdienst, und Behinderung gehört zum Leben, und sowieso tragen alle Leute was mit sich rum, wo sie Achtsamkeit brauchen. Wir sind einfach so.

Irgendwann in Beziehungen werde ich nervös. Meine Gedanken werden bestimmt von Sorgen, etwas falsch zu machen – sei es gegenüber meiner Partnerin, weil ich unaufmerksam, grob oder egoistisch bin, oder sei es gegenüber mir selbst: Bin ich hier eigentlich richtig? Will ich diese Beziehung wirklich?

Auch körperlich zeigt sich diese Nervosität: Ich habe dann den Eindruck, mein Herz pocht schneller und lauter, meine Atmung ist flach, und meine Brust fühlt sich eng an. Paniksymptome, wenn ich ganz ehrlich bin.

Diese Nervosität ist nicht so einfach zu besiegen – ich halte sie für meinen größten Feind, wenn es um Beziehungen geht.
Versuche, mit ihr umzugehen, führen häufig in die Meta-Falle (in der alles, was man tut, mit der Beziehung zu tun hat, sodass es keinen Rückzugsraum ins Individuelle mehr gibt), und somit werde ich wieder nervös.
Die Schleifen greifen dabei ineinander: Wenn ich mich nicht ganz heimisch fühle in der Beziehung, ziehe ich mich zurück. Der Rückzug verunsichert mein Gegenüber, sodass ich Angst bekomme etwas falsch zu machen und beginne, gegenzusteuern: Ich versuche, mich weniger zurückzuziehen, wofür ich mich anstrengen muss, und habe dadurch das Gefühl mich zu verstellen – immerhin will ich mich ja eigentlich zurückziehen. Diese Anstrengung, das Bemühen, führen dann dazu, dass ich mich nicht ganz heimisch fühle in der Beziehung, und der Kreis beginnt von Neuem.
Die Leichtigkeit und Natürlichkeit, die sich an jedweder Zwischenmenschlichkeit gut anfühlt, sind dann fort.

Ich habe festgestellt, dass andere Menschen in meinem Umfeld diese Muster ebenfalls kennen, und ich glaube außerdem, dass ich das Muster häufiger bei Menschen erlebe, die (so wie ich) die Trennung ihrer Eltern miterlebt haben.
Nun bitte ich, mich nicht falsch zu verstehen: Ich halte wenig davon, den Scheidungskindern ihre Bindungsfähigkeit abzusprechen. Gleichzeitig glaube ich aber doch, dass eine solche Trennung Effekte hat, und vielleicht ähneln die sich.

Meine Theorie dazu ist die folgende: Die Sehnsucht in Beziehungen, die in der beschriebenen Nervosität einen Ausweg sucht, ist die Sehnsucht nach der einfachen Lösung. Die Beziehung soll sich wieder leicht und schön und sicher anfühlen. Es ist eine Sehnsucht nach Symbiose, nach absoluter Kongruenz ohne Reibung, es ist die Sehnsucht nach unbedingter Liebe, in der ich tun kann, was ich will, und ich werde geliebt. An dieser Sehnsucht scheitern Beziehungen oft, und beim nächsten Versuch ist sie wieder da: Diesmal wird es ganz einfach! Diesmal wird es unkompliziert!

Diese Sehnsucht halte ich für ein kindliches Bedürfnis: Eltern lieben bedingungslos. Eltern behalten ihre Konflikte für sich und stehen bedingungslos zu mir. Mit Eltern ist man verschmolzen und symbiotisch.  Eltern schützen einen vor zu komplizierten Dingen und halten sich zurück.

Scheidungskinder konnten dieses Bedürfnis in ihrer Kindheit nicht ausreichend stillen. Ziemlich früh wurde die Bindung zu den Eltern arg kompliziert: Es gab Erwartungen an die eigene Loyalität und an eine Klarheit und Selbständigkeit, die uns überfordert haben. Auch andere Settings machen diese Überforderung, zB psychische Erkrankung eines Elternteils, Missbrauch und bestimmt noch mehr, was mir gerade nicht einfällt.

Im Falle ohne Trennung wachsen Kinder in einem geschützten Rahmen auf, in einer Beziehung mit klaren Hierarchien, klaren Regeln und sehr wenig Unwägbarkeiten. Mit wachsender Reife wagen Kinder sich immer mehr aus dieser Sicherheit in die Welt, und peu a peu lernen sie, wie man mit Schwierigkeiten umgeht, wie man Dissens aushält und Konflikte löst, ohne sich selbst zu verbiegen. Sie tun dies in dem Tempo, in dem sie selber die Möglichkeit haben, diese Erfahrung gut auszuhalten.

Als Kind in Trennung und Überforderung, so meine These, konnte man das nicht in der gebotenen Langsamkeit lernen, sondern war ad hoc damit konfrontiert. Den langen Weg in das stabile, gesicherte Ich kann man so nicht gehen.

Und nun stehen wir in der Welt mit dieser Sehnsucht nach dem sicheren Hafen, nach der einfachen Lösung, aber natürlich sind unsere Partner keine Eltern oder Beschützer, sie sind uns ebenbürtig und genauso kompliziert wie wir. Sie geben uns keine absolute Sicherheit, sondern brauchen auch Zuspruch. Sie behalten ihre Schwierigkeiten nicht für sich, sondern erhoffen sich Hilfe von uns.

Und das führt in genau die Überforderung, die wir schon aus der Kindheit kennen, sodass wir kindlich reagieren. Die Nervosität, die ich beschrieben habe, fühlt sich sogar bei jedem Empfinden ganz unangemessen an – es ist mir in diesen Momenten selber schleierhaft, wieso ich so krass reagiere und nicht einfach was ändere oder mich meinetwegen trenne.
Aber klar, wenn die Nervosität nur ein Echo meiner kindlichen Bedürfnisse ist, ist Trennung oder Aktivität überhaupt nicht drin: Das Kind kann das nicht.

Soweit meine These. Ich weiß noch nicht recht, was daraus für Handlungsideen entstehen, aber gerade fühlt es sich ganz gut, die Nervosität als Wegweiser zu verstehen, als Reaktion aufgrund von naiven Bedürfnissen, von denen meinem erwachsenen Ich völlig klar ist, dass ihre Erfüllung zwar nicht Aufgabe meiner Partnerin ist, dass ich aber diese Bedürfnisse auch nicht verleugnen kann.

Ich glaube, dass es gut wäre, wenn ich nicht von meinen erwachsenen Partnern erwarte, mich zu schützen, sondern wenn meine eigene Erwachsenheit das übernimmt. An dem Thema bleib ich jedenfalls dran.

Wie sieht’s aus, kommen diese Gefühle hier noch wem bekannt vor? Falls ja, findet ihr in eurer Biographie eine Überforderung, einen zu frühen Abschied von kindlicher Beziehung, die unkompliziert und sicher war? Passt meine These?

Hervorragende Mini-Serie (Teil 1, Teil 2) von Greta Christina (bei Blowfish) über Sexismus gegen Männer, warum das bekloppt ist, und warum das auch für Feministinnen spannend ist. Ich bin ja ohnehin der Meinung, dass Sexismus immer alle Beteiligten trifft, aber Gretas Artikel macht das nochmal etwas präziser.

Und darin der unglaublich witzige und wahre Spruch, der diesen Beitrag ziert. Höchst empfehlenswert, wie überhaupt das ganze Blog von Greta.

“Form follows function” ist ein Satz aus der Designbranche – egal ob man ein Haus, eine Website, einen Stuhl, eine Fernbedienung oder einen Düsenjäger designt, die Form muss der Funktion folgen. Eine kreisrunde Fernbedienung mit unbeschrifteten Knöpfen sieht bestimmt schick aus, ist aber unbrauchbar. Ebenso ein Stuhl, der mit Schleifpapier beklebt ist, eine Website deren Menü sich immer verändert oder ein Düsenjäger-Cabriolet und gleichfalls ein Haus mit Türen von 20 cm Breite.

Das ist aber nicht nur ein Satz aus der Designbranche, das ist auch schlichte Realität. In der Natur beispielsweise: Es entsteht nur, was eine Funktion hat. Sei es Schutz, Sieg, Balz oder Hilfe. Schneckenhäuser, Vogelschnäbel, Fellfarben, Daumen. Form follows function.

Mir fiel vor kurzem auf, dass man den Satz auch für Liebesbeziehungen verstehen kann, wobei “function” da etwas kühl klingt. Aber: Jeder von uns funktioniert auf eine bestimmte Art und Weise. Dieses Funktionieren muss mit in die Beziehung rein – ich muss auch in Beziehung natürlich der Mensch sein können, der ich nunmal bin. Die Form der Beziehung muss meiner Funktionsweise Raum geben und sich um mich legen wie ein gut sitzender Anzug: Form follows function.

Ganz häufig läuft das aber nicht so, und das individuelle Funktionieren muss sich der Form unterordnen: Weil wir ein Paar sind, wollen wir jetzt auch gemeinsam wohnen. Weil ich jemanden liebe, hole ich ihn vom Zug ab. Weil ich ein guter Partner sein will, höre ich mir die langweiligsten Geschichten bis zu Ende an.

Diese Art der Lebensgestaltung, so mein Vorwurf an die Welt, läuft den Bedürfnissen der Beteiligten entgegen. Aber um diese Beteiligten geht es! Sie sind die “function”! Menschen gehen doch Beziehungen ein, weil sie einander (und für sich selbst) Gutes wollen. Wenn sie irgendwann beginnen, sich der Form entsprechend zu verhalten, achten sie nicht mehr auf sich – sie folgen in ihrer Funktion der Form.

Stattdessen sollten sie die Form gestalten, und zwar entsprechend der Funktion, also ihrer Eigenheit, ihrem Wirken in der Welt. Sie sollten das leben, was genau zu ihnen passt. Wenn sie keine Lust haben, jemandem vom Zug abzuholen, dann sollten sie sich eine Beziehung basteln, in der das nicht vorkommt. Wenn sie sich nicht gut fühlen bei hemmungslosem Sex, dann sollte es in ihrer Beziehung kein Marker von Beziehungsqualität sein, besinnungslose Körperzeit zu haben. Gleichzeitig ist dies auch die Haltung, die es meinen Partnern entgegenzubringen gilt: Ich gestalte die Form – so gut ich kann – so, dass sie darin funktionieren können.

Und “form follows function” ist dann eben nicht nur ein Designgrundsatz oder evolutionäres Prinzip, sondern maximales Ernstnehmen dessen, was man ist, lieber Umgang damit, wie man selbst und das andere nun mal funktioniert.

Dazu passt im Übrigen gut, dass der Ursprung des Satzes (laut Wikipedia) bei einem amerikanischen Architekten namens Louis Sullivan liegt, dessen Ausspruch weit über das Architektonische hinausgeht:

It is the pervading law of all things organic and inorganic,
Of all things physical and metaphysical,
Of all things human and all things super-human,
Of all true manifestations of the head,
Of the heart, of the soul,
That the life is recognizable in its expression,
That form ever follows function. This is the law.

Zu deutsch:

Es ist das alles durchdringende Gesetz aller Dinge,
ob organisch oder nicht organisch,
ob physisch oder metaphysisch,
ob menschlich oder übermenschlich,
aller wahren Manifestationen des Kopfes,
des Herzens, der Seele,
dass das Leben in seinem Ausdruck erkennbar ist,
dass die Form immer der Funktion folgt. Dies ist das Gesetz.

Ich schrieb vorhin über die emotionale Identität – das ist ein Begriff, den ich für eine polyamore Haltung zu Liebe und Beziehungen wähle, oder, im eigentlichen Sinne, für jede Haltung zu Liebe und Beziehungen.

Der Begriff ist analog zu sexuelle Identität gewählt, der in meinem Verständnis umfassendste Begriff für alle Empfindsamkeiten zwischen Homosexualität, Transsexualität oder Bigenderism oder Hetero.

Aber in meinem Begriffssystem geht es nur sekundär um Sex. Das verstehen ja viele Leute miss. Mit verschiedenen Menschen Körperzeit zu teilen ist ein Nebeneffekt davon, wenn man frei und voller Liebe ist, erstmal geht es um eine bestimmte Art und Weise, sich auf jemanden einzulassen.

Diese Art, sich einlassen zu wollen, also die ganz individuell präferierte Art und Weise, zu lieben, Liebe auszudrücken, Liebe auszugestalten, ist die emotionale Identität.

Ich werfe den Begriff mal ins Internet und in Geschlechter-/ Liebes-/ Beziehungsdiskurse.

Mir begegnet in jüngster Zeit, wo ich mit Ava in einer recht großen Krise stecke (ungefähr eine 6,5 auf der Richter-Skala), immer wieder ein Missverständnis, das mich ärgert. Ich erzähle dann Menschen davon, dass wir da an einem schwierigen Punkt sind, und eine der ersten Reaktionen ist eine Variante von “Naja, das ist ja sicher auch schwer mit dem Poly-Kram”. Oder, was ich noch brutaler finde “Vielleicht ist die Ava eben doch an einer monogamen Sache interessiert”.

Beides geht an der Realität vorbei, dass uns allen in Beziehung Dinge widerfahren, wir uns mit uns selbst auseinander setzen, weil wir eben in Beziehung stehen. Wir erleben uns darin. Der erste Einwurf (“poly macht das sicher schwierig”) schiebt jede Schwierigkeit auf die Polyamory, was nicht nur frech ist (weil es Poly irgendwie angreift) sondern vor allem respektlos (weil es mein Erleben auf den Lifestyle reduziert, weil es nicht anerkennt, dass im Einlassen die krassen Sachen geschehen.

Der zweite Einwurf (“Ava ist doch monogam”) macht das gleiche, und noch oben drauf unterstellt er Ava, sie wüsste nicht, was sie täte. Dahinter steckt die Annahme, dass Polyamory eine so grundsätzlich schlechte und perfide Idee ist, dass man da drin total kaputt gehen muss, dass man sich unversehens in einem schlimmen Chaos widerfindet. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.

Man stelle sich vor, Lesben und Schwulen würde bei jeder Beziehungskrise unterstellt, ihr Partner sei eben vielleicht doch hetero, oder bei jeder Schwierigkeit hieße es: Naja, ist ja sicher auch schwierig, so mit zwei Frauen (oder eben zwei Männern).

Oder, noch besser, man stelle sich vor ich würde auf die Krisen von vanilla mono Heteros und Heteras immer fragen, ob sie denn sicher wären, dass ihre Partner nicht kinky/ schwulesbisch/ poly sind, und ob das nicht ohnehin schwer wäre so monogam.

Das ist doch alles nicht loving und respecting, das ist doch in Unverständnis gewickelte Missachtung.

Fucking frozen hell. Es ist eine 6,5 – ich brauche Zuspruch und Unterstützung, und was bekomme ich? Dummes Infragestellen meiner emotionalen Identität.

Ich kam mit Ava an einen Punkt, den ich so oder ähnlich schon kannte, und diesmal kann ich ihn besser benennen: Es ist der Punkt, an dem alles mit der Beziehung zu tun hat. Es ist die Meta-Falle.

Ich brauche Zeit für mich, und das hat dann mit der Beziehung zu tun. Ich habe viel zu tun, und das hat dann mit der Beziehung zu tun. Ich hab einfach mal keinen Bock, Ava zu sehen, und das hat dann mit der Beziehung zu tun.
Es gibt dann kein “außerhalb” mehr. Selbst wenn ich mich dann kurz einfach mal auf mich konzentrieren will, um EINMAL wenigstens frei zu haben davon, dass alles immer mit der Beziehung zu tun hat, dann… hat selbst das wieder damit zu tun.

Das ist enorm tückisch (und, für’s Protokoll: Nicht Ava macht diese Falle auf, die ist in der Sache angelegt). Man kommt da schlecht raus, weil jedes “raus” sich wiederbeziehen lässt, und schon ist es wieder ein “rein”. Ein bisschen, als würde man die ganze Zeit krampfhaft versuchen, nicht an den blauen Elefanten zu denken. Oh Mist. Jetzt aber, jetzt denk ich nicht an den blauen Elefanten.

It can’t be done. Und diese Meta-Ebene macht einem die ganze schöne Begegnung kaputt, weil es nicht mehr möglich ist, dass ich von mir und sie von sich erzählt und wir zwei Menschen sind, nein, wir reden immer von uns. Alles was ich von mir erzähle, hat ja dann mit uns zu tun. “Ich war spazieren, ich dachte das tut mir gut”, “Ich will zurück bei mir ankommen”, alles Botschaften von der Meta-Ebene.

Ich bin einigermaßen wieder rausgekommen. Ich wusste recht früh: Das ist Unfug, was ich da mache, es wird nicht verlangt und nervt, und ich wusste auch: Man kann nichts einfach lassen, sondern muss etwas stattdessen tun. Und ich wusste sogar, dass dieses stattdessen irgendwie damit zu tun haben müsste, ganz bei mir zu sein, sodass da wieder zwei Menschen sind, die sich begegnen können, aber da hat’s dann gehakt (weil sich alles, was ich “für mich” gemacht habe, so angefühlt hat, als würde ich es irgendwie “für uns für mich” tun, also als würde ich es für mich tun, damit es uns hilft).

Aber ich kenne einen guten Homöopathen, und genau solche Knoten, solche Perpetuum Mobiles der Selbstzerfleischung, kann man da gut einmal auflösen um wieder klar zu sehen. Das war knapp. Nächstes Mal möchte ich da früher richtig abbiegen. Mal sehen.

Ich neige in Beziehungen dazu, mich zu verbiegen, und mich ein Stück weit zu verändern, damit ich – angenommenerweise – ein bisschen liebenswerter bin. Dazu mache ich gerade, wo ich ja in zwei Menschen verliebt bin und mich in Beziehung fühle, eine spannende Beobachtung: Es wird leichter. Die Tendenz ist immer noch da, aber es ist ein bisschen so, als wären da jetzt zwei Impulse mich zu verbiegen, und dadurch entsteht so ein Hin-und-Her, sodass ich viel öfter bei mir in der Mitte vorbeikomme.

Das ist natürlich total bescheuert und nur eine Krücke, solange das noch nicht so gut von alleine geht, aber es klappt ganz gut. Weil es, ganz nah an der gerade eingeworfenen Metapher, tatsächlich so ist, dass ich zunächst innerhalb meines Musters sowas denke wie “Oh, an dem Abend könnte ich zwar was mit dir machen, aber ich will auch noch Zeit für sie haben…”. Das ist innerhalb meiner Tendenz, alles richtig zu machen. Aber während ich dann sage “Ne, ich möchte dich erst dann-und-dann sehen, ich brauch noch Zeit für mich und Inari (oder eben für mich und Ava)” stelle ich in mir fest: Oh, vor allem brauch ich auch noch Zeit für mich.

Noch nicht am Ziel, aber recht hilfreich.