Schlagwort-Archive: Bedürfnisse



Die Wahlschwester hat gestern nochmal etwas gesagt, das ich als Gedanken schon kenne, aber nie richtig gut finden konnte. Gestern fand ich es richtig gut.

Es ist an vielen Stellen des Erlebens möglich, dieses Erleben als schlichte Existenz zu definieren oder als Schwäche. Beides hat seine Vorteile. Arbeite ich nur maximal 30 Stunden, weil ich nicht belastbar bin, oder ist das einfach meine Vorliebe? Liebe ich mehrere Menschen, weil ich einer intensiven Beziehung nicht gewachsen bin, oder ist das einfach meine Art zu leben? Wohne ich nicht gern allein, weil ich die Verantwortung scheue, oder weil ich es einfach will?

Beim Thema Beziehung (unabhängig davon, zu wie vielen Menschen) gab es eine Zeit, in der ich viel Kraft aus der Idee der Bindungsangst gezogen habe. Ich kann nichts dafür, ich hab eben Bindungsangst. Nach einer Weile gefiel mir das aber nicht mehr, weil es mein Erleben zu einer Störung macht. Ich dachte dann, eigentlich hab ich doch Recht, die Enge lähmt die Menschen, die Versprechen sind hohl, das ist doch alles wahr, ich bin doch nicht gestört, wenn ich das so sehe, ich bin da einer wichtigen Sache auf der Spur.

In der letzten Zeit mit Ava bin ich sehr an alte Verhaltensmuster gekommen, von Rückzug und einem Verlust aller Gefühle, in Grübeleien bin ich geraten und den ganzen Kack. Primär betrachte ich das alles kopfschüttelnd und hilflos, so wie ein Architekt, dessen neu gebaute Brücke sich durch ungeplante Phänomene auf völlig ungeahnte Weise selbst zerstört. Wieviel dieser Zerstörung bei Ava und mir auf meine Muster zurückzuführen ist, oder auf ihre, oder auf tatsächliche, handfeste Unterschiede, ist mir dabei nicht klar, und das Kopfschütteln bezieht sich auch auf das Unverständnis in mir über das, was da eigentlich passiert.

Die Wahlschwester und ich sprachen gestern über ein Muster, das uns beide ereilt: Nach einer Zeit, in der alles schön ist, alles leicht und frei, wird es ernst in uns, wir fangen an uns Mühe zu geben, beginnen, unsere Bedürfnisse nicht mehr gut zu sehen, weil wir die Bedürfnisse der anderen Person gut bedienen wollen, und hopplahopp sind wir über eine Grenze gegangen, jenseits derer wir uns fürchterlich fühlen.

Sie sagte gestern, das ist ein bisschen, als wenn einem ein Organ fehlt, wie eine Behinderung: Wir merken da nicht so gut, wo unsere Grenze ist, und deshalb gehen wir rüber. Auf dem Auge sind wir blind, oder auf der Nase können wir nicht riechen.

Diese Deutung gefällt mir. Sie ist nicht komplett “Ich bin kaputt, ochottochott”, man ist eben nicht völlig gestört und überhaupt beziehungsunfähig, man hat einfach das Organ für die eigenen Grenzen nicht und deshalb müssen die Leute (und muss man selber) ein bisschen vorsichtig mit einem umgehen. So wie man bei Blinden ein bisschen aufpasst, ob sie gut an Hindernissen vorbeikommen, oder bei Humpelnden, ob sie die Stufen wohl schaffen, so müsste man auch die Wahlschwester und mich anschauen und uns manchmal ein bisschen darin unterstützen, jene Grenze zu bemerken, hinter der alles kacke wird.
Ich mag, dass das beides ist:  Klar sind wir behindert! Wir laufen ständig in schlimme Sachen, was soll das anderes sein? Aber das heißt eben nicht, dass wir schuld sind oder dass das etwas Schlechtes ist – Nicht-Behindertsein ist kein Verdienst, und Behinderung gehört zum Leben, und sowieso tragen alle Leute was mit sich rum, wo sie Achtsamkeit brauchen. Wir sind einfach so.

Irgendwann in Beziehungen werde ich nervös. Meine Gedanken werden bestimmt von Sorgen, etwas falsch zu machen – sei es gegenüber meiner Partnerin, weil ich unaufmerksam, grob oder egoistisch bin, oder sei es gegenüber mir selbst: Bin ich hier eigentlich richtig? Will ich diese Beziehung wirklich?

Auch körperlich zeigt sich diese Nervosität: Ich habe dann den Eindruck, mein Herz pocht schneller und lauter, meine Atmung ist flach, und meine Brust fühlt sich eng an. Paniksymptome, wenn ich ganz ehrlich bin.

Diese Nervosität ist nicht so einfach zu besiegen – ich halte sie für meinen größten Feind, wenn es um Beziehungen geht.
Versuche, mit ihr umzugehen, führen häufig in die Meta-Falle (in der alles, was man tut, mit der Beziehung zu tun hat, sodass es keinen Rückzugsraum ins Individuelle mehr gibt), und somit werde ich wieder nervös.
Die Schleifen greifen dabei ineinander: Wenn ich mich nicht ganz heimisch fühle in der Beziehung, ziehe ich mich zurück. Der Rückzug verunsichert mein Gegenüber, sodass ich Angst bekomme etwas falsch zu machen und beginne, gegenzusteuern: Ich versuche, mich weniger zurückzuziehen, wofür ich mich anstrengen muss, und habe dadurch das Gefühl mich zu verstellen – immerhin will ich mich ja eigentlich zurückziehen. Diese Anstrengung, das Bemühen, führen dann dazu, dass ich mich nicht ganz heimisch fühle in der Beziehung, und der Kreis beginnt von Neuem.
Die Leichtigkeit und Natürlichkeit, die sich an jedweder Zwischenmenschlichkeit gut anfühlt, sind dann fort.

Ich habe festgestellt, dass andere Menschen in meinem Umfeld diese Muster ebenfalls kennen, und ich glaube außerdem, dass ich das Muster häufiger bei Menschen erlebe, die (so wie ich) die Trennung ihrer Eltern miterlebt haben.
Nun bitte ich, mich nicht falsch zu verstehen: Ich halte wenig davon, den Scheidungskindern ihre Bindungsfähigkeit abzusprechen. Gleichzeitig glaube ich aber doch, dass eine solche Trennung Effekte hat, und vielleicht ähneln die sich.

Meine Theorie dazu ist die folgende: Die Sehnsucht in Beziehungen, die in der beschriebenen Nervosität einen Ausweg sucht, ist die Sehnsucht nach der einfachen Lösung. Die Beziehung soll sich wieder leicht und schön und sicher anfühlen. Es ist eine Sehnsucht nach Symbiose, nach absoluter Kongruenz ohne Reibung, es ist die Sehnsucht nach unbedingter Liebe, in der ich tun kann, was ich will, und ich werde geliebt. An dieser Sehnsucht scheitern Beziehungen oft, und beim nächsten Versuch ist sie wieder da: Diesmal wird es ganz einfach! Diesmal wird es unkompliziert!

Diese Sehnsucht halte ich für ein kindliches Bedürfnis: Eltern lieben bedingungslos. Eltern behalten ihre Konflikte für sich und stehen bedingungslos zu mir. Mit Eltern ist man verschmolzen und symbiotisch.  Eltern schützen einen vor zu komplizierten Dingen und halten sich zurück.

Scheidungskinder konnten dieses Bedürfnis in ihrer Kindheit nicht ausreichend stillen. Ziemlich früh wurde die Bindung zu den Eltern arg kompliziert: Es gab Erwartungen an die eigene Loyalität und an eine Klarheit und Selbständigkeit, die uns überfordert haben. Auch andere Settings machen diese Überforderung, zB psychische Erkrankung eines Elternteils, Missbrauch und bestimmt noch mehr, was mir gerade nicht einfällt.

Im Falle ohne Trennung wachsen Kinder in einem geschützten Rahmen auf, in einer Beziehung mit klaren Hierarchien, klaren Regeln und sehr wenig Unwägbarkeiten. Mit wachsender Reife wagen Kinder sich immer mehr aus dieser Sicherheit in die Welt, und peu a peu lernen sie, wie man mit Schwierigkeiten umgeht, wie man Dissens aushält und Konflikte löst, ohne sich selbst zu verbiegen. Sie tun dies in dem Tempo, in dem sie selber die Möglichkeit haben, diese Erfahrung gut auszuhalten.

Als Kind in Trennung und Überforderung, so meine These, konnte man das nicht in der gebotenen Langsamkeit lernen, sondern war ad hoc damit konfrontiert. Den langen Weg in das stabile, gesicherte Ich kann man so nicht gehen.

Und nun stehen wir in der Welt mit dieser Sehnsucht nach dem sicheren Hafen, nach der einfachen Lösung, aber natürlich sind unsere Partner keine Eltern oder Beschützer, sie sind uns ebenbürtig und genauso kompliziert wie wir. Sie geben uns keine absolute Sicherheit, sondern brauchen auch Zuspruch. Sie behalten ihre Schwierigkeiten nicht für sich, sondern erhoffen sich Hilfe von uns.

Und das führt in genau die Überforderung, die wir schon aus der Kindheit kennen, sodass wir kindlich reagieren. Die Nervosität, die ich beschrieben habe, fühlt sich sogar bei jedem Empfinden ganz unangemessen an – es ist mir in diesen Momenten selber schleierhaft, wieso ich so krass reagiere und nicht einfach was ändere oder mich meinetwegen trenne.
Aber klar, wenn die Nervosität nur ein Echo meiner kindlichen Bedürfnisse ist, ist Trennung oder Aktivität überhaupt nicht drin: Das Kind kann das nicht.

Soweit meine These. Ich weiß noch nicht recht, was daraus für Handlungsideen entstehen, aber gerade fühlt es sich ganz gut, die Nervosität als Wegweiser zu verstehen, als Reaktion aufgrund von naiven Bedürfnissen, von denen meinem erwachsenen Ich völlig klar ist, dass ihre Erfüllung zwar nicht Aufgabe meiner Partnerin ist, dass ich aber diese Bedürfnisse auch nicht verleugnen kann.

Ich glaube, dass es gut wäre, wenn ich nicht von meinen erwachsenen Partnern erwarte, mich zu schützen, sondern wenn meine eigene Erwachsenheit das übernimmt. An dem Thema bleib ich jedenfalls dran.

Wie sieht’s aus, kommen diese Gefühle hier noch wem bekannt vor? Falls ja, findet ihr in eurer Biographie eine Überforderung, einen zu frühen Abschied von kindlicher Beziehung, die unkompliziert und sicher war? Passt meine These?

Zärtlich, intensiv, authentisch und wunderbar” war die Beschreibung für die Beziehungen zu den beiden Frauen, die ich kennenlernen durfte.

Zweimal was ganz Eigenes” gehört aber zu der Beschreibung, denn sie sind eben nicht auf gleiche Art und Weise zärtlich und intensiv und so. Genau diese Eigenheit ist das Thema dieses Posts.

Ich habe ja immer behauptet, dass sich zwei Beziehungen schon allein deshalb nicht in die Quere kommen, weil sie völlig unterschiedlich sind. Jede Beziehung zu einem Menschen ist einzigartig und unvergleichlich. Und ich kann jetzt sagen:
Stimmt. Hab ich überprüft, kann ich bestätigen.

Mit Ava führe ich eine “Affäre” und genieße eine Art des Miteinanders, die den Idealen der Einfachheit und Selbstliebe folgt. Was will ich gerade? Was will der/ die andere? Das Ganze geschieht sehr praktisch, sehr direkt, und Ava hat sich sogar ausgebeten, weniger zu sprechen und mehr zu leben, mehr nachzuspüren, wie es gerade ist zwischen uns.

Mit Inari dagegen ist es primär die geistige Nähe und eine vorsichtige Zärtlichkeit, die uns verbindet. Wir sprechen stundenlang, begeistern uns an den gleichen Ideen und Werten, und sind uns Insel in dem Wust von feindlichen Definitionen.

Diese jeweilige Eigenheit zu erleben und anzuerkennen ist erstaunlich schwierig. Ich ertappe mich dabei, wie ich (mal so rum, mal so rum) denke: “Aber das ist doch jetzt eine richtige Beziehung, das andere ist doch irgendwie was anderes”. Oder ich verliere mich in dem Anspruch, beides müsste jetzt in irgendeiner Form gleich sein. So nach dem Motto: “Mist, gerade hab ich voll Lust auf ein Treffen mit Ava, hab ich eigentlich auch Lust auf Inari?”.
Aber immer wieder löst es sich auf. Immer wieder stelle ich fest: Genau so, wie es mit beiden ist, ist es perfekt. Und noch mehr: Jedes meiner Gefühle darf sein. Beide Beziehungen (!) sind anders – es geht nicht um die Unterschiede zwischen den beiden Menschen, es geht darum, dass auch meine Gefühle unterschiedlich sind. Ein Bestreben, sie gleich zu machen, läuft genau diesem Erleben der Eigenheit (= die andere Person als einzigartig und genau so richtig erkennen) zuwider.

Aber bei aller Schwierigkeit lerne ich sehr viel: Beispielsweise lerne ich (was mit der Eigenheit zusammen hängt), dass es ganz schön Kraft kostet, sich tatsächlich auf beide einzulassen. Zum Einen, weil ich emotional bei beiden richtig eingestiegen bin. Ich schwinge mit beiden mit, ich gehe da rein, und es ist eben schlicht die doppelte Menge an Emotion, wenn man so will. Zum Anderen erfordert es meine Aufmerksamkeit, mich jeweils neu einzulassen auf diejenige, die ich gerade treffe in all ihrer Einzigartigkeit.
Ich beginne bereits, mich in Ritualen wohl zu fühlen, die es mir ermöglichen, dieses Neu-Einlassen gut zu begehen. Zwischen Treffen mit den beiden brauche ich eine Pause, und wenn es nur eine halbe Stunde ist. Wenn ich mit Ava körperlich war, brauche ich unbedingt eine Dusche für mein Wohlgefühl. Ich möchte beiden fair begegnen, und dafür brauche ich Raum.

Heute beispielsweise brauchte ich einen Tag für mich. Auch das eine hilfreiche Lektion. Über die Feiertage gab es viel und unglaublich schönen Kontakt zu Ava wie Inari (wirklich mal ein Fest der Liebe, zur Abwechslung), was nicht nur meine Nächte kurz, sondern auch mein Leben reich gemacht hat. Jetzt brauchte ich Besinnung.

Und so komme ich über die reichliche Liebe, über die fantastische Begegnung, und über die Eigenheit der beiden zurück dahin, wo ich niemals weg wollte, und was ich doch mit Cullawine gelegentlich aus den Augen verlor: Zu mir und meinen Bedürfnissen.

Ich bin ein Geber.

Ein anderes Wort, das mir häufig dafür begegnet, ist “Helfer-Komplex”. Aber es bleibt dabei, ich gebe gern, gebe vor allen Dingen “mich” gern. Ich öffne mich gern, vertraue gern, berühre gern, bin gern da für jemanden. Ich gebe Energie. Daraus erschließt sich eine ganze Menge: Die Wahl meiner Hauptberufe (Psychotherapie und neuerdings Massage) oder auch meine Tendenz, Menschen gern zu berühren und zu streicheln (denn das wünschen sich die meisten). Letztere Eigenschaft von mir hat Cullawine in einem Streit einmal zum Anlass genommen, mir zu sagen, ich würde mich benutzen lassen. Ich wäre für lauter Leute eben eine praktische Quelle von Zärtlichkeit oder Anerkennung, und wenn diese Leute das bräuchten, wäre ich ein willkommener Gast. Es wäre aber nicht fair, ich würde dabei benutzt.

Das saß. In dieser Deutung fehlt mir zwar ein bisschen, dass mir das Berühren und Streicheln natürlich gefällt, was das Ganze weniger einseitig wirken lässt, aber es ist was Wahres dran. Das Gefühl, wenn es nicht so ist, wenn ich einfach nur geliebt werde, habe ich mit Cullawine erfahren, und es ist ein wundervolles Gefühl.

Mir fällt dieses “Benutztwerden” erst auf, wenn ich selbst in bedürftigen Phasen bin, oder wenn sich irgendwelche Rahmenbedingungen ändern. Dann merke ich: Hoppala, die zärtliche Ebene, die wir hatten, war ja gar nicht stabil. Plötzlich ist da ein neuer Partner/ eine größere Zufriedenheit, und die Nähe, körperlich wie emotional, ist weg. Und ich frage mich: Oh, war ich gar nicht gemeint? Ging es nur um das Fehlen von Partner und Zufriedenheit, und ich war guter Ersatz, ein Flicken?
Das tut dann weh.

Ähnlich ist es auch, wenn ich selbst dann einmal Nähe brauche, und feststelle: Sorum ist es scheinbar nicht okay.

Und jetzt wird das Ganze etwas knifflig. Gerade ist eine Phase, in der ich bedürftig bin. Ich will geliebt werden, und ich spüre deutlich den Wunsch in mir, dass da jemand ist, der unbrechbar hinter mir steht, mich ehrt und schätzt und begehrt.

Gleichzeitig spüre ich aber auch: Das bleibt aber innerhalb des bestehenden Musters, ich suche gerade Flicken für Löcher, die in mir sind. “Wenn jemand Liebe will, gibt es keine Liebe mehr, sondern nur noch Beweise der Liebe”. Es ist im Grunde wie mit den Menschen, von denen ich mich benutzt fühlen könnte, nur eben mit getauschten Rollen: Es geht um ein Ganz-Machen. Derjenige zu sein, der als Flicken benutzt wird, ist nur der Spiegel zu dem, dem etwas fehlt.
Beide Rollen bleiben in der Idee: Man muss komplett werden, man hat nur einen Flügel und muss sich umarmen um zu fliegen.

Aber es kann nicht aus dem Außen kommen. All die Sicherheit, Liebe und Gelassenheit wird nicht gegeben, sie kann nur gespürt werden. Es ist Selbstliebe.

Das sehe ich, und mein Yoga gestern hat mich darin bestärkt. Aber mein Gott, was ist das knifflig umzusetzen. Es ist ja ohnehin schon schwer, aus sich selbst heraus die Löcher zu stopfen, an die man sich über die Jahre gewöhnt hat, aber es ist noch schwerer, beim Stopfversuch nicht alle auszusperren.

Das ist mir nämlich auch schon öfter passiert: Während ich gut dabei war, ganz bei mir zu sein, und aus mir selbst heraus Stabilität und Sicherheit zu finden, fielen mir plötzlich meine Liebsten aus dem Boot. Den Kontakt zu ihnen zu halten, ihn zu genießen und sich dran zu freuen, und sie dabei nicht als Flicken zu missbrauchen, das ist richtig richtig schwer.

Und zu allem Überfluss haben die ja genau die gleichen Sachen am laufen, und möglicherweise sind sie selber schwer dabei, einen Flicken zu suchen, oder eben selbst zu stopfen und dabei weniger in-Beziehung-sein können.

Sachdienliche Hinweise werden liebend gern angenommen.

“Hab dich lieb” sagte Kira gerade zu mir, nachdem wir ein knackiges Gespräch über Geben und Nehmen, über Selbstliebe, Anhaftung, innere Bedürfnisse, Kontakt zu anderen, Schwäche zeigen und Stützung suchen hatten, weil ich gerade versuche, all das unter einen Hut zu kriegen.

Sie meinte beides, den Imperativ an mich und den Indikativ über sich. Schlau.

Gestern sprach ich über die handfesten, unterschiedlichen Vorstellungen, die Cullawine und mir sehr erschweren, eine gemeinsame Beziehung zu führen.
In den letzten Tagen fällt mir immer mehr auf: Ganz so klar ist mein Standpunkt leider nicht. “Leider”, weil es natürlich sehr bequem ist, einen klaren, sicheren Standpunkt zu haben.

Ich hatte in der Beziehung immer das Gefühl, viel aufgeben zu müssen. Flirts, Zärtlichkeiten, wilde Nächte, Freiheit… Teile davon sind tatsächlich Punkte, von denen ich glaube, Cullawine hat da eine Schwäche und müsste lernen, lockerer zu sein.
Bei anderen Punkten, und die wilden Nächte gehören dazu, stelle ich fest: Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, würde mir das auch schwerfallen. Ich würde mich ebenso zurückgewiesen und ungeliebt fühlen. Bei Marveille war es auch so, dass über die vielen anderen wichtigen Menschen in ihrem Leben, mit denen es um Liebe und Sex ging, für mich irgendwann nicht mehr spürbar war, ob sie mich eigentlich auch liebt und begehrt. Dieses fehlende Gefühl hat dann für mich nach einiger Zeit den Ausschlag gegeben, den Kontakt abzubrechen…

Das ist natürlich seltsam: Ich selber habe ja sowohl Zugang zu meiner Liebe für Cullawine als auch zu meinem Wunsch nach sexueller Freiheit. Für mich ist ganz klar, dass letzteres für mich ersteres nicht schmälert. Aber doch weiß ich auch: Umgekehrt würde mir das ebenfalls wehtun.
Und dann wird für mich sogar verständlich, dass andere, kleinere Punkte ebenfalls schwierig für Cullawine werden, weil sie sich dann fragt: Ist das schon so viel wie das, was mir wehtut?
Wie soll sie denn locker sein, wenn sie weiß, ich möchte eigentlich Dinge, die schwer für sie sind?

Dieser Konflikt – ich habe das Bedürfnis nach sexueller Freiheit, und ich habe Verständnis dafür, dass Cullawine darunter leidet – ist nicht direkt auflösbar. Ich halte (rational) drei Wege für möglich, damit umzugehen.
Der erste ist: Da diese beiden Seiten nicht übereinzubringen sind, war die Trennung richtig, und eine Beziehung würde nicht gehen. Ging nicht, geht nicht. Punkt, aus, Ende der Fahnenstange.
Der zweite ist: Wenn ich doch verstehe, dass Cullawine unter bestimmten Punkten leidet, wenn ich selber auch drunter leiden würde – wie zur Hölle kann ich dann behaupten, man könne das verstehen? Dann müsste ich einsehen: Da passt irgendwas nicht.
Der dritte Weg ist: Wenn es in mir Verständnis für die Verletzlichkeit gibt, obwohl ich gleichzeitig doch auch weiß und spüre, dass sie unnötig wäre, muss es eigentlich einen Weg geben, das zu integrieren, sodass die Verletzlichkeit verschwindet. Dieser Weg hat vermutlich viel mit Kompromissen und mit Ehrlichkeit zu tun, und mit sehr viel Arbeit. Es ist wahrscheinlich der Weg, den wir die ganze Zeit versucht haben, und auf dem wir leider nicht weiterkamen.

Augenblicklich sind wir viel in Kontakt, sprechen viel, fühlen viel nach, bleiben offen. All das scheint mir in jedem Fall richtig zu sein.
Die Frage ist nur: Welcher Weg ist das?
Ein Ziel haben wir nicht. Noch ist der Weg also nicht klar. Wir folgen unseren Bedürfnissen, und das ist richtig so, aber vermutlich steht irgendwann doch einmal die Entscheidung für einen dieser Wege an.
Oder vielleicht gerade nicht, und was ansteht, ist schlicht, weiter zu gehen, ganz ohne Ziel?

Ihr seht, ich bin konfus.