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Mir begegnet in jüngster Zeit, wo ich mit Ava in einer recht großen Krise stecke (ungefähr eine 6,5 auf der Richter-Skala), immer wieder ein Missverständnis, das mich ärgert. Ich erzähle dann Menschen davon, dass wir da an einem schwierigen Punkt sind, und eine der ersten Reaktionen ist eine Variante von “Naja, das ist ja sicher auch schwer mit dem Poly-Kram”. Oder, was ich noch brutaler finde “Vielleicht ist die Ava eben doch an einer monogamen Sache interessiert”.

Beides geht an der Realität vorbei, dass uns allen in Beziehung Dinge widerfahren, wir uns mit uns selbst auseinander setzen, weil wir eben in Beziehung stehen. Wir erleben uns darin. Der erste Einwurf (“poly macht das sicher schwierig”) schiebt jede Schwierigkeit auf die Polyamory, was nicht nur frech ist (weil es Poly irgendwie angreift) sondern vor allem respektlos (weil es mein Erleben auf den Lifestyle reduziert, weil es nicht anerkennt, dass im Einlassen die krassen Sachen geschehen.

Der zweite Einwurf (“Ava ist doch monogam”) macht das gleiche, und noch oben drauf unterstellt er Ava, sie wüsste nicht, was sie täte. Dahinter steckt die Annahme, dass Polyamory eine so grundsätzlich schlechte und perfide Idee ist, dass man da drin total kaputt gehen muss, dass man sich unversehens in einem schlimmen Chaos widerfindet. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.

Man stelle sich vor, Lesben und Schwulen würde bei jeder Beziehungskrise unterstellt, ihr Partner sei eben vielleicht doch hetero, oder bei jeder Schwierigkeit hieße es: Naja, ist ja sicher auch schwierig, so mit zwei Frauen (oder eben zwei Männern).

Oder, noch besser, man stelle sich vor ich würde auf die Krisen von vanilla mono Heteros und Heteras immer fragen, ob sie denn sicher wären, dass ihre Partner nicht kinky/ schwulesbisch/ poly sind, und ob das nicht ohnehin schwer wäre so monogam.

Das ist doch alles nicht loving und respecting, das ist doch in Unverständnis gewickelte Missachtung.

Fucking frozen hell. Es ist eine 6,5 – ich brauche Zuspruch und Unterstützung, und was bekomme ich? Dummes Infragestellen meiner emotionalen Identität.

Gewisse Sachen gefallen mir nicht, und ich gerate darüber in unregelmäßigen Abständen in die Krise. Neustes ungewolltes Kind der Beziehung: Das regelmäßige Sehen.

Noch nie hab ich so funktioniert. Eine nicht abreißende Kette von Verabredungen, und am Ende der einen weiß man schon, wann die nächste sein wird, das geht mir gegen den Strich. Das ist schon organisatorisch für mich blöd, weil ich wirklich viele wunderbare Menschen kenne, für dich ich Zeit haben will, und mit denen ich immer recht spontan schauen will. Dafür brauche ich freie Zeit.

An sich alles kein Problem, könnte man meinen, muss ich ja nur so machen, und es Cullawine erklären, ist ja logisch dass man hie und da über Sachen sprechen muss.
Aber was passiert, ist kompliziert. Ich wehre mich gegen das mir verkrampft anmutende ständige Verabreden und stelle fest, dass Cullawine das nicht so gut behagt. Und sofort gehen die Gedanken los.

Was heißt das dann? Ist mein Wunsch falsch? Bin ich böse deswegen? Liebe ich Cullawine nicht genug? Das will ich nicht glauben, erstmal sind ja Bedürfnisse eben Bedürfnisse, und die sind immer in Ordnung. Es muss in Ordnung sein, wenn man nicht so ist, wie der andere ist.
Oder bin ich vielleicht einfach nicht für eine Beziehung gemacht? Gehört das möglicherweise zu einer Beziehung dazu, dass man seine Treffen plant, und wenn mir das nicht gefällt, dann gefällt mir eben Beziehung nicht?
Oder muss das nicht zu Beziehung gehören, und es ist eher eine Unstimmigkeit zwischen Cullawine und mir? Mit wem anders wäre das gar kein Thema. Und heißt das dann, dass ich besser mit wem anders dran wäre, oder dass das dann eben ein Thema für uns ist?

Diese Gedanken sind fürchterlich zermürbend. Sie sind ein direkter Weg zu Zweifeln an meiner Liebe, an unserer Beziehung, an meiner Bindungsfähigkeit. Ich denke oft an die Diskussion mit Schwinger zurück, in der er mir vorwarf, ich wolle die “Auseinandersetzung mit dem Partner nur solange wie sie meine Kreise nicht stört”.

Das war 2005. In gewisser Weise bin ich fast am gleichen Punkt… Nur dass ich mich jetzt auf die Auseinandersetzung eingelassen habe, meine Kreise gestört werde, und ich die Anstrengung merke und bezweifle, ob das alles so seine Richtigkeit hat. Vielleicht ist das ja ein großer Schritt.

Uff. Die letzten beiden Tage waren schwer auf eine Art, wie ich sie lange nicht mehr erlebt habe. Nicht, dass sie besonders dolle schwer waren, nur schwer auf eine unübliche Art.

Ich hatte mich ein bisschen verliebt in Kira, ohne genau zu wissen wo das hin sollte. Kira hat eine kleine Tochter, hängt emotional dem Kindsvater in ähnlicher Hinsicht hinterher wie ich Cullawine, und so richtig hatte ich nicht das Gefühl, irgendwohin zu wollen, sondern eher, es da zu mögen, wo ich bin. Wir verstehen uns gut, teilen eine große Vertrautheit und denken in vieler Hinsicht ähnlich. Ich fühlte mich wohl, verliebte mich, und das einzige, was mich störte, war meine etwas unbeholfene Art, die ich immer an den Tag lege, wenn ich verliebt bin und mich nicht traue, es zu sagen.

Vor kurzem sprachen wir mal wieder miteinander, und es ergab sich die Gelegenheit, mich endlich mal zu öffnen. Sie sei nicht verliebt (womit ich durchaus gerechnet hatte), und doch war es nach kurzer Seltsamkeit eigentlich besser, weil ich endlich wieder kongruent war, im Draußen das hatte, was ich im Drinnen habe, eben all die Sachen, die Ehrlichkeit und Authentizität möglich machen.

Seit gestern aber hänge ich in ganz doofen Gedanken von Einsamkeit und Sorge, ob das mit mir ein gutes Ende nimmt. Seit gestern fällt mir auf, dass um mich rum alle wichtigen Menschen in Beziehungen stecken, und plötzlich stört es mich.
Das ist überraschend für mich gewesen, also hab ich genauer hingeschaut.

Was passiert, ist in weiten Teilen Angst, wie mein Leben wird. Ich habe eine Vision vom guten Leben – eher diffus, aber sie ist da – und ich merke, sie ist schwierig zu erreichen. Sie ist insbesondere deshalb schwierig, weil andere Menschen dazugehören, und ich weiß weder, ob ich Menschen finde, die da mitmachen würden, noch, ob ich es schaffen würde, mich auf sie einzulassen. Meine Grenzen diesbezüglich habe ich bei Cullawine deutlich gemerkt.
Die Paare in meinem Freundeskreis, die ich betrachte, zeigen mir eines ganz deutlich: Sie sind Verbündete. Sie unterstützen sich bei ihren Visionen. Das löst zum Einen Neid aus in mir, aber zum Anderen ist gerade der Gedanke stark, dass all diese Menschen für Visionen mit mir nicht zur Verfügung stehen. Niemand dort würde gemeinsam mit mir irgendwohin ziehen, denn der Partner ist mit im Boot, und der Kurs wird dort entschieden. Ganz konkret überlegen Menschen, die mir unendlich wichtig sind, wo sie leben wollen, und ich komme in diesen Plänen nicht vor. Das finde ich schlimm, denn unter ihnen sind einige, mit denen ich gern planen würde.

Es ist ein Gefühl, als ob die anderen schon aufbrechen in ihren Booten, einer am linken, einer am rechten Ruder, und ich weiß nicht genau, ob ich noch wegkomme.
Banal nennt man das wohl Torschlusspanik. Aber es ist nicht so sehr die Frage, ob ich das zeitlich noch schaffe, sondern ob es (a) möglich ist, und (b) ist es gerade ein Gefühl, als ob ich Menschen verliere, die mir wichtig sind, weil sie anderweitig planen. Weil sie weggehen.

Das ist nicht rational, natürlich, und es erstaunt mich, dass dieses Gefühl gerade kommt. Es ist ein bitteres, schwaches und weinerliches Gefühl, und ich gefalle mir so nicht. Es ist, als wäre die heteronormative Matrix mich von hinten angefallen, und viele alte Ängste und Sorgen sind wieder da.

Unguterweise kommt Cullawine natürlich in diesem Gedankenzug ebenfalls vor, denn Cullawine war – so meine augenblickliche Interpretation – meine Chance für das Boot, war eine wunderbare Frau, die nach wie vor in meinem Herzen ist, und deren Entscheidung, mich nicht sehen zu wollen, mir wehtut, und war eben das Angebot: Hier, J., so würde es gehen. Jemand will dich.

Und ich konnte nicht wollen, mir war nicht wohl dabei. Und obwohl ich durchaus auch Zugang habe zu der Wahrheit, dass wir keine erfüllende Beziehung hatten, dass wir uns gegenseitig nicht gutgetan haben, so ist da doch auch das Gefühl von Scheitern sehr stark. Ich scheitere an dem, was all meinen Freunden gelingt, und das Vermissen von Cullawine kommt noch obendrauf.

Uff. Was für ein bitteres, schwaches und weinerliches Gefühl.

Beim Wäschezusammenlegen legte ich auch mein T-Shirt zusammen, auf dem steht “Monogamie ist keine Lösung”. Ich merkte: Das glaube ich nach wie vor. Die Krise im Moment scheint mir nicht auflösbar durch ein Verleugnen meiner Wünsche.
Es ist mehr die Frage nach der Umsetzbarkeit dieser Wünsche als die Frage nach der Richtigkeit, mehr die Frage “Schaff ich das?” als “Darf ich das?”.

Immerhin.

Die therapeutische Frage, die ich mir selbst dazu stellen würde, wäre: “Was würden Sie denn brauchen, um diese Wünsche umzusetzen”. Die Antwort ist noch dabei, zu kommen, aber ich hoffe, sie braucht nicht mehr lang.

Sicherer sein, dass ich okay bin, dass mein Weg okay ist.

Das war die Wahrheit im letzten Monat. Sie ist schwerer als gedacht.