Monatsarchive: August 2006

20.08.2006 21:15
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Der Sinn des Lebens ist, was übrig bleibt, wenn man alles Sinnlose weglässt.
Ada in “Spieltrieb” von Juli Zeh

Dieses Zitat ist nicht nur von einer bestechenden, unumstößlichen Logik, sondern in seiner einfachen Aussage auch grundlegend korrekt.

Eigentlich, und ich glaube man weiß das, man sieht es nur nicht so klar hingeschrieben, ist es tatsächlich so einfach. Der Sinn des Lebens ist gar nicht so schwierig. Es gibt kein Geheimnis, keinen blau besternten Mantel des Schicksals, der, gelüftet, etwas enttarnt, das einen überrascht. Es gibt fürs Erste nur das Leben. Der Sinn liegt darin.

Und die Teile zu finden, die sinnlos sind, ist viel einfacher, als ein abgehobener Diskurs über den Sinn, über Schicksal und Bestimmung.

Nur aufhören, den Mist mitzumachen. Nur das. Schon ist man da.

18.08.2006 23:24
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Ob es nun Götter gibt oder nicht, wir sind ihre Knechte.
Fernando Pessoa

Steht in der aktuellen Zeit als Anzeige auf der gleichen Seite wie die Besprechung von Der freie Wille, den ich hier nächste Woche besprechen werde. Oh Mann, bin ich gespannt auf den Film.

18.08.2006 11:57
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Findet es außer mir niemand bizarr, wie die vereitelten (also nicht stattgefundenen) Sprengstoffanschläge das Drama von England wurden? Und wie sie gleichzeitig Motivator für immer neue rechtsstaatlich bedenkliche Schritte gegen den Terror sind? Transparente Tüten fürs Handgepäck ist nur die jüngste Ausgeburt des Sicherheitsmolochs. Wäre es nicht erst dann ein Drama geworden, wenn die Terroristen Erfolg gehabt hätten?

Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, man darf sachlogisch nicht das Nichteintreten einer Sache benutzen, um die Gefahr der Sache zu unterstreichen.

Vor einiger Zeit las ich eine Formulierung, die mir im ersten Moment sinnhaft schien: Diesmal seien zwar die Anschläge verhindert worden, aber die Existenz des Versuchs spräche ja dafür, dass irgendwann die Sicherheitskette zu schwach sein könnte, und doch etwas geschähe.
Bei zweitem Nachdenken fällt mir aber doch auf, dass diese Argumentation jeden Erfolg der Sicherheitskette zum Beweis der Bedrohung macht, und sich so der Antiterror-Gedanke selbst erhält. Wenn etwas schief geht, muss man alles sicherer machen, weil etwas schiefgegangen ist, wenn alles glatt läuft, muss man alles sicherer machen, weil das auch anders hätte laufen können.

Das ist so, als würde man für verschärfte Zugriffsrechte der Polizei argumentieren, weil sie bislang mit ihren Kompetenzen gut auskommt. Immerhin wüsste man ja nicht, ob das immer so bliebe.
Oh, hoppla, das passiert ja schon…

17.08.2006 22:19
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Grrr. Eine Sache, die mich am poly sein wirklich stört, ist, dass ich auch eine Minderheit bin, und immer noch heißt Demokratie häufig nur “Diktatur der Mehrheit”. Wenn es die meisten Leute irgendwie tun, ist es richtig, und wenn man es anders macht, macht man es ergo falsch.

Häufig scheiße ich darauf (und es passiert, obschon meist im Kleinen, doch häufiger als man so meinen könnte), aber in meiner WG fuchst es mich immer ganz besonders. Das hier ist doch mein Nest, da will ich mir den ganzen Schmuh nicht anhören müssen von “richtig verliebt” und vor allem “wenn man richtig verliebt ist, will man niemand anders” und am vor allsten noch dazu den logischen Fehlschluss “wenn man jemand anders will, ist man nicht richtig verliebt”.

Ja, ich seh das anders. Herrje. Ich mach doch auch niemandem Vorhaltungen, auch wenn ich manchmal Monogamie nur als Ausgeburt von Patriarchat und geringem Selbstwert sehe, als Reaktion auf wirtschaftliche Nöte, die dann zu emotionellen wurden.
Ich gebe zu, der Absatz hiervor macht keinen Sinn, weil ich jetzt natürlich doch genauso haltlose Kritik übe. Hm. Aber im Grunde: Obwohl ich das irgendwie so sehe, wenn es jemanden glücklich macht, ist mir das alles egal. Mein Problem ist ja eher, dass es so viele Menschen unglücklich macht. Solang man glücklich ist, und niemandem weh tut, muss man alles dürfen. Steht sogar in der Verfassung.

16.08.2006 16:39
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Gestern sprachen wir in der WG über Orgien und derlei Dinge, und in Folge auch über die aktuelle Werbung des Penthouse Magazins.

Aktuelles Cover

Die Frau ist hübsch, da muss man nicht drüber sprechen, die Werbung ist ne ganz billige Tour, auch darüber muss man nicht sprechen. Sprechen mussten wir allerdings über Würde und den öffentlichen Raum.

Der öffentliche Raum

Mein Mitbewohner M. äußerte Bedenken, ob man denn an jeder Ecke Brüste sehen müsse. Ob das richtig wäre, frug er sich, und befand, dass Sex nunmal etwas anderes ist als andere Werbung. Wobei man natürlich ohnehin schon argumentieren kann, dass der öffentliche Raum völlig werbefrei sein sollte, und ich kenne sogar jemanden, der das so sieht.

Minirock kurz nach der Erfindung.
Bikini an Ursula Andress, Bondgirl in "Dr. No". Schon 16 Jahre nach Erfindung des Bikinis.

Ich für meinen Teil bin eigentlich ausgesprochen relativistisch. Ich bin jetzt 26, ich will nicht ausschließen, dass ich langsam konservativ werde, aber um dem vorzubeugen, lehne ich erstmal nichts ab. Vor 40 Jahren war es der Minirock, vor 60 Jahren der Bikini, und immer hieß es, jetzt ist es vorbei mit der Sittsamkeit.
Ich weigere mich zu glauben, dass es damals nicht stimmte, diesmal aber schon, weil sich Frauen an die Vulva fassen, Ich habe argumentiert, dass sich die Sitten nunmal verändern.

Allerdings kamen wir im weiteren dennoch auf die Frage, wie weit das gehen darf, und ob es Kriterien geben kann, die Grenzen bedeuten.

Würde

Ein mögliches Kriterium ist die unantastbare Würde des Menschen. Der Artikel in der Wikipedia zu dem Thema ist nicht uninteressant, aber leider auch nicht hilfreich. Irgendwie bleibt eine Würdeverletzung subjektiv. Ich habe Jackass oder Big Brother abgelehnt, weil ich darin die menschliche Würde verletzt sah. Obwohl alle Teilnehmer freiwillig (sofern man bei monetären Anreizen von tatsächlicher Freiwilligkeit sprechen kann) dabei waren, fand ich das falsch, hatte ich das Gefühl, dass diese Art von Darstellung, dieser Rahmen etwas Falsches ist. Dass die Teilnehmer ihre Würde verkauft haben, für ein paar Lacher und einen möglichen Plattenvertrag.
Bei Nacktheit habe ich das interessanterweise nicht. Ich suche noch nach dem Unterschied. Bei Jackass ist es deutlich – unabhängig von der Streuung der Darstellung ist das, was dort geschieht, würdelos. Big Brother und Plakatwerbung mit Brüsten aber haben gemein, dass der eigentliche Inhalt nicht würdelos ist (weder Alltag noch Sexualität sind etwas Schlimmes), sondern wenn überhaupt die Darstellung, die Zugänglichkeit für eine breite Masse. Und ich weiß tatsächlich nicht, was den Unterschied von Nacktheit und Alltag für mich ausmacht, warum ich bei Big Brother Unwohlsein empfinde, und bei Brüsten nicht. Hm, obwohl, während ich den Satz schreibe, sticht mir eine naheliegende Erklärung doch sehr ins Auge. Nackte sind natürlich schön… Ob es so einfach ist?

Der nächste Schritt, den ich befürchte, wird Gewalt sein. Eigentlich finde ich Jackass oder diese Dschungelshow schon ziemlich gewaltsam, von diesen japanischen Gameshows ganz zu schweigen. Horrorfilme mit Folter- und anderen Gewaltthemen werden immer salonfähiger, und da ist meine Grenze erreicht. Allerdings sehe ich ein, dass meine Kinder da schnell sagen werden “Ach Papa, das ist halt nur ein Film”, und meine Bedenken bezüglich der menschlichen Würde werden fadenscheinig klingen.

Noch sehe ich kein vernünftiges Kriterium. M. und ich haben uns geeinigt, dass wir in einer wertegebundenen Demokratie schlicht über Minderheitenschutz argumentieren wollen. Nicht mehr als 10% der unter 45jährigen (die also ihr halbes Leben noch vor sich haben) sollten etwas richtig scheiße finden. Aber im Grunde ist das auch nur eine Maßregelung des Sittenverfalls, wenn es einer ist, oder ein Konservatismus im Demokratiegewand.

PS: Gerade in einem Nachgespräch fiel mir der sehr wesentliche Unterschied auf, dass es eben nicht um Nacktheit auf Plakaten geht, sondern um Sexualität. Nacktheit ist gar kein Problem, und die Diskussion oben muss für Sexualität gelten.

15.08.2006 11:49
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Bild von Photocase

Buah. Ein Wetter zum verdrießlich sein, und gleichzeitig eines zum Freuen, dass man drinnen ist. Mittlerweile ist es schon ein bisschen heller geworden, aber eben war Weltuntergang.
An manchen Tagen mag ich das. Dann lasse ich mich von Liedern von Elliott Smith umarmen und muckele meine Seele ein. An noch mancheren Tagen finde ich es sogar gut, in dieser Stimmung allein zu frühstücken, einen Tee zu trinken (was ich sonst so gut wie nie tue) und meine Trainingsjacke um mich zu ziehen. Kennt ihr das, wenn man Trainingsjacken aus etwas festerem Stoff hat, und man sie an den unteren Rippen drücken spürt? Muck, muck.

Bild von Photocase.
14.08.2006 20:58
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“Hier, schneid die”, sagte sie, und warf mir eine Zwiebel zu.

Dieser Satz geht mir seit Wochen nicht aus dem Kopf, ohne dass ich ihn je irgendwo gehört hätte. Ich sollte ein Buch mit diesem Satz anfangen. Aber ich weiß nicht, warum…
Seltsam, nicht? Aber mich lässt dieser Beginn weiterlesen wollen. Dumm nur, dass ich es selbst schreiben müsste.

14.08.2006 13:56
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Gestern habe ich den Film My Brother Tom anlässlich meines kürzlich vergangenen Geburtstags gezeigt, einen unglaublichen Film. Er lief vor 4 Jahren mal im Kino meines Vertrauens und hatte mich sehr bewegt. Die beiden Figuren, Jessica und Tom, nehmen einen so sehr in sich mit, dass es einen schaudern lässt, denn gut geht es den beiden nicht.

Jessica & Tom
Ist das Liebe?

Tom ist ein Eigenbrötler, der ziemlich außerhalb der Welt steht, wohingegen Jessica eigentlich ziemlich drin ist. Sie ist an einer Klosterschule, hat eine heile Familie und mag süße Tiere.
Was die beiden eint, ist eine Missbrauchserfahrung. Bei Jessica geschieht sie im Laufe des Films, bei Tom, so erfährt man irgendwann, liegt der Beginn seiner Geschichte schon lange zurück.

Es ist also kein besonders schöner Film, und die Figuren, die einen so mitnehmen, sind ganz kaputt. Dementsprechend ist alles, was man an ihnen bewundernswert findet, vielleicht auch gern hätte, wie hinter beschlagenen Scheiben, beschlagen durch das Wissen, dass man so nie sein wollte, dass der Preis zu hoch wäre.

Tom
Tom an ihrem “secret place”.

Zwischen Jessica und Tom entwickelt sich etwas, nicht unbedingt Liebe, glaube ich, aber zumindest eine große Nähe, beinahe eine Verschmelzung, und da kommen wir zu den Aspekten des Films, die mich auch beim diesmaligen Schauen wieder sehr beschäftigen.

Twinmacy!
Jessica & Tom

“Twinmacy” betiteln die beiden ihre Beziehung, ein Neologismus, der nach Verwandtschaft und Intimität klingt. In der Tat nimmt mich die Nähe gefangen. Etwas so Nahes hatte ich nie, werde ich vielleicht niemals haben, aber vielleicht ist das ganz gut so.

If it happened to you, it happened to me.
Jessica

Schön ist in jedem Fall, wunderschön sogar, wie bedingungslos die beiden miteinander sind. Das finde ich durchaus erstrebenswert. Sie zeigen sich ihre Wunden, offenbaren sich vollkommen, zeigen den Schmutz, und je mehr sie von einander wissen, je mehr das Bild komplett wird, umso größer wird natürlich ihre Nähe.
Das gefällt mir natürlich. Die Masken fallen, und es geht weiter. Das ist wahr. Bei den beiden gibt es eigentlich keine Grenzen dieses Prozesses, es wird schlimmer und schlimmer, und sie werden näher und näher, sie werden schließlich einander. Aber, es klingt schon an, neben der Bedingungslosigkeit ist da auch ein großes Stück Verschmelzung, heiße Fusion, und ich, der ich immer davon predige, dass Liebe bei einem selber anfängt, finde das bedrohlich.

One body. One blood.

Tom

Eine Abhängigkeit ist dort offenkundig, die beiden können nicht mehr ohne einander, sind sich gegenseitig das rettende Stück Treibgut, sind ein Körper, eine Seele.

*** Spoiler-Warnung! ***

Und am Ende, als Tom geht, weil er sein Leben doch nicht mehr leben konnte, weil es zu schlimm wurde, weil er zu viel falsch gemacht hat, kann Jessica nur existieren, weil Tom in ihrem Geist weiter existiert.

Der Film beantwortet nicht, ob das nun eine Psychose ist, oder einfach eine nicht sterbende Liebe, und das gefällt mir. Man ist noch nichtmal sicher, ob Jessica überhaupt noch tatsächlich lebt, oder ob sie durch Toms Tod schlicht auch nicht mehr leben konnte.

If it happened to you, it happened to me.

Aber vielleicht ist es gut, dass er das nicht beantwortet. Denn die Fragen, die er aufwirft, zu Nähe und Verschmelzung, zu Eigenverantwortung und Vertrauen, sind groß genug, sind vielleicht zu groß für Antworten, die auf 32mm passen könnten.

Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, den Film je ein zweites Mal zu sehen. Aber wie durch ein Wunder berichtete mir LeSven in den Kommentaren, dass er am 25.8. auf DVD erscheint.

14.08.2006 11:49
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So, da bin ich wieder. Ohne genau zu wissen warum, zieht es mich wieder hierher. Obwohl, eigentlich kenne ich ein paar Gründe. Ich recherchiere in meinem Blog, um Dinge rauszufinden, die ich mal über mich oder die Welt wusste, ich lese Menschen Einträge vor, um ihnen zu erklären, was ich denke, und ich versende Mails mit Hyperlinks hierher, um mich zu offenbaren.
All diese Dinge sind gute Dinge, denn sie dienen der Wahrheit. Und mit Wahrheit meine ich nicht eine objektive, verizierbare, die uns Ketten anlegt und in Richtungen zwingt, sondern Wahrheit als Gegenteil von Erwartungen, von Verblendungen, von Masken und derlei. Im Grunde meine ich wieder Nacktheit, wie ich schon so oft über Nacktheit schrieb, und weiter schreiben werde, weil das gerade das aktuelle Thema ist.

In einer neuen aufregenden Bekanntschaft stelle ich fest, dass mir die Nacktheit gefällt. Es gefällt mir, dass ich mittlerweile besser das tun kann, was ich tun will, das äußern kann, was ich äußern will, weil es auf dem festen Glauben fußt, dass jeder Wunsch in Ordnung ist, dass, wenn man auf sich selbst hört, nur Gutes dabei herauskommen kann.

Do one thing every day that scares you.
Eleanor Roosevelt

Das ist der Weg. Natürlich ist es schwer, die Masken abzulegen. Nur zu oft gehe ich, nichts Böses ahnend, an einem Spiegel vorbei, und stelle fest, ich hab schon wieder eine auf. Zynischerweise droht selbst das Offenbaren eine Offenbarungsmaske zu werden, manchmal, und dann wickelt mich mein eigener Pathos ein und macht sich selbständig, aber ich stehe nicht mehr dahinter.

Ja, es ist schwer. Aber es ist auch so wunderbar. Die Momente, wo man alles loslassen kann, weil sich dadurch nichts verändern wird, da man bereits vorher alles locker hat laufen lassen, die sind da, wo ich hin will.

Und aus oben genannten Gründen hängt das Blog damit zusammen, ist mir Motor und Leitplanke gewesen, und deswegen will ich es nochmal versuchen. Mal sehen was geschieht.