Gestern habe ich den Film My Brother Tom anlässlich meines kürzlich vergangenen Geburtstags gezeigt, einen unglaublichen Film. Er lief vor 4 Jahren mal im Kino meines Vertrauens und hatte mich sehr bewegt. Die beiden Figuren, Jessica und Tom, nehmen einen so sehr in sich mit, dass es einen schaudern lässt, denn gut geht es den beiden nicht.
Ist das Liebe?
Tom ist ein Eigenbrötler, der ziemlich außerhalb der Welt steht, wohingegen Jessica eigentlich ziemlich drin ist. Sie ist an einer Klosterschule, hat eine heile Familie und mag süße Tiere.
Was die beiden eint, ist eine Missbrauchserfahrung. Bei Jessica geschieht sie im Laufe des Films, bei Tom, so erfährt man irgendwann, liegt der Beginn seiner Geschichte schon lange zurück.
Es ist also kein besonders schöner Film, und die Figuren, die einen so mitnehmen, sind ganz kaputt. Dementsprechend ist alles, was man an ihnen bewundernswert findet, vielleicht auch gern hätte, wie hinter beschlagenen Scheiben, beschlagen durch das Wissen, dass man so nie sein wollte, dass der Preis zu hoch wäre.
Tom an ihrem “secret place”.
Zwischen Jessica und Tom entwickelt sich etwas, nicht unbedingt Liebe, glaube ich, aber zumindest eine große Nähe, beinahe eine Verschmelzung, und da kommen wir zu den Aspekten des Films, die mich auch beim diesmaligen Schauen wieder sehr beschäftigen.
Twinmacy!
Jessica & Tom
“Twinmacy” betiteln die beiden ihre Beziehung, ein Neologismus, der nach Verwandtschaft und Intimität klingt. In der Tat nimmt mich die Nähe gefangen. Etwas so Nahes hatte ich nie, werde ich vielleicht niemals haben, aber vielleicht ist das ganz gut so.
If it happened to you, it happened to me.
Jessica
Schön ist in jedem Fall, wunderschön sogar, wie bedingungslos die beiden miteinander sind. Das finde ich durchaus erstrebenswert. Sie zeigen sich ihre Wunden, offenbaren sich vollkommen, zeigen den Schmutz, und je mehr sie von einander wissen, je mehr das Bild komplett wird, umso größer wird natürlich ihre Nähe.
Das gefällt mir natürlich. Die Masken fallen, und es geht weiter. Das ist wahr. Bei den beiden gibt es eigentlich keine Grenzen dieses Prozesses, es wird schlimmer und schlimmer, und sie werden näher und näher, sie werden schließlich einander. Aber, es klingt schon an, neben der Bedingungslosigkeit ist da auch ein großes Stück Verschmelzung, heiße Fusion, und ich, der ich immer davon predige, dass Liebe bei einem selber anfängt, finde das bedrohlich.
Eine Abhängigkeit ist dort offenkundig, die beiden können nicht mehr ohne einander, sind sich gegenseitig das rettende Stück Treibgut, sind ein Körper, eine Seele.
*** Spoiler-Warnung! ***
Und am Ende, als Tom geht, weil er sein Leben doch nicht mehr leben konnte, weil es zu schlimm wurde, weil er zu viel falsch gemacht hat, kann Jessica nur existieren, weil Tom in ihrem Geist weiter existiert.
Der Film beantwortet nicht, ob das nun eine Psychose ist, oder einfach eine nicht sterbende Liebe, und das gefällt mir. Man ist noch nichtmal sicher, ob Jessica überhaupt noch tatsächlich lebt, oder ob sie durch Toms Tod schlicht auch nicht mehr leben konnte.
If it happened to you, it happened to me.
Aber vielleicht ist es gut, dass er das nicht beantwortet. Denn die Fragen, die er aufwirft, zu Nähe und Verschmelzung, zu Eigenverantwortung und Vertrauen, sind groß genug, sind vielleicht zu groß für Antworten, die auf 32mm passen könnten.
Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, den Film je ein zweites Mal zu sehen. Aber wie durch ein Wunder berichtete mir LeSven in den Kommentaren, dass er am
25.8. auf
DVD erscheint.