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Ich neige in Beziehungen dazu, mich zu verbiegen, und mich ein Stück weit zu verändern, damit ich – angenommenerweise – ein bisschen liebenswerter bin. Dazu mache ich gerade, wo ich ja in zwei Menschen verliebt bin und mich in Beziehung fühle, eine spannende Beobachtung: Es wird leichter. Die Tendenz ist immer noch da, aber es ist ein bisschen so, als wären da jetzt zwei Impulse mich zu verbiegen, und dadurch entsteht so ein Hin-und-Her, sodass ich viel öfter bei mir in der Mitte vorbeikomme.

Das ist natürlich total bescheuert und nur eine Krücke, solange das noch nicht so gut von alleine geht, aber es klappt ganz gut. Weil es, ganz nah an der gerade eingeworfenen Metapher, tatsächlich so ist, dass ich zunächst innerhalb meines Musters sowas denke wie “Oh, an dem Abend könnte ich zwar was mit dir machen, aber ich will auch noch Zeit für sie haben…”. Das ist innerhalb meiner Tendenz, alles richtig zu machen. Aber während ich dann sage “Ne, ich möchte dich erst dann-und-dann sehen, ich brauch noch Zeit für mich und Inari (oder eben für mich und Ava)” stelle ich in mir fest: Oh, vor allem brauch ich auch noch Zeit für mich.

Noch nicht am Ziel, aber recht hilfreich.

Wir wählen unsere Interpretation der Welt. Wir sind es, die entscheiden, was uns geschieht. Das ist nichtmal besonders esoterisch gemeint, sondern ganz handfest: Welche Brille wir aufhaben, um die Welt zu betrachten, ist unser Bier.

Manche dieser Brillen tragen wir schon ganz schön lange, und es ist schwer, sie abzunehmen. Es ist sogar schwer festzustellen, dass es überhaupt eine Brille ist und nicht die Wahrheit.

Ein neues Wort, das ich für diese Brillen, die Interpretationen gelernt habe, lautet “Kontext”.

Der Kontext, in dem ich mein Leben interpretiere, das ist in den letzten Artikeln hier schon deutlich geworden, ist in weiten Teilen einer von “Ich muss geben, damit ich geliebt werde”. Leg dich ins Zeug, J., sei wer verlangt wird. Tu was gerade gut wäre. Es geht um einiges, es geht um Anerkennung.
So ein Kontext ist autopoietisch, er erhält sich selbst aufrecht. Wenn ich erstmal alles durch die kackbraune Brille sehe, ist alles was ich sehe Beweis dafür, dass die Welt nunmal kackbraun ist.

Mit einer Freundin war es vor geraumer Zeit mal spannend. Es gab ein paar Berührungen, eine Suche nach Haut, und am Ende das Bekenntnis, dass wir am liebsten nackt miteinander im Bett lägen. Was aber nicht ging, ihre Beziehung ist (noch) geschlossen. Vor kurzem habe ich herausgefunden, dass sie im Anschluss an diesen aufregenden Abend etwas frappiert davon war, dass ich so wenig Anstalten machte, daran anzuknüpfen. Sie fühlte sich abgewiesen und blockte mich ganz ab, was wiederum dazu führte, dass ich mich abgewiesen fühlte.

Neben der Tatsache, dass das schon ganz richtig von mir war, da keine Anknüpfungsanstalten zu machen, weil ich da nicht die Beziehung zerrütten wollte, steckt allerdings auch der Kontext darin: Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie für meine Ambitionen offen gewesen wäre, dass die Zeit mit mir es wert gewesen wäre, ihre Beziehung zu gefährden. Sowas fällt mir im Traum nicht ein.

Und zynischerweise wird dadurch der Kontext reproduziert: Durch mein aus dem Kontext motiviertes Verhalten (weil ich mir nicht vorstellen kann, dass sie Bock auf mich hätte, halte ich mich zurück), entsteht eine Situation, die den Kontext erneut bestätigt (weil sie sich zurückzieht, beweist sie, dass sie keinen Bock auf mich hat).

Besagte Freundin sagte den schlauen Satz zu mir, dass ich immer wieder solche Erlebnisse haben würde, solange ich meinen Kontext nicht ändern würde. Die Herstellung eines neuen Kontextes sei gefragt – nicht (nur) die Aufarbeitung des alten.

Und tatsächlich, seit ich versuche, die Brille zu wechseln, und mich vor mir selbst neu definiere, geschehen mir neue Dinge. Und dieser neue Kontext verstärkt sich ebenso selbst wie der alte: Wenn ich erstmal davon ausgehe, dass Menschen mich lieben, einfach so, dann ist jeder Anruf, der mich erreicht, Beweis dafür, jeder zweideutige Blick bestätigt mich in meiner Männlichkeit, jedes anvertraute Wort macht mir klar, dass ich wichtig bin für meine Liebsten.

Tipptopp.

Ich habe über mich selbst verstanden, dass ich häufig derjenige bin, den Leute sich wünschen. Oft sind die Leute, die sich einen bestimmten J. wünschen, auch Leute die mich lieben, von daher ist das nicht so schlimm: Ich bin dann ein liebenswerter J.

Aber bin ich dann noch J.? Das Muster taucht an vielen Ecken auf, nicht zuletzt in meiner Arbeit: Therapeutisch tätig zu sein (ob Psychotherapie oder Massage) bedeutet, dass man für jemanden etwas ist, was er gerade braucht. Oder was er sich wünscht. Und es ist eine dankbare Rolle, wir alle, die das tun, werden reich belohnt dafür.

Ich kenne dieses Muster auch aus meiner Liebensgeschichte, wenn ich verliebt war in Frauen, die das nicht so sahen. Ohne, dass ich überhaupt zu mir hinspüre, gehen schon Worte über meine Lippen wie “Ist okay, dacht ich mir schon, ist ja auch gar nicht schlimm”, und es ist sogar was Wahres dran. Aber es wäre auch was Wahres an “Wow, das ist richtig, richtig schlimm, und ich bin sehr traurig”.

Auch aktuell gibt es Menschen, wo ich mich vernachlässigt fühle, traurig darüber bin, dass Gefühle nicht erwidert werden, oder ich schlicht das Gefühl habe, mehr reinzustecken. Und natürlich ist das immer okay: Mach wie’s gut für dich ist, ich will dich zu nichts zwingen, Gefühle sind eben Gefühle. Aber es wäre eben auch wahr: Ich vermisse dich, ich will dir nah sein, es macht mich einsam, wenn du mir fehlst.

Selbst in ganz kleinen Situationen passiert mir das: Jemand lädt mich ein, ich freue mich darüber, und sage schon zu, bevor ich bemerken konnte, ob ich da Lust zu habe. Vielleicht bräuchte ich auch meine Ruhe? Vielleicht will ich später auch absagen. Müsste ich mal hinfühlen.

Es geht hier nur einerseits darum, Leiden zuzulassen, Schwäche zuzulassen. Zum Anderen (und fast wichtiger) geht es aber darum, jegliche Gefühle zuzulassen, und vor allem:
Meine Gefühle zu fühlen, bevor ich für die anderen die Reaktion raussuche, die jetzt wohl am allerbesten wäre.

In der Beziehung zu Cullawine ist es auch dieses Muster gewesen, dass mich oft hat stolpern lassen. Noch bevor ich nur ahnte, wie es mir vielleicht gehen könnte, wusste ich schon, was zu tun war, weil ich es von mir erwartete, und nachher merkte ich dann, wie ich gegen mein Gefühl gegangen war.

Ich achte in den letzten Tagen mehr darauf, versuche mehr das zu tun (und zu bemerken) was ich wirklich will, das zu äußern, und dann möglicherweise einen Kompromiss einzugehen. Aber nicht sofort den Kompromiss ausdenken und mich zwingen, den zu fühlen.
Manchmal gelingt es mir. Bei einem Treffen von allen Trainern eines Projekts, für das ich arbeite, scherzte ich mit einer anderen Trainerin, und sie reagierte irgendwann genervt von einem Kommentar von mir. Anstatt gleich zu reagieren mit einem “Du, das hab ich gar nicht so gemeint wie das jetzt wohl angekommen ist”, hab ich sie einfach reagieren lassen und dachte “Herrje, das hat sie jetzt wohl kurz in den falschen Hals gekriegt”.

Und wenn mir eine Mitbewohnerin sagt, ich war ihr in den letzten Tagen etwas zu körperlich, nicht gleich zurückzurudern und Besserung zu geloben, sondern zu sagen “Ich hab dich sehr gern, ich berühre dich gern, und wenn ich an Grenzen komme, bitte zeig mir das. Ich werde jetzt nicht vorauseilend alles unterlassen, was dich möglicherweise stören könnte, denn das ist ein wunderbarer und guter Ausdruck von meinen Gefühlen”.

Bei Kira, in die ich verliebt bin, und einer weiteren gemeinsamen Freundin, von der ich mich manchmal etwas stehengelassen fühle, möchte ich genau das noch mehr schaffen. Weniger “hey, ist doch okay, du bist voll okay”, sondern zu gleichen Teilen ein “hey, ich bin voll okay, bitte respektiere mich mit meinem ganzen Kram”.

Die vielen Schuhe, die im Weg stehen, sind nicht alle zum Anziehen da. Weniger für die anderen sein, was ich für mich sollte. Das ist nicht nur respektvoller mir selbst gegenüber, sondern letztlich sogar auch gegenüber den anderen. Indem ich mich nicht für sie verbiege, nehme ich sie ernster. Indem ich mich ihnen zumute, gestatte ich ihnen eine wahrhaftigere Begegnung mit mir.