In den letzten Tagen sind meine Ansichten zum Guten Leben, zur Offenheit und zur Liebe ganz allgemein zusammengewachsen. Obwohl alles schon da war, passt es jetzt besser. Und zwar so:
Wie ich schonmal schrieb, macht man Offensein nicht für andere. Es ist für sich selber eine gute Sache, Mauern niederzureißen und Masken abzunehmen, weil man seine Zeit sonst nur verschwendet. Natürlich nicht immer und ohne Kompromisse, aber tendenziell geht es halt doch öfter, als man es üblicherweise tut. Diese Offenheit bedingt auch das gute Leben, es fühlt sich nämlich schön an, sich auf zu machen.
Nun ist in meinen Augen “Liebe” genau das: Man ist bereit, sich zu öffnen, und möchte, dass die andere Person sich auch öffnet. Wenn das in einem Ausmaß geschieht, dass alle zufrieden sind, ist es eine glückliche Liebe. Wenn bei der Öffnung für die andere Person eine Schließung gegenüber Dritten passiert, zum Beispiel gegenüber Freunden oder so, also ein Verschluss, der über reinen Zeitmangel, den man halt nie wegkriegt, hinausgeht, ist etwas falsch gelaufen.
Wenn das Liebe ist (jaja, ich weiß, das klingt ganz theoretisch, Moment noch), ist natürlich klar, dass das nicht auf eine Person begrenzt sein muss. Überhaupt ist nach dieser Auffassung Liebe nicht etwas, das zwischen Personen geschieht, sondern eine Eigenschaft, nämlich primär die Eigenschaft, sich zu öffnen. Dafür muss man sich mögen, denn niemand zeigt gern Dinge, die er nicht mag. Im Grunde fehlt sogar ein Wort, “Liebe” ist zu unspezifisch. Meinen jüngsten Erfahrungen nach kommen zwei Dinge zusammen, erstens die schöne Erfahrung, dass man sich gerade zu öffnen bereit ist, und zweitens die ebenso schöne Erfahrung, dass die andere Person das auch tut, und (ganz wichtig) dass einem gefällt, was man zeigt, und was man gezeigt bekommt. Ganz einfach eigentlich. Vielleicht könnte man “aktive” und “passive Liebe” dazu sagen… Man zeigt, und man kriegt gezeigt (Wohl gemerkt ist meine aktive Liebe nicht notwendigerweise die passive Liebe meines Gegenübers! Ich kann mich ja auch öffnen, ohne dass die andere Person das besonders findet, oder ohne dass sie es mag. Ist halt scheiße, geht aber auch).
Vor diesem Hintergrund machen ganz viele dumme Sprüche irgendwie Sinn. “Du musst aufhören zu suchen”, “Du musst dich erst selber lieben”, “Man muss loslassen, um jemanden zu gewinnen”, all diese Sinnsprüche sind, interpretiert man sie auf der Basis eines eigenschaftlichen Liebesbegriffs, eigentlich nur Varianten des gleichen Grundgedankens:
Sei bei dir. Sei dir selbst genug. Sei ehrlich.
Wenn man diese Nacktheit vor sich selbst und vor anderen erreicht, ist man meiner Meinung nach voller Liebe. Ich selber (und jetzt wird es endlich wieder praxisbezogen) bin letztlich erst über diese Offenheit zu meiner Liebesfähigkeit gekommen. Weniger “da soll jemand mein Bedürfnis stillen” und mehr hin zu “hier gefällt mir etwas, hier bleibe ich”, eine eigentlich sehr bescheidene, wenig strebsame Art der Liebe.
Ursächlich sehe ich zum Einen die Auseinandersetzung mit dem ganzen Polykram. Seit ich dazu stehe, dass ich halt keine enge, exklusive Beziehung möchte, dass ich mehrere Menschen lieben kann und ich die Beziehung so ausgestalten möchte, wie ich das dann eben möchte, bin ich mir selbst näher. Nicht, weil dass irgendwie ein besseres Konzept ist, sondern weil es halt jenes ist, das zu mir passt, das ich leben möchte. Es tut gut, sich das zu erlauben. Supergut, sogar.
Auch das therapeutische Arbeiten hilft, denn das Gefühl, das ich habe, wenn Klienten sich öffnen, ist halt passive Liebe, ganz klar. Es gibt dabei interessanterweise keine aktive Liebe, denn die Öffnung passiert nicht um meinetwillen, ist kein “Herzeigen”, sondern eher ein “Enthüllen”, das ist ein Unterschied, aber dennoch bleibt da eine “nonpossessive love”, wie Carl Rogers sie nannte.
Mit diesem Gefühl, dass die Liebe, oder sagen wir meinetwegen die Liebesfähigkeit, etwas in mir ist, das ich entwickeln kann, für das ich mich entscheide, gehe ich entspannter durch’s Leben. Diese Liebesfähigkeit kann mir niemand kaputtmachen, und wenn ich jemanden liebe, und sie mich nicht in gleicher Form zurückliebt, behindert das zwar womöglich eine Beziehung zu dieser Person, nicht aber die Liebe. Die ist ja frei.