Monatsarchive: Oktober 2006

18.10.2006 17:21
0 Kommentare »
Allgemein

Im Zug warten

Warten ist das Schlimmste. Das ist ganz erstaunlich. Wenn ich eine Zugfahrt habe, von der ich vorher weiß, dass sie 2 Stunden dauert, aber dann irgendwo 15 Minuten Aufenthalt habe, werde ich fuchsig. Bescheuert.
Vermutlich liegt es daran, dass man so oft im Konjunktiv lebt, in hätte, könnte, müsste und dergleichen. Hätte ich hier keine 15 Minuten Aufenthalt, könnte ich früher am Ziel sein und müsste meine Zeit nicht sinnlos hier vertun.

Die Inuit, so lernte ich gestern, sind eine Kultur, wo das nicht so ist.

Man kann seine Zeit nicht vertun. Die ist sowieso da, man kann sie weder verlieren noch vertreiben. Egal wo du gerade bist, dein Leben findet statt. Das gefällt mir.
Egal an welchem Bahnhof du Aufenthalt hast, es ist Teil deiner Reise. Egal wie groß ein Umweg ist, den du machen musst, es ist Teil deiner Reise.

Die Fahrt dauert so oder so ca. 75 Jahre. Mit oder ohne Aufenthalten, Umwegen und sonstwas. Also kann man sich auch zurücklehnen und die Aussicht genießen. Die Zeit wurde schon verteilt, wir haben alle unsere Portion, und die läuft ab; wie wir sie füllen, ist ganz egal.

Nun mag die eine oder der andere einwenden: “Eben, ich will sie nämlich anders füllen als im doofen Zug rumzusitzen”. Hier sei entgegnet: Erstens ist der Zug eine Metapher für alles Mögliche, zum Beispiel für das Warten auf die Zeit nach der Diplomarbeit, oder darauf, dass die Beziehung endlich wieder besser wird, und zum Anderen sucht man sich das eben manchmal nicht aus. Und dann sollte man eben nicht mosern, sondern die Zeit hinnehmen und sie mit Leben füllen, anstatt darauf zu warten, dass das Leben weitergeht, wieder anfährt und hinter dem Tunnel ein bisschen schöner wird.

Nicht warten. Reisen.

Bild von Photocase.de.

17.10.2006 13:04
0 Kommentare »
Allgemein

Für eine ganz kurze Zeitspanne direkt nach seiner Geburt ist jeder Mensch die Krönung einer Jahrtausende umspannenden Evolutionsgeschichte, das Nonplusultra von DNS-Entwicklung, Mitochondriensymbiose und Hirnrindenwuchs, ist das jüngste Mitglied der menschlichen Rasse. Das allerneuste Modell.

15.10.2006 16:02
0 Kommentare »
Allgemein

In den letzten Tagen sind meine Ansichten zum Guten Leben, zur Offenheit und zur Liebe ganz allgemein zusammengewachsen. Obwohl alles schon da war, passt es jetzt besser. Und zwar so:
Wie ich schonmal schrieb, macht man Offensein nicht für andere. Es ist für sich selber eine gute Sache, Mauern niederzureißen und Masken abzunehmen, weil man seine Zeit sonst nur verschwendet. Natürlich nicht immer und ohne Kompromisse, aber tendenziell geht es halt doch öfter, als man es üblicherweise tut. Diese Offenheit bedingt auch das gute Leben, es fühlt sich nämlich schön an, sich auf zu machen.

Nun ist in meinen Augen “Liebe” genau das: Man ist bereit, sich zu öffnen, und möchte, dass die andere Person sich auch öffnet. Wenn das in einem Ausmaß geschieht, dass alle zufrieden sind, ist es eine glückliche Liebe. Wenn bei der Öffnung für die andere Person eine Schließung gegenüber Dritten passiert, zum Beispiel gegenüber Freunden oder so, also ein Verschluss, der über reinen Zeitmangel, den man halt nie wegkriegt, hinausgeht, ist etwas falsch gelaufen.

Wenn das Liebe ist (jaja, ich weiß, das klingt ganz theoretisch, Moment noch), ist natürlich klar, dass das nicht auf eine Person begrenzt sein muss. Überhaupt ist nach dieser Auffassung Liebe nicht etwas, das zwischen Personen geschieht, sondern eine Eigenschaft, nämlich primär die Eigenschaft, sich zu öffnen. Dafür muss man sich mögen, denn niemand zeigt gern Dinge, die er nicht mag. Im Grunde fehlt sogar ein Wort, “Liebe” ist zu unspezifisch. Meinen jüngsten Erfahrungen nach kommen zwei Dinge zusammen, erstens die schöne Erfahrung, dass man sich gerade zu öffnen bereit ist, und zweitens die ebenso schöne Erfahrung, dass die andere Person das auch tut, und (ganz wichtig) dass einem gefällt, was man zeigt, und was man gezeigt bekommt. Ganz einfach eigentlich. Vielleicht könnte man “aktive” und “passive Liebe” dazu sagen… Man zeigt, und man kriegt gezeigt (Wohl gemerkt ist meine aktive Liebe nicht notwendigerweise die passive Liebe meines Gegenübers! Ich kann mich ja auch öffnen, ohne dass die andere Person das besonders findet, oder ohne dass sie es mag. Ist halt scheiße, geht aber auch).

Vor diesem Hintergrund machen ganz viele dumme Sprüche irgendwie Sinn. “Du musst aufhören zu suchen”, “Du musst dich erst selber lieben”, “Man muss loslassen, um jemanden zu gewinnen”, all diese Sinnsprüche sind, interpretiert man sie auf der Basis eines eigenschaftlichen Liebesbegriffs, eigentlich nur Varianten des gleichen Grundgedankens:

Sei bei dir. Sei dir selbst genug. Sei ehrlich.

Wenn man diese Nacktheit vor sich selbst und vor anderen erreicht, ist man meiner Meinung nach voller Liebe. Ich selber (und jetzt wird es endlich wieder praxisbezogen) bin letztlich erst über diese Offenheit zu meiner Liebesfähigkeit gekommen. Weniger “da soll jemand mein Bedürfnis stillen” und mehr hin zu “hier gefällt mir etwas, hier bleibe ich”, eine eigentlich sehr bescheidene, wenig strebsame Art der Liebe.

Ursächlich sehe ich zum Einen die Auseinandersetzung mit dem ganzen Polykram. Seit ich dazu stehe, dass ich halt keine enge, exklusive Beziehung möchte, dass ich mehrere Menschen lieben kann und ich die Beziehung so ausgestalten möchte, wie ich das dann eben möchte, bin ich mir selbst näher. Nicht, weil dass irgendwie ein besseres Konzept ist, sondern weil es halt jenes ist, das zu mir passt, das ich leben möchte. Es tut gut, sich das zu erlauben. Supergut, sogar.
Auch das therapeutische Arbeiten hilft, denn das Gefühl, das ich habe, wenn Klienten sich öffnen, ist halt passive Liebe, ganz klar. Es gibt dabei interessanterweise keine aktive Liebe, denn die Öffnung passiert nicht um meinetwillen, ist kein “Herzeigen”, sondern eher ein “Enthüllen”, das ist ein Unterschied, aber dennoch bleibt da eine “nonpossessive love”, wie Carl Rogers sie nannte.

Mit diesem Gefühl, dass die Liebe, oder sagen wir meinetwegen die Liebesfähigkeit, etwas in mir ist, das ich entwickeln kann, für das ich mich entscheide, gehe ich entspannter durch’s Leben. Diese Liebesfähigkeit kann mir niemand kaputtmachen, und wenn ich jemanden liebe, und sie mich nicht in gleicher Form zurückliebt, behindert das zwar womöglich eine Beziehung zu dieser Person, nicht aber die Liebe. Die ist ja frei.

09.10.2006 17:37
0 Kommentare »
Allgemein

Ich habe letztens nochmal die “in wirklich” von 2raumwohnung gehört, und irgendwie hab ich damals nur gedacht “Hey, coole Stimme, lässige Beats, geiles Arrangement”, und bin nie bis zu “Phänomenale Texte!” gekommen. Stimme, Beats und Arrangements sind immer noch bombig – allein das erste Lied, “da sind wir”, wenn ihr jemals erklären müsst, warum Pausen in der Musik wichtig sind, nehmt dieses Lied. Jede Pause an der richtigen Stelle, und an jeder richtigen Stelle eine Pause.
Aber zurück zu den Texten – die sind toll. Und erst jetzt fällt mir auf, dass Track 4 über das Gute Leben geht, über Authentizität und alles so Sachen, die mir gut gefallen:

wirklich sein
wenn du wirklich wirst

du bist mehr als du gedacht hast
wenn du deinen kern spürst
wenn du wirklich wirst

du willst da nicht mitmachen
bei den spielchen
die fordern, daß du unwirklich bist
die heißen
ich fühle nichts
meine haut ist dick
ich bin die beste

wenn du wirklich wirst

dann sagst du nein
zu allem was dir die luft
abdreht
wenn du still bist
ist das kein trick
du befreist andere

du spürst dich
und was du kannst
wenn du wirklich wirst
kommst du nach haus
zu dir selbst
wo wir angefangen haben
im paradies zu leben

wenn du wirklich wirst

wenn du wirklich bist
dann bist du sex
was du sagst
ist was du meinst
was du glaubst
ist was du lebst

wenn du deinen kern spürst
wenn du wirklich wirst

musik: i.humpe/ t.eckart
text: i.humpe

08.10.2006 1:22
0 Kommentare »
Allgemein

In diesem Sommer habe ich ja meinen inneren Pöbel kennengelernt, die Volkszugehörigkeit und den Parolenbrüller in mir, und natürlich wobei? Bei der WM.

“Jan”, hab ich gedacht, “Jan, das ist die WM im eigenen Land, hier wird die Hölle los sein”. Zwei Dinge haben dazu beigetragen, dass ich mich drauf eingelassen habe. Erstens dachte ich, das drauf einlassen wird weniger stressig als Gespräche nach dem Format “WAS? Du guckst kein Fußball?? Aber… das ist doch die WM im eigenen Land!”, und zweitens wollte ich gern besser verstehen, was da passiert.

Ich hatte kurz vorher in irgendeinem Blog einen brillianten Ausspruch gelesen, der Fußball als die Ilias der Neuzeit bezeichnete, eine Geschichtensammlung, universal verständlich, mit Helden, die sich nicht durch Tiefe auszeichnen (wie in Romanen) sondern durch Heldenhaftigkeit. So in der Art.
Das gefiel mir, und gab mir ein intellektuelles Alibi, um mich mit Fußball zu beschäftigen.

Und, ja, es hat mir gefallen. Es war super. Und ich habe tatsächlich besser verstanden, was da passiert. Emotionen passieren, und sie sind okay. Es gibt wenig Situationen, in denen Männer so weinen dürfen wie nach dem Spiel gegen Italien, aber auch weniger offensichtlich war in diesem Sommer alles erlaubt. Jubel auf offener Straße, mit fremden Menschen singen, Weinen, Lachen, der ganze Scheiß eben. Das hat mir schon gefallen. Schön war’s.

Gerade war ich in Sönke Wortmanns Film zur WM (“Deutschland, ein Sommermärchen”), und muss leider sagen: Keine großen Überraschungen, filmisch wenig anspruchsvoll. Meine Hauptkritik an Photographie war immer die große Rolle des Motivs. Jeder Depp kann photographieren, wie ein schwarzes und ein weißes Baby kuscheln, das wird immer was. Oder eine monumentale Eiche vor einem tollen Himmel. Aber schön ist dann die Eiche, ist der Himmel, und das ist keine Kunst.
Der Film ist auch so. Das Motiv, also die WM, ist nochmal schön zu sehen (und wie unglaublich witzig, ich meine wirklich humorvoll witzig, der Bastian Schweinsteiger ist…), die Emotionen kommen auch wieder, aber als Film ist das Ding verzichtbar.

Vielleicht gehört auch das zum Zauber der WM: Vorbei ist eben vorbei, nach dem Spiel ist vor dem Spiel, und der Film ist eben nach dem Spiel über das vergangene Spiel und somit nicht mehr nah genug dran an dem roten Faden der Ilias.

07.10.2006 13:35
0 Kommentare »
Allgemein

ben_ von Anmut und Demut fragt in den Kommentaren zu “Der freie Wille folgendes:

Frage auf die ich weniger eine Antwort erwarte, als mehr … eine Diskussion: wie sehr würdest Du schätzen ist die Wahrnehmung des Films durch dein Mannsein beeinflußt?

Sehr gute Frage! Immerhin habe ich nach dem Film sehr deutlich den Gedanken gehabt: Gut, dass ich jetzt keine Frau bin und allein nach Hause gehen muss, da hätte ich Angst. Auch so schon hat mein Sicherheitsgefühl für den Abend sehr gelitten, aber ich stelle mir vor, dass der Schrecken für eine Frau durch die bloße größere Möglichkeit schlimmer ist (auch wenn sie, das Universum sei gepriesen, immer noch recht gering ist, auf offener Straße passiert ja doch sehr wenig).

Was ich als Erleben schon kenne, und was mir überhaupt nicht gefällt, ist die diffuse maskuline Grundschuld, die es einem Mann zum Beispiel schwer macht, sich einfach mal auf den Kinderspielplatz zu setzen, die dazu führt, dass Frauen sich auf einen Angriff vorbereiten, wenn ich im schwarzen Mantel an ihnen vorübergehe, die mich dazu verleitet, abends so aus der Bahn auszusteigen, dass ich vor der Frau laufe, die auch aussteigt, damit ich nicht hinter ihr her gehe, und, dank meiner langen Beine, langsam immer näher komme.
All das finde ich fürchterlich. Ich bin eigentlich ein guter Mensch, mein Penis macht mich zu keinem Verbrecher, und es ärgert mich, trotzdem das Verbrecherschema immer aktiv halten zu müssen, um davon abzuweichen, es gerade nicht zu erfüllen.

Dieses Gefühl war nach dem Film noch stärker. Im Leben hätte ich an diesem Abend mit keiner Frau geflirtet, hätte keinem Blick standgehalten. Viel zu groß wäre meine Sorge gewesen, dass das missverstanden würde, dass es unpassend oder sogar bedrohlich wirken könnte. Insofern ist Theos Gefühl, dass solche Situationen immer verzerrt sind durch seine Vergangenheit, auf mich übergegangen: Theos Vergangenheit hat meinen Abend verzerrt.

Im Grunde ist auch das schrecklich. Menschen sind Menschen, sie sind soziale und sexuelle Tiere, und das sind beides gute Eigenschaften. Wenn junge Männer und junge Frauen sich attraktiv finden, schauen sie einander an, lächeln, schauen wieder weg, fühlen sich begehrenswert und gehen mit einer Scheibe mehr Ego nach Hause. Das ist etwas Gutes.
Der Film aber dreht das um. Alles, was sexuell ist, scheint nachher schmutzig und bedrohlich, weil bei der Beobachtung von Theo auch schöne Situationen immer durch die Brille des “Ex-Vergewaltigers” betrachtet werden, und auch betrachtet werden müssen. Diese Brille habe ich so schnell nicht wieder abnehmen können.

Allerdings gehe ich ganz stark davon aus, dass dieser Effekt für Frauen gleichermaßen vorhanden ist, nur dass das resultierende Gefühl weniger diffuse Schuld, sondern eher diffuse Bedrohung ist.
Insofern hat der Film also nur geschafft, was ein Film zu schaffen hat: Eine Identifikation mit den Figuren. Die Archetypen des Mannes, der seinem Trieb nicht Herr wird, und der Frau, die Opfer dieses Mannes wird, sind stark genug, um sich auf die Zuschauer zu legen.

Insofern, ben_, ist meine Wahrnehmung des Films durchaus beeinflusst, denn der Film erzählt nunmal von zwei Figuren, von denen eine uns Männer mehr berührt. Aber in gewisser Weise bekommt man natürlich beide Figuren mit, und mein Mitgefühl sowohl für Netty, die den Mann liebt, der all diese Dinge tut, wie auch für die Opfer, könnte größer nicht sein. Außer vielleicht, ich wäre eine Frau, aber wie soll man das wissen?

04.10.2006 11:44
0 Kommentare »
Allgemein

Ich halte große Stücke auf meine Unkompliziertheit. Wenn ich Freunden das sage, lachen sie, aber ich lasse mich nicht davon abbringen, ich halte mich für außerordentlich unkompliziert. Ich suche nie Streit, bin nicht nachtragend und lasse gern andere Meinungen zu. Ich bin sanft mit den Schwächen anderer Leute, und bin für meine Freunde sofort da, wenn sie mich brauchen.

Das Zugmädchen hat sich jetzt zum zweiten Mal wieder gemeldet. “Wieder”, das heißt, dass sie vorher über Wochen und Monate keinen Mucks hat hören lassen.

03.10.2006 14:28
0 Kommentare »
Allgemein

Oh Mann, Leute, gestern habe ich dann, wie schon zweimal angekündigtDer Freie Wille” gesehen.
Kurze Zusammenfassung: Jürgen Vogel spielt Theo Stör, einen Vergewaltiger, der sich nach 9 Jahren Haft an einem Leben in Freiheit probiert.

Ich bin ja wirklich hart im Nehmen, was emotionale Zumutungen anbelangt. Ich hatte viel Freude mit meinem Geburtstagsfilm, der nun wirklich jegliches Prädikat zwischen “verstörend” und “belastend” im Handstreich verdient. Aber gestern…

Jürgen Vogel und Sabine Timoteo
Theo und Netty. © Anne-Kathrin Golinsky

Der Regisseur Matthias Glasner sagt folgendes über den Film:

“Ich hatte mir vorgenommen, einen zarten Film über den Terror der Einsamkeit zu drehen. Und so habe ich, egal was passiert – ob grausam oder vorsichtig hoffnungsvoll – alles mit der gleichen Anteilnahme mit meiner Kamera begleitet.”
Matthias Glasner, Regisseur

Das ist ihm gelungen. Und durch die immer gleiche Anteilnahme ist man ganz auf seine eigene Moral zurückgeworfen.

Das ist das Schwierigste an dem Film: Er erklärt nichts, er nimmt einem nichts ab. Ich atmete nachher tief durch, und suchte in mir nach einer Stellungnahme, zu dem Vergewaltiger, zu der Tat, zum Leben in Freiheit, zum Versuch des Täters, wieder zu lieben, aber ich fand keine. Ich fand nur Verstörung und ein diffuses Gefühl von “Das ist alles irgendwie scheiße…”.
Selbstverständlich bezieht sich dieses Gefühl insbesondere auf die Vergewaltigungen, die in einer Schonungslosigkeit und irgendwie einnehmenden Nebensächlichkeit gezeigt werden, dass ich wirklich kurz überlegt habe, was ich täte, würde ich gleich kotzen müssen, ob ich es bis zum Klo schaffen würde (nein) und ob ich irgendetwas tütenähnliches dabei gehabt hätte (nur meine Tasche).

Aber dieses Gefühl hält dort nicht ein, und bezieht sich ebenso auf die Liebesgeschichte zwischen Theo und Netty, die, sieht man sie isoliert, auch nicht gründlicher schief geht als bei jedem weniger vom Schicksal verkloppten Paar. Ohne die ersten Szenen, jene vor der Haft, wo Theo Stör noch pummelig und wortlos ist, wo er viel mehr der eindeutig böse Mensch ist, auf den man auch später gern einen unreflektierten Hass hätte, wäre der Film ohnehin in weiten Strecken einfach ein Film über einen weiteren scheiternden Versuch von zwei irgendwie angeschlagenen Menschen, sich zu lieben, denn auch Sabine Timoteo füllt Netty mit einer schicksalshaften Unvollkommenheit, einem Fremdheitsgefühl dem normalen Leben gegenüber, dass man nicht weiß, ob man sie umarmen oder meiden soll.

Jürgen Vogel
© Anne-Kathrin Golinsky

Aber es gibt eben diese Szenen am Anfang. Und leider ist Theo Stör nachher nicht mehr der böse Mann, der böse dunkle Mann mit einer Waffe zwischen den Beinen, wie ihn die cineastische genau wie die journalistische Kultur gern zeichnet, und wie man ihn wirklich gern sehen würde. Er ist eigentlich eine arme Sau, der oft die Hände käfiggleich vor seinem Schritt zusammenlegt, irgendeinem dunklen Teil von sich ausgeliefert, aber natürlich dennoch eigentlich nicht hilflos. Und so würde sich die Gefühlslage des Zuschauers irgendwo zwischen “Och, Theo, nicht doch, komm, du packst das” und “Mann, Theo, Arsch, geh zurück in den Bau” einpendeln, wenn das miteinander vereinbar wäre. So aber pendelt sich überhaupt nichts ein, und man verlässt das Kino schweigend, viel zu eng von Überforderung eingepackt, um zu weinen oder zu sprechen, und geht nach Hause. Nicht schlauer. Nicht mit mehr Verständnis. Aber doch irgendwie weiter. Nur aus der Verwirrung entsteht Weisheit.

Man sollte diesen Film nicht anschauen. Er ist unglaublich gut.

03.10.2006 2:27
0 Kommentare »
Allgemein

Von Kriesse.de

Obwohl ich nicht zustimmen kann, ist auch das ein schönes Bild von einer offenbar beachtenswerten Künstlerin. Und für die Wortzusammenstellung “obskurer Sommer” sowie das Pünktchen-Top und die gesichtslose Katze gibt es Bonuspunkte.

Gibt’s bei Flickr und auf Kriesse.de.

02.10.2006 21:31
0 Kommentare »
Allgemein

Bauch

Klasse Aktbilder auf Flickr.