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Es gibt ein Bild, das mich in letzter Zeit begleitet, eine Metapher, die mich führt. Es geht dabei darum, nicht die Dämonen zu füttern. Auf gar keinen Fall. Das wirkt manchmal grausam, ist aber sehr wichtig.

Ein Beispiel aus der Kindererziehung: Ein Kind versucht, auf einen Stuhl zu klettern. Es tut sich schwer, es hat Probleme hinaufzukommen, also hilft irgendein Erwachsener und hebt es drauf. In diesem Moment hilft der Erwachsene meiner Meinung nach nicht dem Kind, sondern nur dem Dämon: Das Gefühl von “Ich kann das nicht” wird gefüttert und bestärkt, wird regelrecht gehegt, gepflegt, herangezüchtet. Machen Kinder solche Erfahrungen zu oft, trauen sie sich nichts mehr zu.

Aber das gibt es natürlich auch unter Erwachsenen. Wenn mich jemand besucht und sagt “J., ich bin so hilflos gerade, mir geht es so schlecht, ich leide ganz schlimm”, und ich darauf reagiere mit Sätzen wie “Oh je, du armes, armes Ding, das ist ja schlimm, komm, lass dich trösten und gut behandeln”, dann behandle ich nicht die Person gut, sondern den Dämon. Ich mache dem Dämon damit klar: Du bist willkommen. Bleib ruhig da. Mach’s dir bequem, ich kümmere mich um dich.

Das ist nicht liebevoll der Person gegenüber. Man verbündet sich mit den gerissensten Feinden.

Tatsächlich liebevoll ist es meiner Meinung nach, den Menschen ihre Probleme zu lassen, ihnen das Gefühl zu lassen, dass sie da unter etwas leiden. Das heißt nicht, sie im Regen stehen zu lassen! Jede Hilfe, den Dämon loszuwerden, ist wunderbar und schnafte. Zum Beispiel mit Sätzen wie “Oh je, das ist schlimm. Erzähl mal mehr”. Neben der Person zu stehen, und bei ihr zu sein, während sie sich dem Dämon stellt: Das halte ich für den Weg, und schätze diesen Umgang auch mit mir selber. Ich will nicht getröstet und geholfen sein, will keine Schonung: Ich will doch da durch, ich will den Kampf mit dem Dämon mitkriegen, will ihn gewinnen!

Aber Füttern wird den Dämon nicht los, Füttern macht ihn nur stärker. Füttern raubt die Möglichkeit, sich zu befreien, und sich ganz zu erfahren, eben auch im Leid und in der Hilflosigkeit. Das ist so ähnlich wie mit der heißen Herdplatte, was wir alle kennen: Es scheint liebevoll, ein Kind davor zu bewahren, die heiße Herdplatte anzufassen, aber tatsächlich gibt es kaum etwas wichtigeres als die eigene Erfahrung. Wie kann es liebevoll sein, jemandem die Erfahrung zu vermiesen?

Mr Review sorgt sich, das finde ich nett, und so komme ich seiner Bitte nach und melde mich nochmal. Tatsächlich fällt die Bitte in eine Phase, in der ich von mir selber sage: Es hat sich was getan.

Cullawine und ich hatten in der Zwischenzeit noch mal ein Gespräch, in dem deutlich wurde: Hier ist etwas kaputtgegangen. Vorher, als wir innerhalb der WG täglich miteinander umgehen mussten, war für diese Erkenntnis kein Raum, da war das “Es ist schwer” sehr im Vordergrund. Nach diesem Gespräch war, das traurig war, aber auch fair und ehrlich, wollten wir uns erstmal nicht sehen. Was folgte, war bei mir erstmal eine Weile Trauer und Hilflosigkeit. Es ist ja leider nicht so, als wäre die Entscheidung gegen die Beziehung so eindeutig in mir gewesen, wie ich sie habe durchziehen müssen. Denn die schlechten Sachen, die ich loszuwerden hoffte (Schuld, Enge, Kopfkino, Erwartungen), gingen natürlich einher mit vielen guten Dingen. Nähe, gemeinsamer Alltag, und schlicht und einfach: Sie. Sie fehlt mir immer noch. Zwar glaube ich auch, dass ich mich richtig entschieden habe – zu einer Beziehung gehört einfach doch auch Übereinstimmung in den Vorstellungen, und nicht nur Liebe, aber natürlich blieb eine Trauer.

Danach kam eine große Ablenkung, eine Art Urlaub von dieser Trauer. Ich hatte vermutlich schlicht keine Kraft mehr, mich weiter damit zu beschäftigen, und – aus den Augen, aus dem Sinn – Cullawine war innerlich weiter weg.

Irgendwann kommt man sich bei sowas aber selbst auf die Schliche, und stellt fest: Man lenkt sich von sich selber ab. Seit einigen Tagen sind die Gedanken an Cullawine wieder öfter da, aber durchaus ein bisschen verändert. Anstatt “Wie komm ich wieder klar?” ist da wieder mehr Platz für ein “Wie kommen wir wieder klar?”.

Ich habe in der Zwischenzeit begonnen, morgens eine Meditation zu machen (ein Freund von mir konnte mich darin anleiten), weil ich das Gefühl hatte, bestimmte Gedanken und Gefühle viel zu schnell durch die Kopfmaschine zu schicken. Aus einem “Ich vermisse Cullawine” wurde unmittelbar ein undurchdringliches Gewirr von “Liebe ich sie noch?”, “War es falsch die Beziehuung zu beenden, hätten wir es schaffen können?”, “Stopp, J., geh nicht dorthin zurück, du machst dich unfrei”, “J., du kannst nicht immer so hin und her, du tust ihr damit weh” und was weiß ich nicht alles.
Die Meditation erschien mir als gute Übung, um Gefühle und Gedanken erstmal zu haben, bevor man sie analysiert.

Das ist natürlich ein Weg, vermutlich eher ein langer als ein kurzer, und in den Überlegungen, wieder Kontakt aufzunehmen, gehen die Gedankenketten schon wieder eher los. Aber immerhin ist wieder Raum für diese Überlegungen, der Schutzwall wird langsam weggeschaufelt, und ich bin ja ausgebildet, kleine Veränderungen wahrzunehmen.

Ich glaube, ich weiß sogar, was ich bräuchte, damit es weitergeht (und wie ich soeben lese, wenn ich den Beitrag hier drunter anschaue, wusste ich es auch Anfang April schon): Mehr zu mir stehen. Sicherer sein, dass ich okay bin, dass mein Weg okay ist, dass meine Liebe zu Cullawine okay ist aber eben auch meine Entscheidung, keine Beziehung mit ihr führen zu wollen.
In meiner Vorstellung sehe ich uns irgendwann miteinander reden, und beide stabil sein. Wenn sie weint, will ich mit ihr fühlen, aber keine Schuldgefühle haben. Wenn ich weine, will ich das tun können, ohne Rationalität und Gedanken über Berechtigung, zu weinen.

Noch bin ich nicht da, das merke ich, aber immerhin – die Schuldgefühle nehmen ab, ich traue mich wieder öfter, meine Gefühle zu haben und manchmal sogar, stolz darauf zu sein. There is a path.

Ich hoffe und wünsche sehr, dass bei Cullawine auch gute Dinge geschehen. Auch darum wächst das Bedürfnis, von ihr zu hören, denn ich fände es so schön, wenn es ihr besser ginge. Ich hab sie immer am meisten geliebt, wenn sie stark war.